Nadine T. Güntner

Allendas


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Lakai zuckte ein Stück zurück. »Ich weiß es nicht, Majestät«, wimmerte er kläglich, in der Hoffnung, Kalerid würde seinen Zorn nicht an ihm auslassen. »Vielleicht ist er tot.«

      Der Heerführer hielt einen Moment in seinen Bemühungen inne und dachte über diese Aussage nach. »Verdammt!«, zischte er schließlich.

      Rofin warf einen Hilfe suchenden Blick in die Runde. »Es ist ja nicht gesagt, dass er wirklich tot ist. Vielleicht sollten wir einfach noch ein wenig warten.«

      Kalerid brummte zustimmend. »Gut, wir werden ihm noch etwas Zeit geben.« Er zog erneut an der Kette. »Wenn er dann noch immer nicht wieder zum Vorschein gekommen ist, schicken wir dich rein.«

      Rofin schluckte hart und duckte sich noch ein wenig tiefer auf die Erde. Diese Wendung gefiel ihm ganz und gar nicht. Er konnte nur hoffen, dass der Gefangene bald aus dem dunklen Loch herauskommen würde.

      Zorina und Usadim saßen ein Stück entfernt auf dem Boden und beobachteten, was geschah. Im Stillen beteten sie inständig für ihren König und dafür, dass er sein ihm aufgezwungenes Unternehmen unbeschadet überstehen würde. Sie wagten es nicht, etwas zu sagen, denn um sie herum standen, saßen und lagen ihre Feinde und sie fühlten sich alles andere als wohl in dieser Gesellschaft.

      Zuerst berichtete Hondor dem Drachen alles, was er über die Geschichte seines Landes wusste, über seine Könige, seine Städte und deren Bewohner. Hondor ließ sich Zeit dabei, denn er hatte es nicht besonders eilig damit, die Höhle wieder zu verlassen und zu den Sellag zurückzukehren. Toranus erwies sich als aufmerksamer Zuhörer. Nachdenklich spielte er mit der Spitze seines gezackten Schwanzes, den er um seinen ausgestreckten Körper herumgelegt hatte und immer wieder durch seine langen Krallen gleiten ließ.

      Ab und an schloss der Drache die Augen, geradeso, als versuchte er, sich das eine oder andere Ereignis bildlich vorzustellen. Ein anderes Mal schnaubte er abfällig, als wäre er mit dem Verlauf der Geschichte ganz und gar nicht einverstanden, wobei grünlich-gelber Rauch aus seinen Nüstern strömte und einen unangenehm riechenden Schwefelgeruch verbreitete. Hondor beschwerte sich allerdings nicht darüber. Mit der Zeit konnte man sich auch daran gewöhnen. Es gab unangenehmere Zeitgenossen als diesen Drachen.

      Letztendlich kam Hondor zu den Vorfällen der letzten Tage. Er berichtete von dem nächtlichen Einfall der Sellag und von den Grausamkeiten, die sie seinem Volk antaten, von Kalerid, ihrem Heerführer und von seinem Vorhaben, den Muteral an sich zu reißen. Je mehr Hondor erzählte, umso mehr verdüsterte sich das schuppige Gesicht des Drachen. Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen und der Rauch, der aus seinen großen Nasenlöchern hervortrat, wurde noch eine Spur beißender.

      Als Hondor am Ende seiner Erzählungen angelangt war, schwieg Toranus noch eine ganze Weile. So lange, dass der König sich zu fragen begann, was wohl hinter der breiten, hornigen Stirn vorgehen mochte. Endlich stieß der Drache ein tiefes Knurren aus, das den ganzen Boden erzittern ließ.

      »Es ist überhaupt nicht fein, was sie da mit Eurem Volk gemacht haben«, sagte er brummend.

      »Allerdings!«, stimmte ihm Hondor nur zu gerne zu und war froh, dass der Drache die Dinge ebenso sah wie er selbst.

      »Und es ist ebenfalls nicht fein, dass sie es auf meinen Schatz abgesehen haben«, fuhr der Drache fort. Er hatte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck und es schien eine ganze Menge in seinem Kopf vorzugehen. »Aber sie werden ihn nicht bekommen.«

      »Vielleicht sollten wir uns zusammentun«, schlug Hondor vor. Dieser Gedanke schwirrte ihm schon seit einiger Zeit im Kopf herum. Ganz offensichtlich schien dieser Drache namens Toranus ihm und seiner Sache wohlgesonnen zu sein. Er war groß und stark und Hondor zweifelte nicht daran, dass er auch in der Lage war, Feuer zu speien, auch wenn er diese Kunst bisher noch nicht unter Beweis gestellt hatte. Sein Volk hatte eine solche Unterstützung bitter nötig. Es konnte einen großen, starken Verbündeten, der vielleicht sogar den einen oder anderen gewitzten Kniff im Kampf aufweisen konnte, gut gebrauchen. Auch wenn der Drache wohl nichts gegen die gesamten versammelten Sellag-Truppen in Allendas tun konnte, so konnte er doch ihre Lage deutlich verbessern. Und immerhin hatte der Drache auch ein eigenes Interesse an dieser Sache.

