Nadine T. Güntner

Allendas


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abermals die hässlich gelb verfärbten Eckzähne. »Heraus mit der Sprache! Wer von Euch ist der König? Ich habe keine Zeit mehr, mich mit Euch zu beschäftigen. Es gibt viel zu regeln in diesem verkommenen Land«, erklärte er und entschloss sich, das Gesprochene mit einer Drohung zu unterstreichen, um dieser zähen Verhandlung endlich ein Ende zu setzen. »Sprecht, oder ich werde Euch beide auf der Stelle töten lassen.«

      Die umstehenden Wachen wurden bereits unruhig. Einige zogen ihre Waffen, andere fletschten ihre Zähne und richteten sich auf ihre Hinterbeine auf. Kalerid zischte etwas in der Sellag-eigenen Sprache. Er rief seine Untertanen zur Ruhe, um zu verhindern, dass sie sich gleich auf die Gefangenen stürzten. Der Heerführer hatte andere Pläne für den König und auch seinen Diener würde er noch gut gebrauchen können.

      Herras wurde angst und bange, doch weniger um sich selbst als um seinen König. Obwohl sich die zischenden und fauchenden Sellag-Krieger nun wieder beruhigten und wieder auf allen Vieren zusammenkauerten, zweifelte er nicht daran, welches Schicksal Hondor ereilen würde, wenn er sich zu erkennen gab. Kalerid würde ihn töten lassen, wahrscheinlich sofort. Wenn der König von Allendas starb, gab es keine Hoffnung mehr für sein Volk. Sie würden ihren Peinigern hoffnungslos ausgeliefert sein. Es gab nur eine Möglichkeit, dem Volk den letzten Funken Hoffnung zu bewahren. Er nahm seinen letzten Mut zusammen und sagte mit fester Stimme: »Ich bin Hondor, König von Allendas.«

      Hondor erstarrte, als er Herras’ Worte vernahm. Er blickte seinen Freund an und in seinen Augen stand sowohl Stolz als auch Trauer, als er dessen Absichten erkannte. Dann schüttelte er den Kopf, sah zu Kalerid hinauf und seine Pupillen verdunkelten sich, als er sagte: »Nein, ich bin Hondor.«

      »Nein, glaubt ihm nicht!«, stieß Herras heftig hervor. Trotz der verzweifelten Lage machte es ihn sehr stolz, dass sein Freund beabsichtigte, sein Leben zu retten, aber er durfte es nicht zulassen. Hastig versuchte er, auf die Beine zu kommen, aber die Fesseln um seine Fußgelenke machten dieses Vorhaben unmöglich. Schneller, als er sich versehen konnte, war er von drei Sellag-Kriegern umringt, die ihn zurück auf den Boden drückten. Sein Blick begegnete den Augen Hondors.

      »Ich danke, Euch Herras«, flüsterte er leise, aber doch laut genug, dass alle Anwesenden es hören konnten. »Aber es hat keinen Zweck. Es muss sein!« Herras erschien es, als könnte er einen feuchten Glanz in den Augen Hondors erkennen, aber er konnte keine Sicherheit erlangen, denn der König wandte sein Gesicht ab und ließ den Kopf sinken.

      Kalerid konnte angesichts dieses Schauspiels abermals nur ein raues Lachen ausstoßen. Für ihn war die Lage der Dinge klar. Mit Schwung stieß er sich von seinem frisch eroberten Thron ab und sprang die wenigen Stufen herunter. Sein Umhang blähte sich dabei und ließ ihn mächtiger wirken, als er war. Ein fünftel Barret3 vor Hondor kam er zum Stehen und beugte sich zu dem König herunter. Sein stinkender Atem wehte dem Menschen ins Gesicht und raubte ihm für den Moment die Sinne.

      »Das war ein ehrenhafter Versuch, Diener Herras.« In seinen tief liegenden, dunklen Augen funkelte Belustigung. »Aber wie du siehst, ist dein Herr nicht bereit, dein Opfer anzunehmen.«

      Hondor fand nicht die Kraft, den Kopf zu heben. Bewegungslos starrte er auf den steinernen Boden. Er kämpfte gegen seine Trauer und Verzweiflung. Herras hatte über sich selbst sein Todesurteil verhängt. Er hatte es für seinen König getan und es gab nichts, was Hondor jetzt noch tun oder sagen konnte, das Kalerid vom Gegenteil überzeugt hätte.

      Mit schweren Schritten stapfte der Heerführer hinüber zu Herras. Einen Augenblick betrachtete er ihn nur, genoss die Vorfreude, auf das, was er sich für ihn ausgedacht hatte. Dann ergriff er den Menschen mit einer schnellen Handbewegung fest am Kragen und zog ihn hoch. Speichel triefte von seinen scharfen Eckzähnen und sein Gestank verursachte Übelkeit bei Herras. Für einen Moment befürchtete der Leibwächter, der Sellag würde sich sofort auf ihn stürzen und ihn zerreißen. Sein Herzschlag stockte. Er schloss die Augen und erwartete das, was nun kommen würde. Doch es geschah nichts.

