Nadine T. Güntner

Allendas


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Gefangenen beiseite, die er als störend empfand.

      Rofin, der die Seite seines Herrn flankierte, rief: »Tretet zur Seite! Macht Platz für den Heerführer!« Auch die aufgeregten Sellag wichen ehrfürchtig zur Seite und gaben Kalerid den Blick auf ihre Entdeckung frei.

      Sie war beinahe von enttäuschender Unauffälligkeit, wie der Heerführer feststellen musste, aber sie ließ Großes erahnen. Eine Tür, oder besser ein Loch inmitten des Hügels, ummauert mit groben, wenig behauenen Steinen, um ihm Halt zu geben, offenbarte einen dahinter liegenden Tunnel, dessen Ende sich in tiefster Dunkelheit verlor. Man hatte die Pforte, so wie den ganzen Hügel, mit Erde zugeschüttet, um sie zu verdecken, aber der Gang war, soweit Kalerid erkennen konnte, frei und begehbar. Der Heerführer konnte sehen, dass er gemauert war, um ihn vor dem Einstürzen zu bewahren. Ein kleiner Erdrutsch hatte ihn nun freigegeben.

      Kalerid hätte vor Begeisterung in die Hände klatschen können, doch er ließ sich inmitten der Gefangenen nicht dazu herab. Mit grimmigem Gesichtsausdruck begutachtete er unter den erwartungsvollen Blicken der umstehenden Sellag das Mauerwerk, trat vorsichtig ein paar Schritte in den Tunnel hinein, aber unterdrückte den Drang, einfach hineinzustürmen und den Schatz, der ihn am Ende der Schwärze erwarten würde, in Besitz zu nehmen. Prüfend fuhr er mit seinen langen, spröden Fingern über das Mauerwerk. Es schien massiv und stabil zu sein.

      »Geht nicht zu tief hinein, Majestät«, hörte er Rofin hinter sich flüstern. »Man weiß nicht, was einen erwartet. Vielleicht gibt es Fallen.«

      Kalerid musste seinem Diener Recht geben. Widerwillig verließ er den Tunnel und trat wieder hinaus in das Tageslicht.

      »Wir müssen einen Kundschafter vorausschicken«, stellte er fest und hörte, wie sich unruhiges Gemurmel unter den umstehenden Wachen breit machte. Kurz entschlossen erwählte er den nächstbesten Gefangenen, der sich im näheren Umkreis befand und noch einen einigermaßen kräftigen Eindruck machte. »Er wird gehen.« Hondors Herz setzte für einen Schlag aus, als er Kalerids grauen Finger auf sich zeigen sah. Zorina stieß einen entsetzten Laut aus. Sie wollte protestieren, aber es hätte ohnehin keinen Sinn gehabt. Usadim brummte kurz und murmelte etwas, das Hondor aber nicht verstand. Er erwiderte gebannt Kalerids kalten Blick mit dem erwartungsvollen Funkeln darin, während er spürte, wie er von zwei Wachen gepackt und nach vorne gezerrt wurde.

      »Bindet ihn an eine Kette, damit er nicht fliehen kann«, ordnete der Heerführer an. »Und gebt ihm eine Fackel, damit er sich im Dunkeln nicht das Genick bricht.«

      Zwei Sellag rannten los, um das Befohlene zu holen. Ein ausreichend langes Seil wäre wohl leicht ausfindig zu machen gewesen, doch ein einfaches Hanfseil, eine Fackel, welche die Dunkelheit erhellen sollte und ein Gefangener, den er noch gerne behalten wollte, schienen dem Heerführer eine zu gefährliche Kombination.

      Einige Kils später schnappte das schwere Schloss zu, das die lange Eisenkette mit Hondors Fesseln verband. Die Fackel wurde entzündet und in Hondors Hand gedrückt.

      Der König wusste nicht, was er denken und fühlen sollte. Er hatte nicht die geringste Vorstellung, was ihn im Inneren des Baus erwarten würde. Er empfand Furcht aber auch eine gewisse Aufregung. Würde er nun wirklich den sagenumwobenen Schatz zu Gesicht bekommen?

      Unsanft wurde er in den Gang hinein geschoben und es blieb ihm nichts anderes übrig, als einen Fuß vor den anderen zu setzen. Zurück konnte er nicht. Der Eingang war verstopft von neugierigen Sellag, allen voran Kalerid, der selbst die Kette in seinen Händen hielt und sie Stück für Stück nachließ. Vorsichtig tastete sich Hondor Schritt für Schritt voran. Der Gang war dunkel, aber der Fackelschein erleuchtete ihn ausreichend. Feuchtigkeit und abgelagerte Mineralien glitzerten an den Wänden. Der Weg führte in einem sanften Gefälle nach unten, aber er war eben und Hondor hatte keine Schwierigkeiten, voranzukommen. Nach einer Biegung verschwand der Eingang hinter ihm und der König hatte das Gefühl, nun ganz alleine mit sich und der ihn umgebenden Dunkelheit zu sein, die nur durch den Schein seiner Fackel ein Stück von ihm fern gehalten wurde. Nur das Klirren seiner Ketten begleitete ihn, doch ihr Klang wurde von dem Rauschen seines Blutes übertönt, das durch seinen Körper raste. Hondor schlug das Herz bis zum Hals, er konnte es in seinen Schläfen pochen spüren.

