Nadine T. Güntner

Allendas


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entfernt sein. Seinen Kriegern entgingen sie ebenfalls nicht und ein aufgeregtes Gemurmel machte sich unter den Sellag breit. Marek deutete ihnen, zu schweigen. Dann pirschten sie sich so leise, wie es ihnen möglich war, heran.

      Bald erspähten sie ein Lager, dessen braune und grüne Zelte sich so unauffällig dem Walde anpassten, dass es den Sellag wahrscheinlich entgangen wäre, hätten seine Bewohner nicht unbekümmert gesungen und gelacht.

      Sie schlichen sich noch ein wenig näher heran. Nahe genug, dass sie sehen konnten, was in der Mitte des großen Zeltkreises vor sich ging. Geduckt hinter Bäumen und Sträuchern, spähten die Sellag gebannt durch die Lücken zwischen den Zelten, aber den König entdeckten sie nicht.

      Doch gerade, bevor in Marek auch noch der letzte Funke Hoffnung erlöschen konnte, betrat der Gejagte plötzlich den Platz. Gefolgt von einem der merkwürdig gekleideten Lagerbewohner, ließ sich der »König« neben dem vermeintlichen Anführer der Lagerbewohner zum Essen nieder.

      Marek stieß einen fauchenden Laut der Freude aus, als er ihn erblickte. Er fühlte sich seinem Ziel näher, als jemals zuvor (was er zugegebenermaßen in diesem Moment auch war). Nur noch ein paar Meter und mehrere Dutzend der fremden Kreaturen trennten ihn von der Belohnung für all das, was er in seinem Leben hatte erdulden müssen. Beflügelt von seinen hoffnungsvollen Aussichten, schmiedete er seinen Plan und deutete seinem Gefolge, bis zum Einbruch der Nacht auszuharren.

      Herras III

      Herras bewunderte den Mut, mit dem Merit ihrem Vorhaben entgegenblickte. Man konnte geradezu sagen, dass der Waldmensch mit Begeisterung dabei war, das Nötigste zusammenzusuchen. Er besorgte einen Rucksack für Herras, der aus widerstandsfähigem braunen Leder gefertigt war. Dann packte er so lange Proviant und Feuersteine hinein, bis die Nähte zu platzen drohten. Als er damit fertig war, hob Merit die Säcke prüfend an und stellte zufrieden fest, dass sie trotzdem nicht zu schwer waren. Herras betrachtete sein Tun eine Weile schweigend.

      »Warum freut ihr Euch so auf das, was auf uns zukommen wird?, fragte der Allendasser schließlich, dem es gar nicht wohl bei der Vorstellung war, auf eine solch lange Wanderung zu gehen. Aber im Gegensatz zu Merit hatte er keine andere Wahl. »Euer Vater sagte, es können eine Menge Gefahren dort draußen lauern«

      »Wisst Ihr, Herras«, entgegnete der Jäger mit einem breiten Lächeln, »mein Vater ist ein alter Mann und er hält gerne an den alten Geschichten und Sagen unseres Volkes fest.« Merit griff nach seinem Gürtel, an dem ein kurzes Schwert befestigt war, und überprüfte ihn, während er fortfuhr: »Allerdings könnte in allem auch ein Funken Wahrheit stecken. Genau das werden wir herausfinden.« Er legte den Gürtel sorgfältig neben seinen Rucksack und nahm seine Armbrust zur Hand, bevor er Herras ansah. »Ich habe mein ganzes Leben auf diese Gelegenheit gewartet. Solange ich denken kann, habe ich gut behütet in der Gemeinschaft unseres Stammes gelebt. Nie ist mir ein wirkliches Abenteuer widerfahren. Als Kind habe ich gebannt den alten Geschichten über die einsamen Jäger gelauscht, die nur auf sich alleine gestellt durch den Wald streiften und den haarsträubendsten Gefahren ins Auge blicken mussten. Ich habe mir immer gewünscht, auch irgendwann einmal so wie sie zu sein, aber mein Vater hat mich nie gehen lassen. Er hat mir immer meine Verantwortung dem Stamm gegenüber vorgehalten, obwohl Korin sein Nachfolger sein wird. Doch jetzt lässt er mich ziehen und ich werde mein Glück nicht lange hinterfragen.«

      »Dann können wir nur hoffen, dass Euer Glück uns auch auf unserem Weg hold sein wird.« Herras konnte Merits Vorfreude noch immer nicht teilen. Schon jetzt wünschte er sich zurück in das friedliche Alland Pera, wo er sein ganzes Leben verbracht hatte. Aber er wusste, dass er einen weiten Weg gehen musste, bis vielleicht eines Tages alles wieder wie früher sein würde.

