Nadine T. Güntner

Allendas


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brach) waren weit abgeschlagen.

      Herras’ Knie gaben unter seinem Gewicht nach. Er versuchte mit aller Macht, dagegen anzukämpfen, doch es half nichts. Er brach zusammen. Kornos war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Er fletschte die Zähne, erhob sein Schwert und erfüllte Herras schlimmste Befürchtung. Er stürzte sich von hinten auf den Menschen, drückte ihm mit dem Rücken ins Laub und umkrallte mit einer Hand seine Kehle. Ein Furcht erregendes Grinsen stand auf seinem Gesicht, als er dem Menschen sein Schwert auf die Brust drückte. Herras war nicht imstande, Gegenwehr zu leisten. Er hatte nicht mehr die Kraft, zu kämpfen. Ergeben schloss er die Augen und erwartete sein unvermeidbares Ende. Er verdrängte den widerlichen Gestank des schwitzenden Sellag, alle Schmerzen, die in seinem Körper herrschten und die Dunkelheit des Waldes. Er stellte sich eine wunderschöne Wiese in Allendas vor und wie er mit seiner Familie an einem lauen Sommertag darauf feierte. Ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen und mit diesen glücklichen Gedanken wollte er in Hembras Reich eintreten.

      Aber das Unerwartete geschah. Kornos wollte gerade sein Maul öffnen um Herras ein paar bitter-süße Abschiedsworte mit auf den Weg zu gaben, als ein kaum hörbares Zischen die Luft durchschnitt. Es folgte ein leises, dumpfes Geräusch, als Kornos hornige Haut unter dem Leder seines Wamses durchstoßen wurde und etwas sein Fleisch bis tief zum Herzen durchdrang. Der Mund des Sellag formte sich zu einem lautlosen Aufschrei und seine Augen irrten für den Bruchteil eines Augenblickes überrascht und ziellos umher, bevor sie ihren Glanz verloren. Dann brach er tot über Herras zusammen.

      Herras erstarrte, als Kornos’ Kopf auf seiner Brust aufschlug. Zuerst dachte er, der Sellag hätte ihm sein Schwert in den Leib gerammt, aber der erwartete Schmerz blieb aus. Verwirrt schlug Herras die Augen auf und sah den toten Körper auf dem seinen liegen. Vor Schock und Verwunderung blieb der Mensch einige Augenblicke starr liegen, dann überwand er sich und versuchte, den leblosen Sellag von sich herunterzuschieben. Kornos war schwerer, als er aussah, und es kostete Herras einige Anstrengung, sich von ihm zu befreien. Als es ihm gelungen war, saß er einen Moment schwer atmend da und starrte seinen toten Verfolger an. Ein dünnes Rinnsal dunklen Blutes lief über dessen Rücken und versickerte im Waldboden. In der Wunde steckte ein kurzer Pfeil.

      Erneut stieg Angst in Herras auf, die ihm neue Kraft verlieh. Ohne nachzudenken, von wem der Pfeil wohl stammte oder wer sein Leben gerettet haben könnte, sprang er auf die Füße. Kopflos und ohne sich umzublicken, rannte er weiter in den Wald hinein.

      Als Kalmog und die beiden anderen verbliebenen Sellag Kornos fanden, war der Mensch bereits außer Sichtweite. Grunzend und fauchend begutachteten sie die Verletzung, die das Leben des Truppenführers beendet hatte. Unmut machte sich unter ihnen breit, denn sie wussten nicht, wer Kornos getötet hatte. Herras verfügte über keine Waffen. Unsicher sahen sie sich um, beobachteten mit argwöhnischen Augen jeden Baum und jeden Strauch in ihrer Nähe, aber sie konnten nichts Außergewöhnliches entdecken. Trotzdem ließ ihre Unruhe nicht nach. Mit gezückten Schwertern und entblößten Zähnen drehten sie sich um sich selbst, bis sie beinahe die Orientierung verloren hatten. Ihre Lage schien für den Moment sehr unvorteilhaft zu sein. Die Spur ihres Opfers hatten sie bereits vor einiger Zeit verloren, aber jetzt sahen sie sich einem unsichtbaren Gegner gegenüber, der sich auf die Seite des verfolgten Königs geschlagen zu haben schien. Obwohl sie Rivalen waren, fühlten sich die Sellag nun verbunden und in der Schusslinie eines verborgenen Feindes.

      »Wir sollten zurückgehen«, meinte Kalmog nach einer Weile. Er fühlte sich nicht nur unwohl, angesichts der drohenden Gefahr, er sah auch keine Möglichkeit, die Spur Herras’ wieder aufzunehmen. Zudem machte ihm seine Leibesfülle zu schaffen und er war ausgelaugter als die anderen, sehr viel kleineren und drahtigeren Truppenführer.

      »Zurück gehen?«, fragte Bawog entgeistert. »Und Kalerid berichten, dass wir den Schwächling verloren haben? Er wird vor Zorn außer sich sein. Er lässt uns vierteilen oder noch etwas Schlimmeres, wenn ihm etwas einfällt.« Bawog hatte, während er sprach, begonnen, aufgeregt auf und ab zu schleichen. Sein Blick glich dem eines gefangenen Tieres.

