Nadine T. Güntner

Allendas


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wenn du dich beeilst, bist du zurück, bevor sie deine Nachricht finden und ersparst dir damit eine Menge Ärger«, sagte Merit, während er zu ihnen herantrat. Sein Ton glich dem seines Vaters.

      »Ich werde nicht zurückgehen«, erwiderte Maleris eigensinnig.

      »Doch das wirst du!«

      »Nein!«

      »Doch!«

      »Nein!«

      »Ihr werdet sie doch nicht allein durch den Wald zurückschicken wollen?« Herras konnte selbst kaum glauben, dass er die Worte laut ausgesprochen hatte. Wenn er jedoch ehrlich zu sich selbst war, freute er sich sehr darüber, dass die junge Heilerin bei ihnen war und er hätte sie nur schweren Herzens wieder ziehen lassen.

      Merit machte eine hilflose Geste mit den Schultern und stieß ein leises Stöhnen aus. »Wie ich sehe, bin ich wohl überstimmt.« Er blickte Herras an und tat bewusst so, als wäre seine Schwester nicht anwesend, nur um sie ein wenig aufzustacheln. »Außerdem würde sie uns wahrscheinlich ohnehin die ganze Zeit nachlaufen.«

      So einfach ließ sich Maleris allerdings nicht von ihrem Bruder aufziehen. »Das siehst du ganz richtig, Merit«, sagte sie trocken und ihr Bruder verdrehte kurz die Augen.

      »Dann sind wir jetzt zu dritt?«, fragte Herras, um sich zu versichern, dass die Meinungsverschiedenheit zwischen den Geschwistern nun beigelegt war.

      »So sieht es wohl aus«, erwiderte Merit missmutig. »Wir sollten jetzt weitergehen, denn wir haben bereits genug Zeit mit Kindereien verschwendet.« Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte sich Merit um und ging davon. Maleris warf Herras ein Lächeln zu und folgte ihrem Bruder. Herras steckte sein Schwert zurück in die Scheide und folgte ihnen.

      Während sich die Geschwister einige Meilen entfernt aufmachten, um ihren Weg mit Herras fortzusetzen, wurde im Lager des Stammes Andor Maleris’ Verschwinden bemerkt. Rulind fand den Brief auf der Lagerstatt ihrer Tochter, als sie Maleris am Morgen holen wollte, um mit ihr die Kräutervorräte aufzufüllen, die durch die bei dem nächtlichen Angriff verwundeten Männer fast völlig erschöpft waren. Sie las ihn mit Bestürzung und brachte ihn dann zu Sollas.

      Der alte Anführer stieß ein leises Seufzen aus, als er die wenigen Zeilen gelesen hatte und sah die Sorge in Rulinds Augen. Ehrlich betrachtet wäre er verwundert gewesen, wenn seine Tochter anders reagiert hätte.

      Sanft legte er die Hand auf Rulinds Arm. »Sie werden gut auf sie aufpassen, davon bin ich überzeugt«, flüsterte er ihr zu und wischte die Träne weg, die über ihre Wange rollte.

      Marek II

      Marek und der armselige Rest seiner Gefährten hasteten durch die Dunkelheit, bis sie sich ein gutes Stück vom Lager der Waldmenschen entfernt hatten. In einem kleinen Tannenhain fielen sie keuchend und schnaufend zu Boden. Die drei Sellag lauschten gebannt, aber außer ihrem eigenen stoßweise gehenden Atem konnten sie nichts hören. Sie schienen ihren Verfolgern entkommen zu sein. Eine Weile blieben sie reglos liegen, wagten es nicht, sich zu bewegen, aber noch immer war kein verdächtiges Geräusch zu hören.

      Plötzlich bemerkte Marek, wie sich hinter ihm etwas regte. Wuran kroch zu ihm heran. Er konnte ihn in der Dunkelheit kaum erkennen, obwohl die Augen der Sellag Dunkelheit gewöhnt waren; die meiste Zeit hatten sie in finsteren Höhlen verbracht, aber in dem dichten Hain herrschte tiefste Schwärze. Berol, der andere überlebende Krieger, lag schnaufend ein Stück hinter ihnen und brachte noch nicht die Kraft auf, sich zu bewegen.

      »Dein hervorragender Plan hat unsere Lage nur noch verschlechtert«, flüstere Wuran bissig und Marek konnte sich vorstellen, wie er grimmig sein Gesicht verzog. »Wir haben fünf Männer verloren. Wie sollen wir jetzt noch etwas ausrichten?«

      Marek war überrascht, dass Wuran überhaupt bis fünf zählen konnte.

      »Wir werden nicht aufgeben«, gab er zurück und unterstrich seine Entschlossenheit mit einem tiefen Knurren.

      »Und was hast du nun für unsere weitere Vorgehensweise geplant? Sollen wir hier ausharren, bis sie uns finden oder wir verhungert sind?« Wuran ließ keinen Zweifel daran, dass er mit Mareks bisher erbrachten Leistungen unzufrieden war.

