Nadine T. Güntner

Allendas


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wandern, während die Sellag hinter dichten Büschen entlang kriechen oder sich durch das Unterholz ducken mussten. Dazu zerrte die ständige Aufmerksamkeit, die sie aufbringen mussten, um keinen unbedachten Schritt zu tun und sich durch ein Geräusch zu verraten, an ihren Kräften - mehr als es jemals ein Kampf getan hatte. Sellag waren gute Krieger, die es verstanden, gewaltig aufzutreten, aber auf eine leise und unauffällige Vorgehensweise verstanden sie sich nicht besonders gut und es begann, ihnen bald auf die Nerven zu gehen.

      Mehr als einmal machte Wuran Marek den Vorschlag, die beiden Wanderer von hinten anzugreifen und ihnen ein schnelles Ende zu bescheren, aber Marek winkte stets ab. Er würde sich nicht nochmal auf einen vorschnellen Angriff einlassen und das Gelingen seiner Mission damit aufs Spiel setzen. Er würde auf den Moment warten, in dem nichts mehr schief gehen konnte.

      Da sich die Sellag auf ihren eigenen Weg konzentrieren mussten und nicht besonders geübt im Beobachten des Waldes waren, fiel ihnen nicht auf, dass nur ein kleines Stück voraus ein weiterer Verfolger den beiden Wanderern dicht auf den Fersen war. Erst, als Herras und Merit stehen blieben, wurden auch Marek und seine Begleiter darauf aufmerksam. Geduckt hinter einer Hecke, die über und über in blaugelber Blüte stand, beobachteten die Sellag, was geschah. Mareks Unmut stieg erneut in ihm auf. Die Gruppe ihrer Opfer hatte sich auf drei erweitert. Auch, wenn es nur ein schwaches Weib war, das zu ihnen gestoßen war, so schwanden damit Mareks Chancen zumindest geringfügig. Die Gruppe verfügte nun über ein weiteres Schwert und eine weitere Armbrust, deren Durchschlagskraft Marek mittlerweile fürchten gelernt hatte.

      Weiterhin auf ihre Gelegenheit wartend, krochen die Drei hinter den Menschen her, als diese ihren Weg fortsetzten.

      Hondor IV

      Als durch die kleinen, vergitterten Fenster des Kerkers zu erkennen war, dass über Alland Pera ein neuer Tag anbrach, kamen die Sellag-Wachen mit schweren Eisenketten, mit denen sie die Gefangenen zu einer langen Reihe zusammenketteten. Die Menschen bekamen Hand- und Fußfesseln, die es ihnen ermöglichten, zu laufen, aber jeden Gedanken an Flucht unterbanden. Dann wurden sie hinauf in den Hof geführt.

      Unruhe und Angst kamen auf, als man sie durch die langen, schmalen Gänge stieß. Sie fürchteten, dass man sie nun zu ihrer Hinrichtung bringen würde und Hondor konnte hören, wie hinter ihm Gebete und Bitten an Hembras gemurmelt wurden, bis ein lauter Aufschrei der befehlshabenden Wache jedes Geräusch verstummen ließ. Dann waren nur noch das Rascheln der Ketten und das Geräusch mühevoller Schritte in den feuchten, unbeleuchteten Gängen zu vernehmen.

      Hondor wusste, was sie jetzt erwarten würde, aber er konnte auch nichts tun, um seine Landsleute zu beruhigen. Kalerid würde ihnen nichts antun, schließlich brauchte er ihre Arbeitskräfte. Er würde sie nach Elland bringen lassen und, wenn er ehrlich war, erwartete Hondor das Kommende mit gemischten Gefühlen. Er fürchtete das, was Kalerid nun seinen Leuten antun würde, zu welchen Schindereien er sie zwingen und mit welchen Mitteln er sie zum Arbeiten antreiben würde, aber er war auch neugierig darauf, ob sie den Muteral wirklich finden würden, ob es den Schatz tatsächlich gab. Gegen diese Neugier konnte er nichts tun, auch wenn ihn zeitgleich sein schlechtes Gewissen plagte.

      Im Hof erwarteten sie bereits einige angespannte Pferdefuhrwerke. Hondor erkannte sie wieder. Es waren die Karren, die für gewöhnlich benutzt wurden, wenn er mit seinem Gefolge zu einer Treibjagd ausritt. In ihnen wurde die Hundemeute transportiert, damit sie sich nicht schon vor der eigentlichen Jagd müde gelaufen hatte. Zu diesem Zweck waren große, eiserne Zwinger auf der Ladefläche angebracht, deren Türen nun weit offen standen, und dort hinein zwangen die Sellag ihre Gefangenen. Da Hondor an der Spitze der Reihe lief, musste er als Erster einsteigen, danach folgten Zorina und einundzwanzig weitere Gefangene. Am Schluss war der Zwinger zum Bersten gefüllt und Hondor wurde unsanft an die eisernen Gitterstäbe gedrückt.