      Kalerid ließ ihn wieder los und Herras fiel auf die Knie. Als er seine Augen wieder öffnete, starrte er geradewegs in Kalerids Gesicht.

      »Ich habe mir etwas Wunderbares für Euch ausgedacht«, grollte Kalerid freudig, als er sich umwandte, erneut zu seinem Thron zurückzukehren. »Ihr werdet die Gelegenheit bekommen, einen ehrenvollen Tod zu erlangen. Ihr werdet den besten meiner Männer gegenüberstehen, bevor Ihr Euren letzten Atemzug tut. Lasst Euch überraschen, Majestät.« Kalerids letzte Worte quollen vor Hohn über, als er sich auf dem breiten Königsstuhl nach vorne beugte. In den Reihen der anwesenden Sellag brach wieder Unruhe aus. Obwohl sie noch nicht erfahren hatten, was ihr Anführer mit seiner Beute geplant hatte, wussten sie doch, dass Kalerid immer ein besonders gutes Händchen für solche Angelegenheiten hatte. Herras verstand die zischenden Laute, die zwischen ihnen ausgetauscht wurden, nicht, aber er konnte trotzdem erkennen, dass sie in Vorfreude schwelgten.

      »Bring ihn hinaus!« befahl Kalerid seinen Leuten und deutete mit seinem langen knochigen Zeigefinger auf Herras. »Kettet ihn auf ein Fuhrwerk und bewacht ihn gut.« Dann wandte er sich einem kleineren Sellag mit einem äußerst unterwürfigen Gesichtsausdruck zu. »Marek, lass meine zehn besten Truppenführer zusammenrufen. Sie sollen sich im Schlosshof einfinden. Sobald sie vollzählig sind, ziehen wir los!« Kalerid hatte sich die Mühe gemacht, seinen Befehl in der allendassischen Sprache zu formulieren. Wahrscheinlich, um dem König die »Vorfreude« zu gönnen.

      »Jawohl, Majestät«, erwiderte Marek in der Sprache der Sellag und stürmte auf allen Vieren hinaus. Herras sah ihm nach. Er fragte sich, was Kalerid mit ihm vor hatte und er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so unwohl in seiner Haut gefühlt. Dann wandte er seinen Blick hinüber zu Hondor. Der König hatte seinen Kopf wieder gehoben und sah seinen Leibwächter mit traurigen Augen an. Ein stummer Vorwurf, aber auch Verständnis waren darin zu erkennen. Gerne hätte Herras ein paar letzte Worte an seinen Freund gerichtet, ihm erklärt, dass er einfach tun musste, was er tat, dass er keine andere Wahl hatte. Aber sie waren nicht allein und er durfte nicht riskieren, ihr Geheimnis jetzt zu verraten. Bevor er Gelegenheit bekam, seine Gedanken zu Ende zu bringen, umfassten zwei Sellag seine Handgelenke. Zwei weitere ergriffen seine Knöchel und er wurde hinausgeschleift.

      »Bringt diesen zu den anderen. Er wird mir vielleicht noch nützlich sein«, rief Kalerid den verbliebenen Wachen zu. Sie ergriffen Hondor und auch er wurde unsanft aus dem Saal gezerrt.

      

       2) Das Herrschergeschlecht des Landes Allendas besaß seit vielen Jahrhunderten keine Krone mehr als Zeichen ihrer Macht. Es wird vermutet, dass sie zur Zeit der Versklavung in die Hände der Belagerer gefallen und dann verschwunden war. Helaras, der Befreier verweigerte aus unbekannten Gründen die Anfertigung einer neuen Herrscherkrone und als Zeichen der Verehrung und des Dankes wurde diesem Wunsch auch lange nach seinem Tod entsprochen.

       3) Barret = Längenmaß (1 Barret = 1,27 Meter)

      Herras I

      Noch nie waren Herras die Gänge des Schlosses so unendlich lang vorgekommen. Er hatte sein ganzes Leben am Hof König Harus‘ verbracht und hatte auch später, als dessen Sohn Hondor den Thron bestiegen hatte, und er in seinen Dienst getreten war, nur selten Alland Pera verlassen. Er kannte jedes Barret, jede einzelne Stufe und doch schien sich der Weg ins Freie ins Unendliche zu dehnen.

      Das, was er aus seiner unbequemen Haltung erkennen konnte, schien nicht mehr das Schloss zu sein, in dem er seine Kindheit verbracht hatte. Die dicken Teppiche und kostbaren Wandbehänge waren heruntergenommen worden. Viele der Fackeln waren ausgebrannt und niemand schien es für nötig zu halten, sie zu erneuern. Die langen Flure des Schlosses wirkten nun wie dunkele, finstere Höhlen. Von der einstigen Pracht war nichts mehr übrig geblieben. Überall schlichen Sellag umher und nicht selten blieben sie stehen, um den vermeintlichen König mit gaffenden Blicken zu betrachten und ihn in ihrer eigenen Sprache schändlich zu beschimpfen.

      Die Sellag liefen unregelmäßig, schienen sich nicht auf eine Gangart einigen zu können, sodass Herras’ Körper zeitweise straff zwischen den Sellag, die ihn an Händen und Füßen in