Nadine T. Güntner

Allendas


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schon jetzt für deinen Beistand, Toranus, und verspreche dir, dass du reichlich dafür entlohnt werden wirst, sobald alles wieder beim Alten ist.«

      Der Drache winkte ab und schien nicht darauf antworten zu wollen.

      »Dann sollten wir uns beeilen!« Hondor stand von seinen Goldhaufen auf. »Kalerid ist sicherlich schon ungeduldig.« Erst jetzt bemerkte Hondor, dass er schon lange kein Zerren an seiner Kette mehr gespürt hatte und er fragte sich, was wohl geschehen sein mochte. Er wandte sich zum gehen und Toranus erhob sich geschmeidig, um ihn zu begleiten.

      »Eine Bitte habe ich noch.« Hondor drehte sich nochmals zu Toranus um. »Befreie mich von diesen elenden Ketten.« Der König deutete auf die massiven Eisenringe.

      »Nichts leichter als das.« Toranus nickte gutmütig und griff mit seinen Krallen nach der mächtigen Kette. Es bedurfte nur einen kurzen Zug, der nicht einmal mit großem Kraftaufwand verbunden war, und die Glieder gaben nach. Dann durchtrennte der Drache noch die Hand- und Fußfesseln.

      Hondor bedankte sich und gemeinsam betraten sie den schmalen Gang, der nach oben führte. Der Drache musste sieh mächtig ducken, um sich durch den engen Tunnel zu winden, aber schließlich war er auch vor vielen Jahren über diesen Weg hineingekommen.

      Hondors Fackel war mittlerweile so weit heruntergebrannt, dass er sie löschen musste, aber das sorgte ihn wenig, denn es bestand keine Gefahr, dass er sich verlaufen würde. So tastete er sich vorsichtig voran. Er hörte die leisen, dumpfen Schritte des Drachen hinter sich und hin und wieder gab es ein scharrendes Geräusch, wenn die hornigen Schuppen des Drachen an den Mauersteinen rieben. Dann gelangte er an die Biegung und sah, etwas entfernt, das Tageslicht.

       9) An dieser Stelle sei angemerkt, dass Drachen einen entscheidenden Vorteil hatten. Er bestand darin, dass sie lange Zeit an einem Ort ausharren konnten, ohne Wasser und Nahrung zu benötigen. Sie verschliefen einfach hundert oder tausend Jahre und erwachten eines Tages, als wäre nichts geschehen. Deshalb wurden sie gerade in früheren Zeiten gerne von Königen und Herrschern zum Bewachen ihrer Schätze eingesetzt. Die Unterhaltskosten waren verschwindend gering.

      Herras VIII

      Die Geschehnisse in der Nacht verzögerten den Aufbruch am nächsten Morgen. So kam es, dass die Sonne bereits hoch am Himmel stand und die Stimmung in der Gruppe sehr gemischt war, als die vier, mehr oder weniger freiwilligen, Weggefährten den Togos betraten.

      Merit fühlte sich trotz wenig Schlaf merkwürdig beschwingt und der Gedanke an den Furcht erregenden Wald schreckte ihn kaum. In der letzten Nacht hatte sich einer seiner größten Wünsche erfüllt. Er hatte den Rabenvogel Olog zu Gesicht bekommen. Er war so beeindruckend gewesen, wie er ihn sich immer vorgestellt hatte. Zwar hatte er nicht sein Geheimnis lüften können oder ergründen, was seine wahre Berufung war, aber diesen Vogel, der für sein Volk eine große Bedeutung hatte, mit eigenen Augen gesehen zu haben, war ein erhebendes Gefühl. Er fühlte sich fast wie ein Auserwählter. Zu seinem Bedauern hatte es nach dem Zwischenfall der letzten Nacht und auch den ganzen Morgen kein weiteres Anzeichen für Ologs Anwesenheit gegeben. Seine Schreie waren verstummt und kein Rascheln im Geäst oder Flügelschlag waren zu hören.

      Merit machte sich Sorgen um Maleris. Seit ihrer Begegnung mit Olog war sie ungewöhnlich ruhig und sehr bedrückt. Er musste mit seiner Schwester darüber reden.

      Herras hingegen hatte sich seit seinem Erwachen wieder voll und ganz dem Hass gegen den Sellag hingegeben. Seine Abscheu gegen ihn erschreckte Merit geradezu. Er hatte dem bisher so friedlich wirkenden Menschen nicht solche gewaltigen Gefühle zugetraut. Herras hatte fest darauf bestanden, die Überwachung des Sellag namens Marek selbst zu übernehmen. Merit hatte ihn gewähren lassen und aus seinem Rucksack einen festen Lederriemen hervorgezogen, mit dem Herras den Sellag hatte an die Leine legen können. Mit verbissenem Gesichtsausdruck umklammerte der Allendasser den Riemen und zerrte den Sellag unbarmherzig hinter sich her, während er vor seinen beiden Begleitern dahin stapfte.

