Nadine T. Güntner

Allendas


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Wald verirrt. Doch Merit sagte mir auch, dass Ihr nicht freiwillig kamt. Also erzählt mir Eure Geschichte.«

      Herras trank einen großen Schluck Wasser aus seinem Becher, um seine Kehle zu befeuchten, und begann, zu erzählen. Er berichtete von dem Angriff auf Alland Pera, ihre Gefangennahme, das Zusammentreffen mit Kalerid, wie er sich für den König ausgegeben und sie ihn zum Waldrand verschleppten hatten, und schließlich darüber, wie er gejagt wurde. Er versuchte, so gut es ging, sich an jede Einzelheit zu erinnern, obwohl er merkte, dass ihm bei der Hetzjagd einige Teile entfallen waren. An diesen Stellen konnte Merit helfend einspringen und die Lücken mit dem, was er beobachtet hatte, füllen.

      Sollas hörte ihm aufmerksam zu und als Herras seine Ausführungen beendet hatte, hatten sich die Augen des alten Mannes verfinstert. »Ihr sagt, die Kreaturen seien Euch unbekannt, obwohl sie aus einem Gebirge kamen, das an Euer Land angrenzt?«

      Herras machte einen niedergeschlagenen Gesichtsausdruck. »Wir Allendasser haben uns nie sehr viel darum gekümmert, was um uns herum geschah. Selten oder vielleicht sogar niemals hat einer von uns das Land verlassen. Wir haben niemals mit einer Gefahr gerechnet, denn es hat lange Zeit keinen Krieg in unserem Land gegeben. Vielleicht sind wir etwas zu unvorsichtig geworden und verblendet gegenüber dem, was um uns herum alles lauern mag.«

      Sollas nickte nachdenklich. »Ja, man neigt schnell dazu, das Schlechte zu vergessen, wenn es einem gut geht.« Der Anführer machte eine kurze Pause und nahm einen Schluck Kräutertee aus seinem Becher. »Wie dem auch sei, auch wir müssen jetzt vorsichtiger sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Kreaturen auch eines Tages über uns herfallen werden.«

      »Das glaube ich nicht, Vater«, warf Merit ein. »Wir haben nichts, was für sie von Bedeutung sein könnte. Bei uns gibt es keine Häuser und Burgen, die sie in Besitz nehmen könnten. Bei uns würden sie nichts vorfinden, außer Bäumen und Sträuchern und mit denen scheinen sie nicht besonders viel anfangen zu können, wie ich selbst sehen konnte.«

      »Mag sein, aber wir müssen uns trotzdem in Acht nehmen.« Es schien, als würde Sollas etwas unausgesprochen in der abendlichen Waldluft stehen lassen und Herras beschlich ein unangenehmes Gefühl, als der Anführer plötzlich das Thema wechselte. »Und was habt Ihr nun vor, Herras?«

      Dieser überlegte einen Augenblick. Dann zuckte er entmutigt mit den Schultern. Sein Ziel hatte er klar vor Augen, aber er sah keine Möglichkeit, es zu erreichen.

      »Ich werde versuchen, mein Land zu befreien«, antwortete er schließlich. »Nur ist das eine große Aufgabe für einen einzelnen Mann wie mich. Ich bräuchte eine große Zahl guter Krieger oder ein ganzes Heer, um gegen diese Übermacht anzukämpfen. Aber egal, wie lange es dauern mag, oder was es für mich bedeutet, ich werde nicht ruhen, bis Allendas wieder ein freies Land geworden ist. Ich weiß nicht, ob es noch einen lebenden Menschen in meiner Heimat gibt, aber auch wenn alle Allendasser getötet wurden, werde ich nicht aufgeben, bis ich ihren Tod gerächt habe.« Entschlossenheit stand in Herras’ Augen, als er diese Worte sprach und als sie an sein eigenes Ohr drangen, wurde ihm bewusst, wie innig sein Wunsch war. Er dachte dabei nicht nur an seine Verwandten, Freunde und an den König, für den er bereit gewesen wäre, in den Tod zu gehen und der nun vielleicht durch die Hände der Feinde den Tod gefunden hatte, er dachte auch an alle anderen Allendasser, die durch den hinterhältigen Überfall der Sellag niedergemetzelt worden waren. Er hatte die Bilder des Scheiterhaufens und der unzähligen Toten vor Augen und fuhr sich kurz mit den Händen durch sein Gesicht, um diese albtraumhaften Eindrücke zu vertreiben.

      Sollas musterte ihn mit einem verständnisvollen Blick und schüttelte den Kopf. »In Lemberus werdet Ihr nicht viele kampferprobten Krieger finden«, entgegnete er. »Es würde zudem Tage und Wochen in Anspruch nehmen, bis Ihr alle Stämme zusammengerufen hättet und nur die Wenigsten wären wohl bereit, Euch bei Eurem Unternehmen zu unterstützen.«

      »Ich wünschte, Ihr könntet mir jemanden nennen, der in der Lage wäre, mir zu helfen«, sagte Herras, dessen gerade neu gefundener Mut wieder zu schwinden begann.

