Nadine T. Güntner

Allendas


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kam Helaras, um euch von euren Peinigern zu befreien und auch diesmal werden wir einen Weg finden, die Eindringlinge zu vertreiben«, entgegnete Merit zuversichtlich.

      »Und mit etwas Glück wird es diesmal nicht über ein Jahrhundert dauern«, fügte Maleris ebenso entschlossen hinzu.

      »Es scheint das Schicksal meines Volkes zu sein, immer die Geretteten zu sein - sofern mein Volk überhaupt noch existiert.« Herras spielte mutlos mit einer der Kerzen.

      »Das werden wir nur herausbekommen, wenn wir unseren Weg fortsetzen. Diesmal wird der Retter deines Volkes vielleicht aus dessen eigenen Reihen kommen«, erwiderte Maleris und Herras bemerkte, dass ihre Anrede vertrauter geworden war.

      »Ich weiß noch immer nicht, ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin«, antwortete er schwach.

      »Das wirst du.« Merit legte ihm freundschaftlich und ermutigend die Hand auf den Arm. »Man wächst mit den Bürden, die einem auferlegt werden. Das Schicksal wählt immer den Richtigen.«

      »Aber ich habe dem Schicksal ins Handwerk gepfuscht. Eigentlich sollte Hondor nun an meiner Stelle sein.« Herras ließ die Schultern hängen.

      »Das Schicksal lässt sich nicht beeinflussen«, erwiderte Merit. »Es war dir so vorbestimmt, sonst wärst du nicht hier.«

      Herras erwiderte nichts. Die bedrückte Stimmung blieb, als sie die Kerzen löschten und sie sich schlafen legten.

      Auch in dieser Nacht übernahm Merit die erste Wache. Er holte aus seinem Rucksack eine Decke hervor und ließ sich unter dem Steinbogen des Eingangs nieder. Seine Armbrust legte er griffbereit an seine Seite. Den Rücken an die Steine gelehnt, blickte er hinaus in die Nacht.

      In dieser Nacht fiel es Herras nicht so leicht, Schlaf zu finden, obwohl ihm die Müdigkeit und Erschöpfung tief in den Knochen saßen. Eine Fülle von Gedanken, die unermüdlich in seinem Kopf kreisten, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt und mit weit offenen Augen, starrte er hinauf in die unendlich wirkende Dunkelheit des Turmes und grübelte über seine und die Zukunft seiner Gefährten nach. Was würde sie erwarten? Würde er den Aufgaben gewachsen sein, die auf ihn zukommen mochten? Er versuchte, sich das Land im Norden vorzustellen, wohin sie ihr Weg führen sollte. Wie würden ihn die Menschen dort aufnehmen? Wie würden sie auf sein Anliegen reagieren? Was würde geschehen, wenn sie ihn nicht anhören würden?

      Maleris hatte sich in ihre Decke gerollt und ihr ruhiges Atmen verriet, dass sie schon seit einiger Zeit eingeschlafen war. Herras allerdings starrte noch lange in die Schwärze über ihm, bevor auch er in einen flachen und unruhigen Schlaf fiel.

       8) Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass den Allendassern der erste Teil dieser wahren Geschichte nicht mehr so geläufig ist. Wie es mit vielen Taten und Ereignissen geschieht, die für den Erzählenden nicht sehr ruhmreich ausfallen, wurde dieser Teil unter den großen Teppich des Vergessens gekehrt. Also wollen auch wir es damit auf sich beruhen lassen. Die unglückliche Rolle, die König Ralirand bei der Versklavung seines eigenen Landes spielte, soll an dieser Stelle nicht näher erwähnt werden. Es wäre für ihn ganz und gar nicht ruhmreich.

      Marek III

      Marek streckte sich im feuchten Laub aus und fühlte sich unwohl. Berol und Wuran taten es ihm gleich und ihr Anführer konnte im fahlen Mondlicht die unzufriedenen und wütenden Blicke sehen, mit denen sie ihn fortwährend bedachten. Berol knurrte unwillig und Marek konnte es ihm nicht mal verdenken. Der Regen machte ihnen allen zu schaffen. Selbst jetzt, wo er aufgehört hatte, lag noch immer Feuchtigkeit in der kühlen Nachtluft und kroch den Sellag in jede Ritze ihrer hornigen Haut. Für feuchte Wetterverhältnisse waren Sellag nicht geschaffen. Wären sie zu Hause in ihrem Gebirge gewesen, hätten sie sich in die tiefsten Räume ihrer Höhlen zurückgezogen und ausgeharrt, bis sich das Wetter besserte und die Nässe aus der Luft verschwunden war. Doch diese Möglichkeit bot sich ihnen nun nicht. Sie hatten keinen Unterschlupf für die Nacht und so hatten sie sich im Windschatten einer niedrigen Mauer zwischen die Büsche geduckt.

