Nadine T. Güntner

Allendas


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verloren ihren gefährlichen Glanz und es fiel krachend auf die Seite. Regungslos blieb Herras liegen und rang nach Atem, bis er begriffen hatte, was geschehen war. Dann erst konnte er sich wieder aufraffen.

      Währenddessen hatte das andere riesige Wolfswesen Maleris zu seinem Opfer erwählt. Mit gewaltigen Sätzen sprang es auf sie zu und zeigte seine langen Eckzähne. Das Mädchen zögerte nicht, wich dem Monstrum aus und ergriff die Flucht, quer über die Lichtung der Ruine. Leichtfüßig rannte sie über den unebenen Waldboden. Der Wolf brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass ihm sein Opfer entflohen war. Wütend schnaufend schüttelte er seinen massigen Kopf und seine Augen funkelten zornig, als er seinen schweren Körper erstaunlich wendig herumdrehte und die Verfolgung aufnahm. Maleris hatte einen kleinen Vorsprung, den sie jedoch nicht lange halten konnte. Bald konnte sie schon den heißen Atem des Untiers in ihrem Nacken spüren. Eine Wolke schob sich nun vor den Mond, als wollte dieser sich dahinter verstecken. Die Lichtung verdüsterte sich und Maleris fiel es schwer, zu erkennen, wohin sie lief. In diesem Moment tauchte plötzlich, aus der Dunkelheit der Nacht, über ihr ein großer, schwarzer Vogel auf. Maleris konnte seine Schreie hören und den Luftzug spüren, als er niedrig über sie hinweg glitt. Sie blickte über ihre Schulter und sah, wie sich der gewaltige Rabenvogel auf das Wolfswesen stürzte und seine Krallen tief in dessen Fell und die darunter verborgene Haut grub.

      »Olog!«, dachte Maleris andächtig, als sie ein Stück entfernt stehen blieb und das Geschehen mit ungläubigen Augen betrachtete. Der Vogel hatte sich tief in dem Nacken des Untiers verkrallt und hieb mit seinem langen Schnabel auf dessen Schädel ein, versuchte seine Augen zu treffen. Der Wolf warf sich fauchend und jaulend hin und her, in dem verzweifelten Bemühen, den Angreifer von sich abzuschütteln. Es gelang ihm nicht.

      Hinter ihnen kamen Merit und ein noch immer angeschlagen wirkender Herras herbeigerannt. Der Allendasser stieß einen überraschten Laut aus, als er sah, was dort geschah. Auch Merit war das Erstaunen deutlich ins Gesicht geschrieben, als er noch ein Stück näher herantrat. Und sogar der Mond lugte nun wieder neugierig hinter seiner Wolke hervor. Merit legte seine Armbrust an und zielte. Sein Pfeil traf den massigen Körper des Wolfes zwischen die Rippen. Ein weiter blieb im Hals stecken. Mit einem letzten Aufschrei knickten dem Ungeheuer die Beine unter dem Körper weg und nach einem letzten Zucken blieb es reglos liegen.

      Olog ließ von dem toten Wolfswesen ab und breitete seine weiten Schwingen aus. Mit wenigen Flügelschlägen schwang er sich auf einen niedrigen Ast an einem der umstehenden Bäume und blickte auf die Wanderer herab. Seine gelben Augen wirkten beinahe traurig in der Dunkelheit, als er die drei Gefährten musterte, die langsam näher traten und mit ehrfürchtigen Blicken zu ihm aufsahen.

      Maleris brachte als Erste ein Wort über die Lippen. »Ich danke dir, Olog. Du hast mir das Leben gerettet«, sagte sie und erstarrte im selben Augenblick, als sie die Kette sah, die der Vogel um seinen Hals trug, und die im Licht des vollen Mondes glitzerte. Sie konnte den Anhänger, der daran hing, nur schemenhaft erkennen, aber es gab keinen Zweifel, denn er war ihr so vertraut wie ihr eigenes Spiegelbild im Wasser eines klaren Waldsees. Ein erstickter Laut kam über ihre Lippen und Tränen traten in ihre Augen. Herras und Merit bemerkten den Anhänger nicht und so bedachte der Mensch das Mädchen nur mit einem erstaunten Blick. Merit hingegen hielt ihr Verhalten für eine verständliche Reaktion auf das eben erlebte und die Konfrontation mit dem sagenumwobenen Rabenvogel. Was wirklich in Maleris vorging, vermochte er nicht zu erahnen. Auch Olog sah ihre Tränen, die still über ihre Wagen liefen und er stieß einen traurigen und klagenden Laut aus. Mit einem letzten Blick auf Maleris erhob er sich in die Lüfte und verschwand am Nachthimmel. Maleris, Merit und Herras standen noch eine lange Weile schweigend da und starrten hinauf zu dem nun verwaisten Ast, als müssten sie sich erst versichern, dass es auch wahr war, was sie soeben erlebt hatten.

      »Was hast du?«, fragte Herras Maleris schließlich. Noch immer verstand er die Tränen des Mädchens nicht.