      Sollas dachte eine ganze Weile nach. Sein Blick reichte in die Ferne und es schien, als versuchte er, sich an etwas zu erinnern. Merit, Korin und Herras musterten ihn erwartungsvoll, als er endlich sagte: »Es gibt ein Königreich weit im Norden mit dem Namen Lohringen. Dort soll ein mächtiger König herrschen. Ich selbst war noch nie dort und hatte auch noch nie Kontakt zu den dort lebenden Menschen, aber die nördlichen Stämme treiben so manchen Handel mit den Lohringern. Ich habe gehört, sie sollen von großem Wuchs und kräftiger Gestalt sein und sie unterhalten ein gewaltiges Heer. Bei ihnen könntet Ihr vielleicht Hilfe erbitten.«

      Es dauerte seine Zeit, bis er das Gehörte verarbeitet hatte, dann traf er eine Entscheidung: Er musste sich auf den Weg machen. Dabei empfand er die Vorstellung nicht besonders verlockend, tage- oder gar wochenlang durch die Wildnis zu irren. Noch nie in seinem Leben hatte er eine längere Reise unternommen und er wusste nicht, wie er sich zurechtfinden sollte, aber sein Gewissen und der Gedanke an Allendas siegten über alle seine Bedenken.

      »Ich werde gleich morgen früh aufbrechen«, sagte Herras bestimmt. »Wie weit ist es bis Lohringen?«

      »Etwa acht Tagesmärsche von hier«, entgegnete Sollas.

      »Dann werde ich eine lange Zeit unterwegs sein«, stellte Herras fest und seine Stimme klang nicht mehr ganz so selbstsicher, wie er es sich gewünscht hätte.

      »Und ich werde Euch begleiten!«, warf Merit ein, bevor Sollas noch etwas sagen konnte. Dessen Blick verriet sogleich den Unmut über die Worte seines Sohnes, aber Merit blieb davon unbeeindruckt. »Ich kenne den Weg nach Norden, obwohl ich noch nie selbst dort war. Ihr werdet sicherlich etwas Unterstützung gut gebrauchen können.«

      Herras schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das kann ich nicht annehmen. Ich kann nicht verlangen, dass Ihr Euch mit mir in eine ungewisse Zukunft begebt.« Er musste sich eingestehen, dass es ihm wohler gewesen wäre, wenn der junge Jäger mit ihm gezogen wäre, aber er konnte nicht das Leben eines ihm beinahe völlig fremden Menschen beeinflussen, auch wenn er ihn nach dieser kurzen Zeit sehr zu schätzen gelernt hatte.

      Merit lächelte. »Für uns ist die Zukunft nicht so ungewiss, wie für Euch.« Der Waldmensch legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Ich kenne den Wald und seine Gefahren. Ich bin das Leben hier gewohnt. Allein wäret Ihr in den Wäldern verloren und Euer Unternehmen ohne gute Aussichten.«

      »Mein Sohn hat einen sturen Kopf«, fügte Sollas mit einem tadelnden Blick hinzu, der verriet, dass er über den Entschluss seines Sohnes verärgert war. »Das werdet Ihr noch feststellen.« Er machte eine kurze Pause. Dann fuhr er fort: »Es wird wohl vergebene Mühe sein, zu versuchen, ihn von seiner Entscheidung abzubringen, daher gebe ich Euch mein Einverständnis dazu.« Sollas wandte sich an seinen Sohn. »Allerdings unter der Bedingung, dass du Herras nur bis zu den nördlichen Stämmen begleitest. Sie werden ihm den Weg hinein nach Lohringen weisen. Ich erwarte, dass du danach unverzüglich zurückkehrst.«

      Merit senkte den Kopf. »Ich werde deinem Wunsch Folge leisten, Vater«, antwortet er mit ergebenem Tonfall.

      Bevor Herras etwas zu diesem Gespräch zwischen Vater und Sohn beitragen konnte, ertönte eine weibliche und ihm mittlerweile wohlbekannte Stimme.

      »Auch ich werde mit Euch kommen.« Maleris hatte bereits eine ganze Weile hinter den Männern gestanden und alles mit angehört. Der Gedanke, Herras alleine gehen zu lassen, machte ihr das Herz schwer und sie wusste, dass sie es nicht ertragen würde, ihn einsam und schutzlos im Wald zu wissen. Lieber würde sie mit ihm gehen, als im Schutz des sicheren Lagers über sein Schicksal zu grübeln.

      »Das kommt gar nicht ihn Frage!«, widersprach Sollas energisch und sein Tonfall ließ dieses Mal keinen Zweifel daran, dass er keinen Widerspruch duldete.

      Trotzdem setzte Maleris trotzig nach: »Warum nicht?«

      »Weil es zu gefährlich ist. Noch nie ist eine Frau allein, ohne den Schutz ihres Stammes, durch den Wald gezogen.«

      »Aber ich wäre nicht allein. Und meine Fähigkeiten könnten Herras und Merit von Vorteil sein.« Das Mädchen gab nicht auf, aber Sollas schüttelte