      »Er hat Recht, wir können nicht zurück«, stimmte Nukan dem verstörten Bawog zu. Er war mutiger als Bawog und schwerer aus der Ruhe zu bringen, aber der Gedanke, in Kalerids Klauen zurückzukehren, schien ihm keineswegs erstrebenswert. »Wir sollten weitergehen. Diese Kreatur kann nicht mehr weit gekommen sein. Es wird nicht lange dauern, bis wir ihn wieder gefunden haben. Wir sind zu dritt und es wird sich niemand so schnell wagen, uns anzugreifen.« Um seine Worte zu unterstreichen, hielt er sein Schwert kampfbereit in die Luft, gerade so, als wolle er seinem unsichtbaren Gegner drohen. Nukan wollte noch etwas hinzufügen, aber er kam nicht mehr dazu.

      Erneut pfiff ein Pfeil durch die Luft und traf den überraschten Nukan mitten in die Brust. Wie ein gefällter Baum fiel der Sellag rücklings in das weiche Moos neben Kornos’ Leiche. Bevor Bawog und Kalmog sich bewusst werden konnten, was geschehen war, folgte ein dritter Pfeil. Besonders zielsicher durchschlug er Bawogs festen Schädelknochen genau zwischen den Augen. Der Sellag verdrehte den Blick und sank ohne einen Laut in sich zusammen.

      Kalmog ergriff die Flucht. Ohne sich um seine Kameraden zu kümmern, denen ohnehin nicht mehr zu helfen war, drehte er sich um und hetzte, so schnell ihn seine stämmigen Beine trugen, hinaus aus dem Wald. Der Pfeil, der für ihn bestimmt war, flog nur einen zehntel Barret an seinem Kopf vorbei.

      Herras rannte weiter, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie weit er gelaufen war oder ob seine Verfolger ihm noch auf den Fersen waren. Schweiß rann ihm von der Stirn, verklebte ihm das blonde Haar und vermischte sich mit dem Blut aus der Platzwunde, die wieder zu bluten begonnen hatte. Er achtete nicht darauf. Er rannte einfach weiter, bis seine Sinne, die von seiner rasenden Angst bereits völlig verwirrt waren, ihm ihren Dienst versagten. Schwärze übermannte ihn und er brach ohnmächtig zusammen. Blutend blieb er auf dem Waldboden liegen.

      So fanden sie ihn. Fast hatten sie ihn aus den Augen verloren, denn er war schneller, als sie es erwartet hatten. Zudem hatten sie viel Zeit mit den drei Kreaturen verbracht, aber das hatten sie für nötig gehalten. Leider war ihnen einer der Fremden entkommen, doch sie konnten nicht noch mehr Zeit auf ihn verschwenden, denn der Mensch schien dringend ihre Hilfe zu brauchen. Außerdem hatten sie sich bereits sehr viel näher an den Waldrand gewagt, als sie es für gewöhnlich taten.

      Sie hatten sich auf ihrer täglichen Jagd befunden, hatten einen besonders schönen und prächtigen Hirsch verfolgt, als sie die Geräusche hörten - laute Stimmen, die in einer unbekannten Sprache ertönten, unvorsichtige Schritte, die schnell und wild durch den Wald stampften. Sie hatten sofort gewusst, dass dies keine Angehörigen ihres Volkes sein konnten. Es dauerte nicht lange, bis sie sie erspäht hatten. Zuerst hatten sie ihn gesehen; er war ein Mensch, aber keiner von ihnen. Er trug Kleidung, die sich von der ihren unterschied, hatte blondes Haar und bewegte sich schnell aber unbedacht vorwärts. Sein Blick war der eines gehetzten Tieres. Dann hatten sie auch seine Verfolger entdeckt und solche Wesen hatten sie noch nie erblickt. Es waren kräftige, graue Kreaturen mit fester Haut und einem gedrungenen Gang.

      Sie waren ihnen ein Stück gefolgt, unbemerkt, mit leisen Schritten und unsichtbar hinter den Bäumen verborgen. Einer der Fremden war bereits sehr nahe zu dem Menschen aufgeschlossen und ihm hatten sie schließlich ihre Aufmerksamkeit zukommen lassen.

      Als der Fremde sein Opfer erreicht hatte und sich todbringend über den Wehrlosen beugte, konnte Merit nicht anders. Trotz aller Bedenken seiner Gefährten hatte er seine Armbrust angelegt und die abstoßende Kreatur niedergestreckt. Ehe sie sich entschlossen hatten, sich dem Menschen zu offenbaren, denn für gewöhnlich waren sie scheue Wesen, die nicht gerne Fremde in ihrem Wald sahen, hatte dieser bereits seinen Weg fortgesetzt und sie hatten die anderen kommen gehört. Auch diese hatten sie schließlich getötet, denn sie erschienen ihnen gefährlich und ungezügelt.

      Dann hatten sie sich erneut auf die Suche nach dem Menschen begeben. Er hatte einen so erbärmlichen und heruntergekommenen Eindruck auf sie gemacht, dass ihr gutes Herz nicht unberührt geblieben war. Zudem war er tiefer in den Wald hinein gelaufen, geradewegs auf ihr Lager zu.

      Er war weiter gekommen, als sie vermutet hatten, aber Korin, ihr Vorspäher, mit den besten Augen des ganzen Stammes, hatte ihn gefunden. Behutsam hoben sie ihn auf und trugen ihn in ihr Lager.