      Sie wischte sich mit dem Handrücken die Nässe aus dem Gesicht. »Nichts!«, erwiderte sie und ihr Tonfall ließ nicht daran zweifeln, dass sie jetzt nicht darüber sprechen wollte. »Was ist mit ihm?«, fragte sie stattdessen und deutete auf die bedauernswerte Kreatur, die das erste Untier unter sich begraben hatte. Sie wussten nicht einmal, wer, oder was es gewesen war, denn sie hatten ihr Augenmerk fast ausschließlich auf die Wolfswesen gerichtet, von denen es verfolgt worden war. »Sollten wir nicht nachsehen, wie es ihm geht?«

      Merit nickte zustimmend und riss endlich seinen Blick von dem verlassenen Ast los. Noch immer konnte er nicht glauben, dass er Olog wirklich gesehen hatte.

      Gemeinsam ging sie zurück zu ihrem Lagerplatz hievten den schweren Kadaver zur Seite. Herras begann zu fluchen, als er erkannte, was sich darunter verbarg.

      »Bei Hembras, verflucht soll er sein, das ist ein Sellag«, stieß er voller Zorn hervor. »Wie kommt er hierher?«

      »Er muss uns gefolgt sein«, vermutete Merit.

      Der Sellag hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht. Maleris beugte sich zu ihm herunter und tastete an seinem Hals. Vielleicht konnte sie so etwas wie einen Puls oder ein anderes Lebenszeichen finden. In der Beuge zwischen dem hornigen Körper, der unter einem Kettenhemd steckte, und dem weicheren Halsansatz konnte sie etwas erfühlen. »Er lebt noch«, stellte sie fest.

      »Dann sollten wir ihn töten, bevor er aufwacht und uns alle umbringt.« Herras griff nach seinem Schwert. Er war bereit, dem Sellag sofort die Kehle durchzuschneiden. Merit streckte die Hand nach seinem Arm aus und hielt ihn davon ab. Er selbst hatte bereits seine Armbrust schussbreit angelegt, hielt sich aber zurück.

      »Nur nichts überstürzen«, versuchte er Herras zu besänftigen. »Vielleicht kann er noch hilfreich für uns sein.«

      »Hilfreich? Der?« Herras’ Augen funkelten wild. »Ich wüsste nicht, wie der uns hilfreich sein sollte.«

      »Das werden wir sehen«, entgegnete Merit ruhig. »Wir sollten ihn zuerst einmal fesseln.«

      Herras verstand die unausgesprochene Aufforderung Merits und machte sich widerwillig auf den Weg, die Stricke zu holen, die er in Merits Rucksack wusste. Als er zurückkehrte, hatte Maleris sich daran gemacht, den bewusstlosen Sellag zu untersuchen, soweit es ihr bei dem ihr unbekannten Wesen möglich war. »Er scheint nicht weiter verletzt zu sein, außer der Fleischwunde an seinem Arm. Ich habe eine Salbe dabei, die wir für seine Heilung verwenden können. Seine gepanzerte Haut und das Kettenhemd scheinen das Schlimmste verhindert zu haben«. Sie banden dem Sellag Hände und Füße zusammen und trugen ihn, unter heftigem Protest von Herras, in das Innere des Turmes.

      Als er aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, fand Marek sich in einer ihm sehr unangenehmen Situation wieder. Er hatte noch nicht die Augen geöffnet, als er bereits die Stimmen der Menschen vernahm.

      »Was sollen wir nun mit ihm machen?« Es war eindeutig die Stimme des »Königs«, die er hörte.

      Vorsichtig versuchte Marek, sich zu bewegen, aber es gelang ihm nicht. Er öffnete die Augen einen Spalt weit und schielte unter seinen Lidern hervor. Ganz offensichtlich hatten sie ihn in eine Ecke des Turmes verfrachtet, Hände und Füße fest zusammengebunden und miteinander verschnürt. In seine Nase stieg ein widerlicher Geruch und aus den Augenwinkeln konnte der Sellag erkennen, dass sie wohl von der grünen Paste zu kommen schien, die auf die Wunde an seinem Arm aufgetragen worden war. Schmerzen verspürte er kaum.

      Langsam kehrte auch seine Erinnerung zurück und ihm wurde klar, wie er in diese missliche Lage geraten war. Er entsann sich an die riesigen Untiere, die ihn aus seinem Versteck hinter den Büschen gejagt und ihn dann verfolgt hatten, nachdem seine Krieger ihre Opfer geworden waren. Als er bereits erwartet hatte, dass sein Leben nicht einmal mehr einen Wimpernschlag lang währen würde, brach das Biest plötzlich über ihm zusammen und begrub ihn unter seinem massigen Leib. Das Gewicht seines Angreifers hatte ihm die Luft aus den Lungen geraubt, bis ihm schließlich schwarz vor Augen geworden war. Den Tod des Untiers musste er den Menschen zu verdanken haben und diese hatten ihre Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen und ihn gefangen genommen.

      Marek wurde elend zumute, auf eine sehr wütende und hilflose Weise. An seiner Aufgabe war er nun endgültig gescheitert und zudem befand