      Einen Vorteil hatte der Regen ihnen gebracht: Der König und seine Begleiter waren unaufmerksamer geworden. Sie hatten sich die Kapuzen ihrer Mäntel tief ins Gesicht gezogen und so fiel es ihren Verfolgern leichter, ihnen auf den Fersen zu bleiben. Das feuchte Laub und das Prasseln des Regens dämpften die Schritte der Sellag.

      Wuran und Berol machten Marek Vorwürfe, dass er noch immer keinen Angriff gewagt hatte und der Anführer wusste, dass er bald handeln musste, wenn er nicht riskieren wollte, dass die beiden Krieger etwas auf eigene Faust unternahmen.

      Von seinem Versteck aus konnte Marek mühelos hinüber zu dem Unterschlupf der Menschen blicken, er musste sich nur vorsichtig ein wenig nach oben schieben und über die Mauer schielen. Innerhalb des verfallenen Gemäuers wuchsen nur wenige Bäume und das Licht des Mondes, der nun wieder am wolkenlosen Himmel strahlte, konnte bis auf den Waldboden dringen, ohne von Bäumen und hohen Hecken daran gehindert zu werden.

      Marek konnte erkennen, dass die Menschen ihr Lager bewachten. Auch konnte er erkennen, dass der Turm nur einen Ausgang besaß und darin würde sein Vorteil bestehen. Wenn sie ihren Angriff geschickt durchführten, würden ihre Opfer innerhalb des Turmes in der Falle sitzen.

      »Es dürfte nicht schwer werden, sie dann zu überwältigen«, dachte Marek gerade bei sich, als er bemerkte, dass Wuran ein Stück näher an ihn herangekrochen kam.

      »Wir dürfen uns diese Gelegenheit nicht entgehen lassen!«, knurrte er.

      Marek nickte unwirsch. Er wusste, dass Wuran Recht hatte, auch wenn ihm nicht gefiel, es sich anhören zu müssen.

      »Wir werden heute Nacht unseren Angriff durchführen!«, entgegnete er bestimmt.

      »Dann lass uns nicht noch länger warten«, warf Berol ein. Der Sellag zog sein Schwert und richtete sich auf die Hinterbeine auf. Nun überragte er die Mauer um fast zwei Köpfe und es wirkte, als wollte er sofort losstürmen.

      »Du Trottel!«, zischte Marek zornig und gab Berol einen harten Schlag in die Kniekehle. Dieser sank mit einem kurzen Aufjaulen wieder zurück auf alle Viere. »Du wirst uns mit deiner maßlosen Dummheit noch verraten!«

      Vorsichtig lugte abermals Marek über die Mauer hinweg und hielt unwillkürlich den Atem an, als er hinüber zu dem Versteck der Menschen starrte. Die Wache schien sie gehört zu haben. Zumindest blickte sie nun geradewegs in ihre Richtung. Marek wagte es nicht, sich zu bewegen. Zu seiner Erleichterung schien die Wache sie nicht gesehen zu haben. Der rothaarige Waldmensch wandte den Blick wieder ab und widmete seine Aufmerksamkeit etwas anderem, das sich innerhalb des Turmes verbarg.

      Mit einem zornigen Glitzern in den Augen wandte sich Marek nach einigen Augenblicken des Abwartens wieder seinen Begleitern zu.

      »Wir dürfen nichts überstürzen«, flüsterte er ihnen nachdrücklich zu. »Wir werden uns dicht an den Mauern halten, bis wir uns auf der rückwärtigen Seite des Turms befinden. Dann werden wir sie von hinten, um den Turm herum, angreifen. So können wir sie überraschen.« Mareks Tonfall schloss jeden etwaigen Einspruch seiner Begleiter aus. Berol und Wuran stimmten murrend zu und Marek gab den Befehl zum Aufbruch. Sie kamen gut voran, als sie an dem niedrigen Gemäuer entlang krochen. Mittlerweile hatten die Sellag reichlich Übung im Schleichen zwischen Büschen und Bäumen.

      Mareks Herz schlug vor Aufregung ein wenig heftiger; er hatte jetzt keine Zweifel mehr an dem Gelingen seines Planes. Dann geschah etwas Unerwartetes.

      Zuerst sah er nur zwei leuchtende gelbe Augen in der fahlen Dunkelheit. Dann hörte er Berols Aufschrei, bevor dieser mit zerfetzter Kehle zu Boden fiel. Erst jetzt konnte er den massigen Körper und die entblößten, weißen Reißzähne sehen, gerade, als sich die Bestie auf Wuran stürzte. Ein weiteres Augenpaar erschien in der Dunkelheit, dann ein drittes. Panik ergriff Marek. Er vergaß auf der Stelle all seine Pläne, wandte sich um und rannte los, ins Innere der Ruine.

      Herras VII

      Herras