Nadine T. Güntner

Allendas


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die beiden Waldmenschen zu ihm aufgeschlossen waren. Interessiert hatte er ihre Unterhaltung verfolgt. Verblüffung stand Merit und Herras nun ins Gesicht geschrieben. »Was hast du gesagt?«, fragte Herras, der nicht glauben konnte, was er gehört hatte.

      Maleris war noch ein paar Schritte weiter gegangen und drehte sich nun zu den beiden und dem am Boden kauernden Sellag um.

      »Ich habe gesagt, dass der Anhänger, den Olog an seiner Kette um den Hals trug, derjenige ist, den mein Vater stets getragen hat«, erklärte sie noch einmal ungeduldig. Sie wünschte sich nichts mehr, als dass dieses Gespräch endlich beendet war.

      »Und wie, meinst du, ist Olog in den Besitz des Anhängers gekommen?«, fragte Merit, als er sich wieder gefangen hatte.

      Maleris zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen?«

      »Vielleicht hat er deinen Vater getötet und ihn gefressen«, warf Herras ein und wusste im selben Moment, dass es kein guter Einfall gewesen war. Maleris verzog angewidert das Gesicht.

      »Das kann ich mir nicht vorstellen.« entgegnete Merit überzeugt. »Er hat unseren Stamm so viele Jahre begleitet und niemandem etwas zuleide getan. Ich glaube nicht, dass er so etwas Böses tun könnte.«

      »Aber wie soll er dann in seinen Besitz gelangt sein?«, fragte Herras.

      Maleris schüttelte unwillig den Kopf. »Ich weiß es nicht! Und ich möchte nun auch nicht mehr darüber sprechen!« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich wollte sowieso nicht darüber sprechen, denn ich wusste, dass es keinen Sinn haben würde. Wir werden es womöglich nie herausbekommen. Vielleicht sehen wir Olog sogar niemals wieder. Und vielleicht wäre das auch besser so.« Mit diesen Worten drehte sich Maleris um und ging festen Schrittes voraus.

      Herras, Merit und der Sellag sahen ihr nach.

      »Wahrscheinlich hat sie sogar recht«, brummte der Sellag, aber die beiden Männer beachteten ihn nicht. Dann zerrte Herras an seinem Riemen und sie gingen, jeder seinen Gedanken und Spekulationen nachhängend, weiter.

      Hondor VII

      »Du solltest dich bereitmachen«, zischte Kalerid dem zusammengesunkenen Rofin zu, der sich dicht an den aufgewühlten Berg kauerte und damit beschäftigt war, mit seinem Schicksal zu hadern. »Ich werde nicht mehr lange warten. Wir haben bereits mehr als genug Zeit verschwendet.«

      Als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet, trat Hondor aus den Schatten der Höhle hinaus ins Tageslicht. Rofin erlaubt sich ein erleichtertes Aufatmen und die anderen umstehenden Sellag stießen überraschte Laute aus, als sie ihn erblickten. Kalerid fuhr herum und für einen Augenblick erstarrte er. Er blickte verwundert auf die Kette in seinen Hände, sie hatte sich kein Stück bewegt, geschweige denn nachgegeben. Dann sah er wieder auf Hondor und dessen zertrennte Fesseln. Schnell fand Kalerids seine Fassung wieder, auch wenn es nicht von langer Dauer sein sollte.

      »Wie kommst du dazu...!«, fuhr er den Menschen an, kam aber nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Hondor trat einen Schritt zur Seite und ein wissendes Lächeln umspielte seine Lippen.

      Zorina und Usadim waren, wie auch die meisten der Sellag, aufgesprungen, so, als spürten sie schon, dass nun etwas Unerwartetes geschehen würde. Ob es Instinkt war, oder ob es an dem so selbstsicheren Ausdruck in Hondors Gesicht lag, vermochten sie nicht zu sagen, aber sie bemerkten, dass auch die Sellag unruhig wurden.

      Dann kam er. Zuerst streckte er nur seinen breiten Schädel durch die schmale Öffnung, dann folgte auch der Rest des massigen Körpers. Seine Schuppen glänzten prächtig im Sonnenlicht. Als er den Tunnel verlassen hatte, breitete Toranus seine Flügel aus. Das ließ ihn noch beeindruckender wirken. Giftgrüner Rauch trat in dicken Wolken aus seinen großen Nasenlöchern aus und als er sein Maul öffnete und Einblick in seinen riesigen Rachen gewährte, erschütterte ein markdurchdringender Schrei die Erde um die Anwesenden.

      An einen Augenblick des Schreckens und des sprachlosen Staunens schloss sich Entsetzen an. Um die ohnehin spärliche Disziplin der Sellag war es nun endgültig geschehen. Wild rannten sie durcheinander, fielen gegen- und übereinander, als sie in der schlammigen Erde ausrutschten. Sie behinderten sich immer mehr gegenseitig, während jeder von ihnen versuchte, fauchend und knurrend, so schnell wie möglich, das Weite zu suchen. Rofin war bereits verschwunden. Flink und von blinder Angst getrieben, hatte er sich in die Herde verschreckter Sellag geschlängelt und die Flucht ergriffen.