      Den Sellag wurde allerdings klar, dass sie sich verschätzt hatten, denn mindestens die Hälfte der Gefangenen wartete noch auf dem Hof. So sahen sie sich gezwungen, weitere Wagen herbeizuholen, wobei Hektik ausbrach, denn Kalerid würde bald den Hof betreten. Er schätzte Verzögerungen nicht besonders. Während zwei weitere und damit auch die letzten Handwagen auf den Hof gebracht wurden, trat Kalerid, gefolgt von Rofin, durch das Hauptportal und begutachtete das Tun seiner Männer. Er schien sich nicht sonderlich an der Verzögerung zu stören, denn sie war nicht von langer Dauer. Als Kalerid sein Pferd bestieg, wurden bereits die letzten Gefangenen eingeladen und die Türen der Zwinger mit dicken Eisenketten verschlossen.

      Hondor spürte einen Stich in seinem Herzen, als er sah, wie Kalerid im Sattel seines gutmütigen Samlas Platz nahm. Niemand außer ihm hatte jemals sein geliebtes Pferd geritten (nicht einmal Herras, dem er es als Einzigem anvertraut hätte) und er konnte sehen, wie unzufrieden das Tier mit seinem Reiter war. Kalerid zog die Zügel zu straff an und stieß die Hacken zu fest in die Seiten des Tieres. Samlas bockte zweimal und bäumte sich auf, schien sich aber schnell mit seiner Lage abzufinden.

      Dann kam Kalerid zu Hondor, der ihn durch die Gitterstäbe hindurch zornig anblickte.

      »Ihr seid ein ganz hervorragender Reiter«, bemerkte er, während eines Anflugs von Galgenhumor ironisch, als der Heerführer Samlas mühsam neben ihm zum Stehen brachte.

      Der Sellag überging die Bemerkung mit hocherhobenem Kopf und sah Hondor mit herablassendem Blick an.

      »Du weißt, wohin unsere Reise geht!«, sagte er gelassen. »Also zeig mir den Weg!«

      Der König sah ein, dass es wenig Sinn haben würde, sich Kalerids Wunsch zu widersetzen oder ihn auf einen falschen Weg zu leiten, daher schloss er kurz ergeben die Augen, bevor er gedrückt antwortete: »Wenn wir aus dem Schlosshof heraus sind, müssen wir uns nach rechts wenden, dann führt eine kleine Straße den Berg hinab bis zum nördlichen Stadttor. Wenn wir dieses passiert haben, müssen wir uns vorerst nur geradeaus halten.«

      Kalerid nickte kurz und ritt an die Spitze des Trupps. Die Sellag hatten zu allen Seiten der Wagen Aufstellung bezogen und der Heerführer hatte dieses Mal all seinen Wachen Pferde zugestanden, denn er wollte so schnell wie möglich Elland erreichen.

      Rofin erwartete ihn in der vordersten Reihe. Der neue Lakai fühlte sich sichtlich unwohl auf seinem Pferd. Er hatte Mühe, das Tier ruhig zu halten, als Kalerid mit Samlas neben ihm zu Stehen kam und zerrte verbissen an den Zügeln. Der Heerführer gab ihm einen Schlag zwischen die Rippen, ein überdeutliches Zeichen dafür, dass er sich gefälligst nicht so anstellen sollte.

      Kurz darauf hob Kalerid den Arm und fauchte einige Worte in der sellagischen Sprache. Unter Jubel setzte sich der Trupp in Bewegung, dem Schlosstor entgegen.

      »Wohin bringen sie uns, Majestät?«, fragte Usadim leise, als das Gespann und der Zug die schmale, gepflasterte Seitenstraße hinunterholperte. Der stämmige Mann saß neben Hondor und sein braunes Haar klebte strähnig in seiner Stirn. Usadim war der Meister der Schlossküche, doch jetzt war er nur noch ein Schatten seiner selbst.

      »So darfst du ihn nicht nennen.« warf Zorina flüsternd, aber energisch ein. »Sie dürfen nicht erfahren, wer er ist. Er ist Herras!« Usadim betrachtete sie verständnislos.

      Die anderen zusammengekauerten Gefangenen auf dem Wagen musterten die Sprechenden neugierig.

      »Ja, mein Name lautet nun Herras«, bestätigte Hondor Zorinas Worte und erklärte das Thema damit für beendet, bevor sie noch die Aufmerksamkeit der Sellag auf sich zogen. Erklären konnte er es vielleicht später. Stattdessen beantwortete er Usadims Frage: »Sie bringen uns nach Elland.«

      »Und zu welchem Zweck?«, mischte sich nun eine weitere Stimme ein und unterbrach ihn damit, bevor er seine Erklärungen fortführen konnte. Diese etwas raue Stimme gehörte der alten Kurena, der königlichen Seherin. Hondor hatte sie im Kerker nicht zu Gesicht bekommen und, um ehrlich zu sein, hatte er sie auch nicht sonderlich vermisst. Aus irgendeinem Grund war er davon ausgegangen, dass sie tot war. Und wäre es so gewesen, hätte er ihr auch nicht sonderlich nachgetrauert. Sie hatte als Seherin im Dienste seiner Mutter gestanden. Die Königin hatte Kurena an den Hof geholt und nach ihrem viel zu frühen Tod hatte Hondors Vater sie dort behalten. Hondor hatte sie noch nie sonderlich gemocht. Ihre stechenden,