Nadine T. Güntner

Allendas


Скачать книгу

hatte viel auf ihr Können gehalten, doch Hondor empfand ihr Geschwätz bestenfalls als lästig.

      »Weil dort der Muteral verborgen sein soll«, erklärte Hondor ruhig, »Dies müsstet Ihr doch bereits wissen.« Er musterte Kurena abschätzend.

      »Muteral? Ihr meint den Schatz?«, fragte Usadim ungläubig und errettete damit Kurena von dem Zwang einer Antwort. »Aber es heißt doch, dass er überhaupt nicht mehr existiert.«

      Hondor nickte zustimmend. »Jedoch hat der Heerführer eine Karte, auf dem seine Lage eingezeichnet ist. Er soll unter dem Paratul liegen und dieser Sellag glaubt fest daran, dass er ihn dort finden wird.«

      »Und er braucht uns, um die Drecksarbeit zu machen?«, folgerte Zorina richtig.

      Hondor nickte erneut. »Ja, das dürfte aber besser sein, als uns sofort zu töten.«

      »Doch was wird sein, wenn wir den Schatz tatsächlich finden, oder wenn dieses Biest einsieht, dass er nicht dort ist?«, fragte Zorina.

      »Ich habe nicht vor, so lange zu warten, um das herauszufinden«, erwiderte Hondor entschlossen. Er kam nicht dazu, noch etwas hinzuzufügen, denn der Wächter, der dicht neben ihm ritt, war auf ihre Unterhaltung aufmerksam geworden. Knurrend stieß er zweimal mit dem Schaft seines Schwertes fest gegen Hondors Oberarm. Der König verzerrte schmerzerfüllt das Gesicht. Die Gefangenen wussten, dass sie nun zu schweigen hatten. Nur Kurena, die in der Mitte des Wagens saß und somit vor Angriffen von außen am besten geschützt war, wagte es noch einmal, sich näher an Hondor heranzubeugen.

      »Habe ich es Euch nicht gesagt? Immer und immer wieder? Aber Ihr wolltet einfach nicht auf mich hören.« Sie klang sehr selbstgefällig und das war in ihrer Lage, die nicht anders war, als die, in der sie sich alle befanden, recht unpassend.

      Hondor versuchte zuerst, sie zu überhören, doch der Ärger, der in ihm empor quoll, gewann letztlich doch die Oberhand. »Warum seid Ihr dann hier, wenn Ihr es bereits gewusst habt?«, zischte er sie zornig an.

      Die Seherin schwieg angesichts dieses ungehaltenen Ausbruchs. Der König würde sich niemals einsichtig zeigen. Er war wahrhaftig nicht geeignet. Doch sie musste sich eingestehen, dass sie unvorsichtig gewesen war; sie hätte es ebenfalls vorgezogen, nicht gefangen genommen zu werden. Doch in all den Kampfeswirren war es schon allein schwer genug gewesen, darauf zu achten, am Leben zu bleiben. Das Schicksal hatte andere Pläne für sie, das wusste Kurena, und es sah es ganz und gar nicht gerne, wenn man sich nicht an seine Pläne hielt.

      Sie hatten bereits vor einer Weile das Nordtor passiert und befanden sich nun auf der geraden, aber etwas hügeligen Straße nach Norden. An ihnen zogen grüne Wiesen und kleine Haine vorbei. Hondor konnte sehen, wie hinter ihnen Alland Pera kleiner und kleiner wurde und es machte ihm das Herz schwer, als er sah, was aus seiner schönen Stadt geworden war. Etwas westlich von Alland Pera, am unteren Rand des Hügels, auf dem die Stadt lag, konnte der König eine dunkle Rauchwolke aufsteigen sehen, aber er konnte sich nicht erklären, wovon sie stammte.

      Normalerweise konnte ein geübter Reiter Elland in weniger als viermal fünfzig Kils erreichen, aber der Zug kam nicht annähernd so gut voran. Hondor schätzte, dass sie erst am frühen Abend an ihrem Ziel eintreffen würden.

      Auch Kalerid hatte auf ein schnelleres Vorankommen gehofft. Er war zwar ein zäher, wenn auch ungeschickter Reiter, der seinem Gefolge keine Rast gönnte, aber mehrfach brach einem der im Reiten ebenso ungeübten Sellag das Pferd aus und es kostete jedes Mal Zeit, dem Abgeworfenen wieder auf die Beine zu helfen und das Pferd einzufangen. Kalerid wurde über die so entstandenen Verzögerungen mehr und mehr ungehalten.

      Bei den Gefangenen rief diese Abwechslung ein wenig Erheiterung in ihrer tristen Trübseligkeit hervor, bis Kalerid drohte, ihnen die Zunge herausschneiden zu lassen. So setzte der Tross die Reise schweigend fort.