      Marek schnaufte abfällig durch seine großen Nasenlöcher. »Ich danke dir für dein Vertrauen, Wuran«, zischte er spitz. »Aber um dich zu beruhigen, wir werden nicht hier auf unseren Tod warten. Stattdessen werden wir uns an den Rand dieses Tannenwaldes begeben, an eine Stelle, von der aus wir das Lager beobachten können. Es wird sich schon eine Gelegenheit für uns bieten.«

      Um genau zu sein, hatte Marek selbst noch keine Ahnung, wie diese Möglichkeit aussehen könnte, aber solange er nicht sehen konnte, was zwischen den Zelten der Waldmenschen vor sich ging, war es ihm schlecht möglich, weiterführende Pläne zu schmieden.

      »Und dort werden wir dann auf unser Ende warten«, kam es nun von Berol, der auch wieder zu Kräften gefunden hatte.

      »Nein, das werden wir nicht!«, entgegnete Marek heftig und sprang auf seine Beine. Dabei verfing er sich mit seinem Kopf in den niedrigen Ästen und fluchte heftig, bis er sich wieder von ihnen befreit hatte. Als er seine Würde wiedergefunden hatte, fügte er hinzu: »Du kannst aber auch gerne zu Kalerid zurückkriechen und bei ihm auf dein Ende warten. Es wird sicher nicht lange dauern.«

      Berol und Wuran erwiderten nichts und Marek war zufrieden damit. »Da uns, wie es scheint, niemand mehr gefolgt ist, gehen wir jetzt zurück zu dem Rand dieses Dickichts und werden dort über unsere Lage nachdenken, soweit ihr überhaupt des Denkens mächtig seid.«

      Mit einer heftigen Bewegung drehte sich Marek um und ging auf zwei Beinen in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Er musste aber bald feststellen, dass es einerseits sinnlos war, seine Führungsposition durch den aufrechten Gang zu unterstützen, denn die beiden anderen Sellag konnten es in der Dunkelheit ohnehin nicht erkennen, und andererseits behinderte ihn diese Haltung beim Gehen mehr, als dass sie von Vorteil war. Fortwährend schlugen ihm die niedrigen Äste ins Gesicht, bis es bald völlig zerkratzt war. Letztendlich ließ er sich doch wieder auf seine vorderen Gliedmaßen sinken und kroch durch das Unterholz. An dem Murren und Fauchen hinter sich konnte er erkennen, dass Berol und Wuran ihm folgten. Sie erreichten den Rand des Tannenhains zum richtigen Zeitpunkt und Marek kam zu dem Schluss, dass dies heute doch sein Glückstag sein musste, auch wenn er einen herben Rückschlag erlitten hatte: Als die Sellag ihre Köpfe durch die Zweige der letzten Tannen streckten und in den weitläufigen Laubwald hinausspähten, sahen sie im Licht der wieder entfachten Feuer, wie sich zwei Gestalten von dem Lager entfernten. Marek hätte beinahe einen Jubelschrei ausgestoßen, als er erkannte, dass der König unter ihnen war. Er stieß die Ellenbogen in die Rippen seiner beiden Krieger, die sich zu beiden Seiten dicht neben ihm postiert hatten. Das Glitzern in ihren Augen verriet, dass auch sie den Wink des Schicksals erkannt hatten.

      »Da ist unsere Gelegenheit«, zischte Marek leise, um ihr Versteck nicht zu verraten. »Bin ich nun ein guter Anführer, oder nicht?«

      »Das war reiner Zufall, sonst nichts«, knurrte Wuran zurück und Berol unterstütze ihn mit einem kurzen Brummen.

      »Aber wenn ich nicht angeordnet hätte, hierher zurückzukehren, wäre er unerkannt an uns vorbeigezogen.«

      Wuran hatte keine Lust, sich auf Streitereien mit seinem Anführer einzulassen und so entschloss er sich, nicht weiter auf die Aussagen dieses Emporkömmlings einzugehen. »Folgen wir ihnen jetzt, oder wollen wir es weiterhin dabei belassen, ihnen nachzuschauen?«, fragte er stattdessen.

      »Da mir nicht bekannt ist, dass du dich zwischen den Bäumen so unauffällig fortbewegen kannst wie ein Waldtier, werden wir noch etwas warten müssen«, erwiderte Marek zischend.

      Als die schemenhaften Gestalten des Königs und seines Begleiters schon beinahe in der Dunkelheit verschwunden waren, lösten sich die drei Sellag aus den Schatten der Tannen und schlichen hinter ihnen her. Es fiel ihnen nicht leicht, sich unbemerkt durch das Unterholz fortzubewegen und als der Tag hereinbrach und das Sonnenlicht den Wald erhellte, wurde es noch schwerer