      Marek war sich nun nicht mehr sicher, ob es wirklich ein Vorteil für ihn war, dass man ihm sein Leben geschenkt hatte. Der König, zumindest hielt Marek ihn noch immer dafür, war ihm verständlicherweise nicht wohl gesonnen. Das hätte den Sellag nicht sonderlich gestört, hätte er nicht das unangenehme Gefühl gehabt, diesem Menschen hilflos ausgeliefert zu sein. Seine Fesseln gaben ihm kaum Bewegungsfreiheit und ließen nur kleine Schritte in aufrechter Haltung zu, was sich sehr bald als anstrengend erwies.

      Langsam drangen sie tiefer in den Togos vor und um sie herum wurde es immer dunkler und kühler. Bald standen die Tannen so dicht, dass kaum noch Tageslicht durch ihre dunkelgrünen, beinahe schwarzen Wipfel dringen konnte. Im Wald herrschte ein diffuses Zwielicht und graue Nebel umwaberten den Moos bewachsenen Boden. Feuchtigkeit hing in der Luft und Tautropfen perlten sich im Moos und an den Bäumen.

      Das Laufen fiel nicht nur Marek schwer. Immer wieder glitten sie an den umherliegenden rutschigen Felsen aus oder blieben an den sich am Boden schlängelnden Farnen hängen.

      Die Stille, die den gesamten Wald zu beherrschen schien, schaffte eine erdrückende Stimmung. Kein Vogel, kein Rascheln kleiner Tiere war zu hören. Durch das fehlende Sonnenlicht wirkte der Wald grau-grün bis schwarz und Furcht einflößend. Die Bäume wuchsen immer dichter, sodass ihre Äste sich ineinander verschlungen, gerade so, als wollten sie ihnen den Weg versperren. Immer öfter mussten die Wanderer sich ducken oder sogar auf die Knie gehen, um weiter vorankommen zu können.

      Bald war Herras’ Hass auf den Sellag in den Hintergrund getreten und Furcht ersetzte das innige Gefühl. Es wurde zur Routine, den Sellag stetig weiterzuziehen, während er selbst um sein Vorankommen kämpfte. Und mit jedem Schritt wurde seine Angst stärker und sein Magen krampfte sich immer mehr zusammen.

      Maleris, Merit und sogar Marek erging es nicht anders. Der Sellag hatte jeden Gedanken an Flucht aufgegeben und stolperte zwar widerwillig, aber doch ergeben hinter dem Menschen her. Sein Herz pochte schmerzhaft gegen seine Brust.

      Obwohl nirgendwo etwas Gefährliches zu erkennen war, schien die Bedrohung fast greifbar in der Luft zu liegen. Merit ertappte sich immer häufiger bei der Überlegung, ob er wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte, als er beschlossen hatte, den Wald zu durchqueren. Doch er schob diesen Gedanken beiseite. Sie hatten keine Zeit, um den langwierigen Umweg zu gehen. Außerdem wollte er sich nicht von Geschichten und Erzählungen beeindrucken lassen. Wenn man genau hinsah, gab es keinen Anlass zur Furcht. Alles wirkte friedlich, wenn auch ungewöhnlich und dunkel.

      »Warum warst du gestern Nacht, nachdem wir Olog gesehen haben, so seltsam?« begann Merit nun endlich ein Gespräch, einerseits, weil er sich selbst von seinen unangenehmen Gedanken ablenken wollte, andererseits, weil ihn diese Frage seitdem beschäftigte.

      Maleris hob den Blick, den sie bisher fest auf den Boden gerichtet hatte, da Merit sie bereits zweimal vor einem Sturz bewahren musste, und sah ihren Bruder an. Sie entschloss sich, es ihm zu sagen, obwohl sie es bisher nicht hatte tun wollen. Sie befürchtete, ihre Begleiter könnten sie für verrückt erklären. Doch es sollte in ihrer Gemeinschaft keine Geheimnisse geben und so seufzte sie leise und musterte ihren Bruder mit traurigen Augen. »Hast du seinen Anhänger gesehen?«

      Merit schüttelte den Kopf. »Nein, welcher Anhänger?«, fragte er verwundert.

      »Olog… er hatten eine Kette um seinen Hals mit einem hölzernen Anhänger.« Maleris stockte wieder. Es war tatsächlich schwerer, darüber zu reden, als sie gedacht hatte. Merit beobachtete sie eindringlich und das Mädchen spürte, dass er darauf wartete, dass sie weiter sprach. Aber es kostete sie eine Menge Überwindung. »Ich habe ihn wiedererkannt, Merit. Ich bin mir ganz sicher!«, stieß sie hervor.

      Merits Blick zeigte noch immer kein Verstehen, ganz im Gegenteil. Er blickte nun noch verwirrter drein. »Wen hast du wieder erkannt? Olog?«, hakte er nach, begierig darauf, das Geheimnis endlich zu lüften.

      »Nein, Merit«, erwiderte Maleris unwirsch. Sie wollte, dass es endlich vorbei war. Es schmerzte zu sehr. »Den Anhänger. Er gehörte meinem Vater.« Jetzt war es heraus.

      Merit