      Herras V

      Merit hatte seine gute Laune bald wieder gefunden. Fröhlich pfeifend lief er voran, Maleris und Herras folgten ihm. Sie hatten gerade eine Rast an einer kleinen Waldquelle hinter sich, an der sie ihre Wasserbeutel gefüllt hatten. Erfrischt und gestärkt fiel ihnen das Laufen noch ein wenig leichter. Sie schwiegen in freundschaftlichem Einvernehmen. Herras versuchte, die Schönheiten des Waldes in sich aufzunehmen und mit ihnen seine dunklen Gedanken zu vertreiben. Maleris war vergnügt. Leichtfüßig schwebte sie geradezu über den unebenen Waldboden und machte sich einen Spaß daraus, ihrem Bruder hin und wieder einen falschen Zwischenton zuzupfeifen, um ihn aus seiner Melodie zu bringen. Ihr Lachen klang hell und klar durch den Wald und erhellte Herras’ Seele, wenn Merit sie mit einem gespielt strengen Blick bedachte.

      Schließlich durchbrach Herras das Schweigen. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du die Tochter von Sollas bist?« Sie waren ganz unbewusst in eine mehr vertraute Anrede übergegangen, nachdem sich Maleris den beiden Männern angeschlossen hatte.

      Ihr Blick verfinsterte sich ein wenig, als sie ihn kurz anblickte. »Wäre das von Bedeutung gewesen?«, fragte sie hart.

      Herras wurde klar, dass er die falsche Frage gestellt hatte. Nun konnte er aber nicht mehr zurück. »Nein«, antwortete er zögernd, »es fiel mir nur auf. Du hast mir so viel über dich und dein Volk erzählt, daher wundert es mich, dass du gerade dies nicht erwähnt hast.«

      Maleris schwieg einen Augenblick und Herras gewann schon den Eindruck, dass sie nicht weiterreden wollte, als sie leise seufzte. »Sollas ist nicht mein wahrer Vater, aber er nahm sich meiner Mutter und mir an. Er kümmerte sich um mich, als wäre er mein Vater. Er hat mir alles beigebracht, was eine Tochter von ihrem Vater lernen muss und hat mir alles gegeben, was ich brauchte. Es war seine Pflicht als Stammesführer. Meine Mutter und ich haben ihm viel zu verdanken...« Sie stockte.

      »Aber?«, sprach Herras das unausgesprochene Wort aus, das zwischen ihnen hängengeblieben war.

      »Nichts aber!«, erwiderte Maleris trotzig.

      »Und was ist mit deinem leiblichen Vater geschehen?«, fragte er weiter, auch wenn er bereits damit rechnete, keine Antwort zu bekommen.

      Der Schatten auf Maleris’ Gesicht verdunkelte sich noch weiter und ihre Wangenknochen zeigten, dass ihr Kiefer mahlte. Es war offensichtlich, dass es ihr nicht angenehm war, darüber zu reden.

      »Er ist verschwunden«, antwortete sie schließlich. »Mein Vater war ein Einzelgänger. Er gehörte zwar zu unserem Stamm, aber hat immer seine eigenen Wege gesucht. Allerdings kam er immer wieder zurück, um sich um mich und meine Mutter zu kümmern ...bis er eines Tages nicht mehr kam.«

      Wut und Trauer zeigten sich in ihrem Gesicht und bedrückendes Schweigen machte sich breit, als ihre letzten Worte verklungen waren.

      »Das tut mir leid«, sagte Herras nach einem Moment leise.

      Das Mädchen sah ihn mit traurigen Augen an. »Es braucht dir nicht leid zu tun. Es ist nicht deine Schuld und du konntest es nicht wissen, als du fragtest.«

      Damit setzte Maleris der Unterhaltung ein Ende und beschleunigte ihren Schritt, um ein Stück vorauszugehen. Sie lief an Merit vorbei, der stehen geblieben war, als er bemerkt hatte, dass seine Begleiter ein Stück zurückgefallen waren. Er hatte den letzten Teil der Unterhaltung verfolgen können und trat nun neben Herras, als dieser zu ihm aufschloss. »Sie ist noch immer nicht darüber hinweg«, sagte er leise zu dem Allendasser und dieser nickte verstehend.

      Es würde lange dauern, bis Maleris’ Stimmung sich wieder besserte. Schweigend lief sie voran und die Männer konnten ihre Tränen nicht sehen. Doch Herras und Merit ahnten, dass sie da waren.

      Als der Abend nahte, wählte Merit einen geeigneten Platz für ihr Nachtlager. Unter einem großen Baum entfachte er ein Feuer und zog aus, um etwas Essbares zu erjagen. Auch Maleris entfernte sich ein Stück, um ihre spärlichen Kräutervorräte zu ergänzen.

      Herras wurde die Aufgabe zugeteilt, auf ihre Habe zu achten. Allein und im Schein des Feuers übte er mit seiner Armbrust.

      Die Gelegenheit für die Sellag wäre nun günstig gewesen, wenn sie nur da gewesen wären.