Nadine T. Güntner

Allendas


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zog den stämmigen Truppenführer auf die Füße.

      »Du hattest deine Gelegenheit«, zischte er dem zitternden Sellag ins Gesicht, »und du hast sie verspielt. Eine weitere wirst du nicht bekommen.«

      Kalerid entblößte seine Reißzähne und ohne eine weitere Vorwarnung versenkte er sie tief in Kalmogs Hals. Dem Truppenführer entfuhr ein letzter, schriller Schrei, dann sackte er in sich zusammen. Kalerid ließ ihn los und Kalmogs Körper sank leblos zu Boden. Mit weit aufgerissenen, glasigen Augen und zerfetzter Kehle lag der Sellag im Gras.

      Für einen kurzen Augenblick hatte Kalerid das befriedigende Gefühl, Vergeltung geübt zu haben, aber es hielt nicht lange an, denn sein Ziel hatte er dadurch noch nicht erreicht. Die anderen Sellag hatten sich, während der makaber geendeten Unterhaltung zwischen dem Heerführer und Kalmog, ein Stück zurückgezogen und hockten nun schweigend zusammen. Wenn sie auch nicht zimperlich waren, so wussten sie doch, dass nun ein Moment gekommen war, in dem es von Vorteil war, nicht unnötig aufzufallen.

      In einer geschmeidigen Bewegung wandte Kalerid sich um und sein Blick fiel geradewegs auf Marek.

      »Du... », Er deutet mit einem langen Finger auf seinen Lakaien und dieser erhob sich hastig, »du wirst den König verfolgen und mir seinen Kopf bringen. Wähle dir einen Trupp aus den anwesenden Kriegern aus und dann zieht los. Kommt nicht eher wieder, bis ihr ihn gefunden und getötet habt. Wenn es dir gelingt, werde ich dich zu meinem Stellvertreter ernennen. Die anderen werde ich reich belohnen. Solltet ihr allerdings versagen, dann werdet ihr das Schicksal mit diesem Feigling teilen, sofern ihr es wagt, mir nochmals lebend unter die Augen zu treten.«

      Mareks Blick irrte zwischen dem toten Kalmog, dessen Blut langsam im Gras versickerte, und Kalerid, der ihn um ein ganzes Stück überragte und mit lodernden Augen auf ihn herabstarrte, hin und her. Das erste Gefühl, das Marek durchschoss, als er die Worte seines Herrn vernahm, war blankes Entsetzen. Doch schnell folgte Stolz und letztendlich kroch auch Mareks Mut wieder aus der hinteren Ecke seiner Eingeweide hervor, wo er sich instinktiv versteckt hatte. Endlich war seine Zeit gekommen. Lange hatte er ergeben und aufopferungsvoll dem Herrscher gedient und nun bekam er die Gelegenheit, für all seine Mühen und Entbehrungen angemessen entlohnt zu werden. Er musste nur noch diese letzte Hürde überwinden.

      Marek war kleiner als die meisten Sellag, aber er war zäh. Zudem war er klüger und handelte bedachter, als die anderen Angehörigen seines Volkes. Das wusste auch Kalerid, und diese Eigenschaften würde er sich zum Vorteil machen.

      »Ich werde Euch nicht enttäuschen, Herr«, sagte Marek und verbeugte sich tief. Kalerid nickte zufrieden. »Das hoffe ich für dich!«

      Bald hatte Marek sieben Krieger ausgewählt, die ihn begleiten würden. Kalerid gewährte ihnen einen Teil des Proviants und eine angemessene Anzahl an Waffen. Ungefähr zwanzig Kils später zogen sie in den Wald hinein, um die Spuren des Königs und der gescheiterten Truppenführer zu verfolgen.

      Kaum, dass Marek und seine Krieger zwischen den Bäumen verschwunden waren, gab Kalerid den Befehl, den Rückweg nach Alland Pera anzutreten. Er konnte nicht noch länger untätig an diesem Ort herumsitzen, und schon gar nicht konnte er bis zu Mareks Wiederkehr warten. Es gab noch andere, und vielleicht sogar weitaus wichtigere Angelegenheiten, um die es sich zu kümmern galt.

      Marek I

      Bedächtig setzten sie einen Schritt vor den anderen. Marek schritt voran und seine Krieger folgten ihm weit verstreut und in einigem Abstand. Marek hatte sie angewiesen, ihre Blicke umherschweifen zu lassen, damit ihnen nichts entgehen würde, was sie auf die Spur des Menschen bringen konnte. Da Sellag keinen ausgeprägten Geruchssinn vorweisen konnten, mussten sie sich auf das verlassen, was sie mit ihren dafür umso schärferen Augen zu sehen vermochten.

      So folgten sie den Pfaden, die von den Truppenführern vor kurzem in das Unterholz getrampelt worden waren und es dauerte nicht lange, da erreichten sie die Stelle, an der sich die ersten beiden Sellag gegenseitig umgebracht hatten. Da nichts zu erkennen war, was darauf schließen ließ, dass ihr Ableben von dem Zutun der geheimnisvollen Fremden herrührte, zogen die Krieger weiter.