      »Genau genommen gehört der Schatz mir«, fuhr es ihm durch den Kopf, aber er schob den Gedanken schnell von sich. Er durfte sich jetzt nicht von solchen Überlegungen ablenken lassen. Er musste achtsam sein. Niemand wusste, ob sich doch unvorhersehbare Gefahren zwischen dem arglos anmutenden Schwarz der Wände verbargen. Jeder Muskel in Hondors Körper war bis zum Zerreißen gespannt. Alle Erschöpfung und Schmerzen durch die lange, harte Arbeit waren für den Moment vergessen. Mit seinen Augen suchte er die Wände ab, versuchte die Schwärze, die vor ihm lag, zu durchdringen, um vorauszusehen, was auf ihm zukam. Doch es kam nichts. Die einstigen Besitzer des Schatzes und Erbauer dieses Gemäuers mussten sehr sorglos gegenüber Eindringlingen gewesen sein, denn sie hatten anscheinend keine Maßnahmen unternommen, um sie fern zu halten. Hondor schätzte, dass er bereits mehr als hundert Barret in den Hügel hineingegangen sein musste. Kalerid ließ die Kette stetig mit neuen Teilstücken erweitern, was für ein wenig Hektik vor dem Höhleneingang sorgte.

      Der Gang begann nach kurzer Zeit steiler abzufallen und mündete nach weiteren hundert Barret überraschend in einer großen Höhle.

      Dem König stockte der Atem, als er sah, was sich ihm dort offenbarte. Es war so unglaublich, dass es nicht in Worte zu fassen gewesen wäre, hätte Hondor jemandem beschreiben müssen, was er sah. Es war prächtiger, als es jede Erzählung oder Sage jemals beschrieben hatte. Jahrhunderte lang im Dunkel verborgen, glitzerte und glänzte es nun aus jeder Ecke, jedem noch so versteckten Winkel golden und silbern. Der Fackelschein wurde um ein Tausendfaches widergespiegelt und verstärkt, sodass die ganze Höhle erhellt wurde. Goldene und silberne Münzen, glänzende Vasen, edelsteinbesetzter Schmuck und herrliche Königskronen lagen unachtsam aufgehäuft und wahllos verstreut herum. Trotzdem verlor der Schatz nichts von seiner Pracht und Hondor konnte verstehen, warum ihm einst Bauern wie Könige verfallen waren. Es war mehr Reichtum in dieser unscheinbaren Höhle aufgehäuft, als man in seinem ganzen Reich hätte finden können.

      Rechts an die große Höhle schloss sich ein kleinerer Raum an. Das wenige Licht, das durch den kleinen Eingang hineinfiel, reichte aus, um es dort glitzern und glänzen zu lassen. Neugierig ging Hondor hinein und erneut glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu können. Unzählige Edelsteine in den schillerndsten Farben lagen dort zu mannshohen Bergen aufgehäuft und an den Wänden hingen dutzende aufwändig gearbeiteter und fein geschliffener Schwerter.

      Für einen Augenblick dachte Hondor daran, eine der Waffen an sich zu nehmen, hinauszustürmen, die Macht wieder an sich zu reißen und den Schatz als den Seinen zu ernennen. Doch er wusste, dass er nicht weit gekommen wäre. Dieser Gedanke riss ihn aus seiner ehrfurchtsvollen Starre. Das Atmen fiel ihm mit einem Mal schwer und das lag nicht an der stickigen Luft, tief unter der Erdoberfläche. Bald würde er wieder zurückkehren müssen. Er meinte schon jetzt zu fühlen, wie Kalerid ungeduldig an der Kette zerrte. Doch er wollte noch nicht wieder gehen. Langsam ging er wieder zurück in die große Höhle, hob dabei das eine oder andere wertvolle Stück auf, drehte es ehrfürchtig in seinen Händen, um es dann wieder vorsichtig abzulegen.

      Dann fiel ihm ein weiterer dunkler Nebenraum auf, der links von ihm an die Höhle angrenzte.

      Hondor hätte ihm wohl kaum viel Beachtung geschenkt, denn er war dunkel und ließ aus der Entfernung keine Anzeichen auf weitere Schätze erkennen, wenn ihm nicht plötzlich der durchdringende Geruch von Schwefel aufgefallen wäre, der in der Luft lag. Je mehr er sich der Höhle näherte, umso stärker stach er ihm in die Nase. Als er noch ein Stück näher trat, konnte er etwas hören und seine Verwunderung stieg weiter an. Es klang wie gleichmäßige Atemzüge. Hondor konnte sich nicht erklären, von wem sie stammten. Er trat ein weiteres Stück heran, was sich durch seine Ketten als nicht einfach erwies. Kalerid schien ihm nicht mehr Freiheit gewähren zu wollen, denn er ließ nur noch unter Aufbringung von einiger Anstrengung weiter nach. Als Hondor endlich nahe genug herangekommen war, stellte er fest, dass der Durchgang größer war, als er zuerst gewirkt hatte. Er leuchtete hinein und was er erspähte, erstaunte ihn noch weitaus mehr als der Anblick der unschätzbaren Reichtümer.