      Er spürte, wie Merit ihm die Hand auf die Schulter legte. »Macht Euch nicht zu viele Sorgen, mein Freund. Auch wenn ich nie weit aus dieser Region herausgekommen bin und ich nie den Norden unseres Landes besucht habe, so weiß ich doch, dass es keine Gefahren gibt, die wir nicht überwinden können, wenn wir zusammenhalten. Seht die Zukunft nicht so schwarz.«

      Herras nickte nur und es erschien Merit, als wären die trüben Gedanken seines neuen Weggefährten weit entfernt, an einem anderen Ort. Er beschloss, Herras ein wenig aufzumuntern und griff unter seine Lagerstatt, um etwas hervorzuholen, was er für ihn zurechtgelegt hatte. »Das möchte ich Euch schenken. Vielleicht könnt Ihr sie während unserer Reise gebrauchen, auch wenn wir Euren Umgang damit noch ein wenig verbessern müssen.« Er überreichte Herras die beiden Gegenstände feierlich und dieser betrachtete sie ehrfürchtig. Es handelte sich um eine fein geschnitzte Armbrust, die überraschend leicht war, obwohl sie aus massivem Holz gefertigt zu sein schien, und einen Ledergürtel mit einem Kurzschwert, der dem Merits glich.

      Rührung stand in Herras’ Augen. »Das kann ich nicht annehmen.«

      Merit winkte ab. »Ihr müsst! Ich habe Euch versprochen, dass ich Euch eine Armbrust schenke und ein Versprechen ist in unserem Stamm bindend. Außerdem kam man nicht in den Wald hinausziehen, ohne eine anständige Armbrust und ein Schwert bei sich zu haben.«

      »Danke.« Mehr brachte Herras nicht hervor. Er hielt noch für eine Weile die Geschenke andächtig in den Händen, dann legte er sie behutsam neben den Rucksack, den Merit für ihn gepackt hatte.

      »Wir sollten uns nun schlafen legen!«, bemerkte Merit nach einer Weile des Schweigens und Herras stimmte ihm zu.

      »Ich wünsche Euch eine gute Nacht!«, sagte er und schlug die Zeltplane zurück.

      »Das wünsche ich Euch auch, Herras«, rief Merit ihm nach, »und macht Euch nicht zu viele Gedanken heut’ Nacht.«

      Mit einem letzten, kurzen Blick über die Schulter, verließ Herras das Zelt. Im Lager war es bereits ruhig geworden, als er durch die Bäume zu seiner Unterkunft ging.

      Es dauerte lange, bis er in in einen unruhigen Schlaf fiel.

      Die Nacht lag schwarz über dem Lager. Die meisten der Feuerstellen waren bereits erloschen, als Korin ein leises Rascheln in den Gebüschen, nicht unweit der Zelte, vernahm. Zuerst hielt er es für einen Fuchs oder ein anderes Tier, das sich, durch den Geruch des gebratenen Fleisches angelockt, so nahe an das Lager herangewagt hatte, aber als er den grauen Schatten sah, der sich schnell und auf zwei Beinen dem Lager näherte, wurde ihm klar, dass es sich um kein Tier handelte. Zwei weitere Schatten folgten dem ersten.

      Marek hatte einen ausgefeilten Plan, soweit es ihm mit den beschränkten Mitteln, die ihm zu Verfügung standen, möglich war. Drei seiner Männer würden die Vorhut bilden. Sie würden sich von einer Seite an den Zeltkreis heranpirschen, bis sie entdeckt wurden, und Marek zweifelte nicht daran, dass dies schnell geschehen würde. Dann, wenn die Wachen ihnen ihre volle Aufmerksamkeit widmeten, würde Marek mit den restlichen fünf Sellag von der anderen Seite in das Lager eindringen. Ihre Aufgabe bestand ausschließlich darin, den König zu finden. Marek wusste, dass seine Strategie verheerende Verluste in den Reihen seiner Krieger zur Folge haben würde, aber das konnte ihm gleichgültig sein. Sein Ziel war der Kopf des Königs. Ihn musste er in den Händen halten und lebend zu seinem Herrn zurückkehren. Alles andere war nicht von Bedeutung und Kalerid würde nicht nach seinen Kriegern fragen, wenn er ihm den Kopf des Königs brachte.

      Sie waren bereits ein deutliches Stück näher gekommen, als Korin ihre gezückten Schwerter im Schein des Lagerfeuers glänzen sehen konnte. Ihre Augen und Zähne glitzerten hell in der Dunkelheit.

      Korin hob seine Armbrust und schoss den ersten Pfeil, noch während er die Wachen zusammenrief. In der Dunkelheit verfehlte das Geschoss sein Ziel, doch der zweite Pfeil traf. Die erste der grauen Kreaturen brach während des Laufens zusammen. Mittlerweile hatten sich auch die anderen Wachen um Korin gescharrt und ein ganzer Schwarm von Pfeilen hagelte auf die verbliebenen zwei Eindringlinge nieder.

      Trotzdem gelang es zumindest einem der beiden Krieger, sich bis zur Reihe der Wachen durchzuschlagen und obwohl bereits zwei Pfeile seine dicke Haut durchstoßen hatten, hob er mit letzter Kraft sein Schwert. Sein mächtiger Hieb traf Korin unerwartet, der vom Schmerz betäubt und blutend zusammenbrach. Dann durchdrang ein gezielter Schuss den Schädel