      Kalerid versuchte, mit lautem Gebrüll und wilden Drohungen, seine Krieger wieder zur Ordnung zu rufen, während der Drache alles tat, um das Gegenteil zu bewirken. Mit schweren Schritten hatte sich Toranus bereits in die Mitte der aufgebrachten Sellag begeben und schwenkte nun seinen kräftigen Schwanz, mit dem er sie nun mühelos reihenweise von den Beinen holte. Zusätzlich machte er sich einen Spaß daraus, seinem Rachen kleinere und größere Stichflammen entweichen zu lassen und den Sellag damit die letzten wenigen Haare auf ihren kahlen Schädelplatten zu versengen. Den Flüchtenden wurde immer heißer unter ihrer hornigen Haut. Hin und wieder ergriff der Drache mit seiner Pranke eine der Kreaturen und schleuderte sie einige Male umher, um ihr mehrere Barret entfernt eine unsanfte Landung zu bescheren.

      Kalerids Bemühungen stießen bei seinen Untergebenen auf taube Ohren. Nur wenige, um genau zu sein achtzehn, ließen sich von ihm wieder zur Ruhe bringen und scharten sich um ihren Anführer, der ein Stück entfernt mit gezücktem Schwert die Stellung bezogen hatte. Angestrengt überlegte er, wie er diesem Untier und der unerfreulichen Wendung, die es mit sich gebracht hatte, Herr werden konnte. Er war keineswegs bereit, seine Position oder den Schatz aufzugeben.

      Dann ließ er seine wenigen treuen Anhänger eine v-förmige Aufstellung beziehen. Gemeinsam wagten sie sich Stück für Stück näher an den Drachen heran.

      Toranus musste beinahe lächeln, als er die kleine, aber offensichtlich entschlossene Gruppe auf sich zukommen sah. Beiläufig ließ er den Sellag, der jammernd zwischen seinen Krallen hing, fallen und machte es seinen Angreifern ein wenig leichter, indem er ihnen etwas entgegen kam.

      Kalerid und seinen Begleitern wurde es sichtlich unwohl, als sie dem Drachen nun direkt in die Augen blicken konnten. Der Wunsch, zu flüchten, wurde immer stärker, doch sie kam gar nicht mehr dazu, ihn sich zu erfüllen.

      Pfeilschnell schwenkte Toranus seinen schuppigen Schwanz und warf mit einem einzigen Schlag eine ganze Traube Sellag zu Boden. Den anderen nahm er mit einer erneuten Stichflamme den letzten Rest Mut. Ehe Kalerid sich versehen konnte, blieb er allein zurück. Nur noch der Geruch von angekohltem Horn lag in der Luft.

      Trotzdem, so schnell war Kalerid nicht bereit, klein beizugeben. Nicht umsonst war er der Heerführer seines Volkes (wenn man einmal von der Erbfolge absah, die ihm zugute gekommen war). Wutentbrannt und mit zornig funkelnden Augen schwang er sein Schwert und hieb es mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, in das Bein des Drachen, bevor dieser Gelegenheit bekam, zu erkennen, was geschah. Die glänzenden Schuppen splitterten und das Schwert fuhr tief in das darunter verborgene Fleisch. Vor Überraschung und durch den Schmerz, der ihn durchfuhr, fauchte Toranus kurz auf. Dann drehte er sich um, wobei das Schwert, das der Heerführer noch immer umklammert hielt, abbrach und Kalerid auf den Rücken fiel, das Heft noch immer in der Hand haltend. Der Drache fixierte ihn mit seinem stechenden Blick. Das Feuer, das er spie, verfehlte den Sellag nur knapp, als dieser blitzschnell auf die Beine kam. Toranus bekam ihn nicht mehr zu fassen, als der Heerführer sich umdrehte und so schnell, wie er auf allen Vieren konnte, davon hetzte.

      Kalerid war zwar ein Sellag, dem es schwer fiel, eine Niederlage einzugestehen, aber er liebte sein Leben. Vielleicht war es sogar das Einzige, was er außer Macht (und seit Neuestem auch Reichtum) in seinem Leben liebte und er war schlau genug, zu wissen, wann es an der Zeit war, sich aus einer Schlacht zurückzuziehen. Doch seinen Schatz hatte er noch lange nicht aufgegeben und er würde wieder zurückkehren, sobald er einen neuen Plan hatte.

      Toranus schaute Kalerid verwundert hinterher. Er hatte nicht erwartet, dass ein so plump wirkendes Geschöpf so schnell laufen konnte. Nun waren kein Sellag mehr auf dem ausgetretenen Platz vor dem Eingang der Höhle zurückgeblieben. Zumindest keine, die noch am Leben waren.