      Wenig später fanden sie den dritten, von Kalmog erschlagenen Truppenführer, kurz darauf den vierten. Als sie schließlich auch den Sellag mit dem zerschmetterten Schädel und dann Kalmogs letztes Opfer hinter sich gelassen hatten, waren sie mit ihren Erkenntnissen noch keinen Schritt weiter. Doch zumindest blieb ihnen die Gewissheit, dass sie sich noch immer auf dem richtigen Weg befanden.

      Nun erreichten sie den Ort, an dem sie die Leichen von Kornos und den beiden letzten Truppenführern fanden und zum ersten Mal begann Marek zu glauben, dass es sich bei Kalmogs Schilderung nicht nur um eine Lüge gehandelt hatte. Er zog Korin den kurzen, aber kräftigen Pfeil aus dem Rücken und betrachtete ihn genau. Die Machart dieses Geschosses war ihm völlig unbekannt und es wurde ihm schlagartig bewusst, dass sie möglicherweise wirklich nicht allein in diesem Wald waren, auch wenn Kalmog mit den Angaben zur Anzahl und Stärke der Gegner eindeutig übertrieben zu haben schien.

      Jetzt sahen sich Marek und seine Gefolgsleute einem neuen Problem gegenüber: An dieser Stelle riss die Spur ab. Es gab keine weiteren Anhaltspunkte, in welche Richtung der König gelaufen sein konnte. Egal, wie weit Marek seine Krieger ausschwärmen ließ und ganz gleichgültig, wie sorgfältig sie jedes Barret des Waldbodens absuchten, sie fanden nichts, was ihnen weiterhalf.

      Mittlerweile war der Abend vorbeigezogen und die Nacht hereingebrochen. War der Wald bisher nur düster gewesen, so war es nun so finster, dass sie kaum ihre Hände vor Augen sehen konnten.

      Marek sah sich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Es widersprach seinem Instinkt und seiner Gier, die Verfolgung für diesen Tag aufzugeben und auszuharren, bis die Sonne wieder aufging. Außerdem würde er dem König damit die Gelegenheit geben, seinen Vorsprung noch weiter auszubauen. Andererseits schien es Marek zu gefährlich, seine Männer weiterhin ausschwärmen zu lassen, denn in der schwarzen Dunkelheit waren sie den verborgenen Feinden schutzlos ausgeliefert. Daher rief er die Krieger zusammen und befahl, dass sie gemeinsam weitergehen würden. Einige seiner Gefolgsleute murrten. Es war ihnen nicht wohl bei dem Gedanken, in der Schwärze der Nacht und vor den (möglicherweise sehr viel besseren) Augen der unsichtbaren Feinde durch den Wald zu marschieren. Aber Marek blieb unnachgiebig und so blieb ihnen nur zu hoffen, dass die Bogenschützen im Dunklen ebenso wenig sehen konnten, wie sie selbst.

      Marek bestimmte die Richtung und ging voran. Er hatte sich entschlossen, ein wenig nach Süden abzuweichen, denn dort war, soweit er es erkennen konnte, der Wald ein wenig lichter und die Bäume standen nicht ganz so dicht beieinander. Auch war das Unterholz nicht so hoch. Der König würde wohl den einfachsten Weg gewählt haben.

      So kämpften sich die Sellag stolpernd und knurrend Schritt für Schritt voran und sahen kaum den Waldboden unter ihren Füßen. Sie bückten sich tief zu Boden und liefen zumeist auf Händen und Füßen, in dem aussichtslosen Versuch, eine Spur des entflohenen Königs zu finden. Die Zeit verstrich erbarmungslos.

      Als die Sonne am Ende des nächsten Tages unterging, hatten auch die Zähesten der Sellag-Krieger den Mut verloren. Sie litten an Hunger und Müdigkeit. Marek gestattete ihnen, ihren Durst an den dünnen Rinnsalen oder kleinen Bächen zu stillen, die den Wald kreuzten, aber er gestand ihnen keine Rast zu. Der Proviant, den sie mitgenommen hatten, war bereits jetzt fast völlig aufgebraucht und sie würden bald verweilen müssen, um etwas Essbares zu erlegen.

      Marek stampfte mit der Entschlossenheit eines Verzweifelten voran. Es hatte sich bereits früh, schon als die ersten Sonnenstrahlen nur dürftig den Wald erhellten, abgezeichnet, dass er wohl den falschen Weg gewählt hatte. Weit und breit gab es keine Spuren, die auf den Verbleib des Königs hingewiesen hätten. Zu allem Unglück hatte Marek im Laufe der Nacht in der unbekannten Umgebung und dem ungewohnten Gelände gänzlich die Orientierung verloren. Sie hatten mehrfach die Richtung gewechselt und trotzdem hatte der Sellag das Gefühl, im Kreis gelaufen zu sein.

      Als das rare Sonnenlicht, das durch die wenigen Lücken der Äste fiel, bereits wieder fahler wurde, hatte auch eine hinterlistige und falsche Kreatur wie Marek einmal Glück. Er war kurz