      »Wisst Ihr, was ich mir überlegt habe?«, fragte Toranus, ohne auf Hondors Worte einzugehen.

      Hondor schüttelte den Kopf. Woher sollte er auch wissen, was sich im Kopf eines über tausend Jahre alten Drachen so alles abspielte?

      »Der Schatz gehört zu Allendas«, begann Toranus zu erklären. »und derjenige, der Allendas beherrscht, ist sein Besitzer.«

      Dem konnte Hondor nur zustimmen. Er selbst hatte sich auch bereits mit diesem Gedanken beschäftigt, aber ihn schnell weit von sich geschoben. Er war zu dem Schluss gekommen, dass alle Reichtümer weit an Wichtigkeit verloren angesichts des Leides, das sein Volk ertragen musste. Trotzdem gönnte er sich einige Augenblicke, um zumindest die verworrenen geschichtlichen Zusammenhänge zu überdenken, die mit dem Muteral verbunden waren.

      Er existierte bereits seit Menschengedenken. Niemand wusste, wer ihn einst zusammengetragen hatte. Allendas, oder Aurantien, wie es früher genannt wurde, war damals von größeren Ausmaßen. Hondor wusste nicht, wie weit es sich erstreckt hatte. Der Muteral, daran konnte sich Hondor aber noch erinnern, war, der Überlieferung nach, von König zu König weitervererbt worden, bis die Fremden (Hondor konnte sich nicht entsinnen, jemals einen richtigen Namen für sie gehört zu haben, denn alle Erinnerungen an diese grausame Zeit wurden, so gut es ging, verbannt) über das Meer gekommen waren und das Land, wie auch den Schatz, an sich gerissen hatten. Die Zeit der Unterdrückung dauerte viele Jahre an, bis Helaras Allendas befreit hatte.

      »König Helaras selbst hat mir aufgetragen, den Schatz zu bewachen«, unterbrach der Drache plötzlich Hondors Überlegungen, gerade so, als hätte er Hondors Gedanken lesen können. »Er war ein guter König, müsst Ihr wissen, aber er hielt nicht viel von Geld und Gold. Man hätte fast meinen können, der Reichtum wäre ihm zuwider. Er wollte davon nichts wissen, das wusste jeder, auch wenn er nie darüber gesprochen hat, woher diese Abneigung herrührte. Ich habe ihm versprechen müssen, den Schatz im Auge zu behalten, sodass er nicht in falsche Hände gerät und ihn nur an den rechtmäßigen Herrscher von Allendas zu übergeben, sofern dieser mir als geeignet erscheint.«

      Hondor lauschte mit weit aufgerissenen Augen den Worten des Drachen, ohne genau zu wissen, worauf dieser eigentlich hinaus wollte, und nickte dabei eifrig.

      »Das bringt mich in ein großes Dilemma…« Der Drache spitzte die Lippen und tippte mit einer seiner langen Krallen dagegen, während er seine weiteren Worte zurechtlegte. »Nach Euren eigenen Worten ist dieser Kalerid nun der Herrscher von Allendas und der Schatz gehört damit ihm.«

      Hondor fiel darauf nichts ein, nur seine Augen wurden noch ein Stück größer. Hembras sei Dank, hielt dieser Schreckensmoment nicht lange vor, denn der Drache sprach weiter: »Doch, was er gemacht hat, war überhaupt nicht fein und er hat den Schatz ganz und gar nicht verdient. Ich kann ihn nicht ausstehen, obwohl ich ihn noch nicht einmal kenne und deshalb stehe ich zu Euren Diensten.« Toranus richtete sich ein wenig auf und verneigte sich vor Hondor.

      Dieser lächelte zufrieden. »Ich danke dir«, erwiderte er erleichtert. »Dann möchte ich dich bitten, mit mir die Höhle zu verlassen und mich im Kampf gegen die Eindringlinge zu unterstützen.«

      Toranus schnaubte kurz. »Darum hättet Ihr mich gar nicht bitten müssen.« grollte er in bester Kampfesstimmung. »Ich möchte gerne hinausgehen und mir persönlich ansehen, wer sich an meinem Schatz vergreifen möchte.« Dann hielt der Drache einen Moment inne. »Ihr solltet Euch aber nicht zu viele Hoffnungen machen. Ich fürchte, auch ich werde nicht gegen alle eure Eindringlinge ankommen, wenn sie so zahlreich sind, wie Ihr sagt.«

      Hondor schüttelte verständnisvoll den Kopf »Das verlange ich auch gar nicht. Du sollst nur deinen Schatz verteidigen und meinen Leuten helfen, zu fliehen, indem du dich ein wenig um unsere Feinde kümmerst.«

      Wieder stieß Toranus eine Wolke grünlichen Rauches aus. »Ich denke, das dürfte keine Schwierigkeit sein.« Der Drache wirkte zuversichtlich. »Aber es wird sicherlich gar nicht