Nadine T. Güntner

Allendas


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gesprochen, Tochter.«

      Herras’ Blick fuhr hinauf zu Maleris, als er das letzte Wort vernahm. Sie hatte ihm nicht erzählt, dass sie die Tochter des Anführers war. Ein trauriger Schatten hatte sich über ihr Gesicht gelegt.

      »Wie du wünschst, Vater«, flüsterte sie leise und ging davon.

      Sollas nickte zufrieden. »Gut.« Damit war das Thema für den Stammesvater abgeschlossen.

      »Gleich morgen bei Sonnenaufgang werden wir losziehen«, hörte Herras Merit voller Begeisterung sagen, die er nicht so recht zu teilen vermochte. Es schien gerade so, als würde sich der junge Waldmensch auf ihr unerwartetes Abenteuer freuen. Herras hoffte nur, dass seine Freude nicht verfrüht war.

      »Kommt, wir haben noch einiges zu tun, bevor wir aufbrechen. Wir müssen viele Dinge zusammenzupacken.« Mit diesen Worten stand Merit auf und griff nach Herras’ Arm, um ihn mit sich zu ziehen, aber Sollas erhob noch einmal seine Stimme und sie hielten in ihrer Bewegung inne.

      »Aber seid vorsichtig!«, warnte der alte Stammesvater und seine Stimme hatte nun einen merkwürdigen Klang. »Nicht überall ist der Wald so friedlich, wie an diesem Ort. Es gibt viele Gefahren, die im ewigen Düstern lauern.«

      »Ach, das sind alte Märchen und Schauergeschichten, mit denen man kleine Kinder das Fürchten lehrt.« Merit lachte und machte eine abwinkende Handbewegung. »Mein Vater liebt es, hin und wieder ein wenig zu übertreiben.« Mit diesen Worten wandte sich der junge Mann ab und ging zu seinem Zelt. Doch Herras verharrte noch einen Augenblick. Er erkannte denn ehrlich besorgten Blick des alten Mannes.

      »Ich danke Euch für alles, Sollas«, sagte er leise.

      Sollas nickte nun langsam und bedächtig. Dann stand auch Herras auf und folgte seinem neuen Weggefährten in dessen Zelt.

      Sollas sah ihm lange nach, dann wandte er sich an Korin, der schweigend der Unterhaltung zugehört hatte.

      »Lass’ die Wachen für diese Nacht verdoppeln!«, wies er seinen älteren Sohn an. »Ich habe kein gutes Gefühl. Diese Sellag, wie sie der Allendasser nannte, werden ihn suchen. Ich glaube, sie sind schon sehr nahe.«

      Mit einem kurzen Nicken stand Korin auf, um die Wachaufteilung für diese Nacht zu ändern.

       6) Insgesamt waren es achtundzwanzig größere und kleinere Zelte, die alle mit dem Eingang zur Mitte hin ausgerichtet waren.

      Kalerid II

      Kalmog rannte, als ginge es um sein Leben (was aus seiner Sicht auch nicht allzu abwegig war). Er hatte den Rückweg in weniger als zwanzig Kils zurückgelegt. Hätte ihn jemand gesehen, wäre er wohl auf den Gedanken kommen, eine ganze Horde wilder Waldmenschen wäre hinter ihm her. Tatsächlich jedoch war weit und breit kein Verfolger zu sehen.

      Als er sich dem Waldrand näherte und bereits die ersten Sonnenstrahlen von der Lichtung durch die Bäume fallen sah, verlangsamte er seine Schritte. Während er schwer nach Luft rang, geriet er mit sich selbst in Zwiespalt. Die Furcht, die ihm im Nacken saß, trieb ihn weiter, hinaus aus dem Wald, in dem unsichtbare Kreaturen mit tödlichen Waffen auf ihn lauerten. Doch der Gedanke, auf Kalerid zu treffen und ihm berichten zu müssen, dass ihnen der König entkommen war, entsetzte ihn nicht weniger.

      Für einen Moment dachte der Sellag daran, nach Norden oder Süden auszuweichen und entlang des Waldrandes das Weite zu suchen, aber seinen Gedanken in die Tat umzusetzen, kam ihm nicht in den Sinn. Er war allein und er wusste nicht, wo er hingehen sollte. Sellag waren keine Einzelgänger, sie traten nie alleine auf, denn nur in der Gruppe fühlten sie sich stark. Kalmog hätte nicht gewusst, was er alleine tun sollte.

      Dann schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er Kalerid einfach belügen könnte. Er könnte seinem Heerführer sagen, dass er den Gefangenen getötet hatte. Aber er verwarf auch diese Idee schnell, denn Kalerid hatte den Kopf des Königs verlangt und er würde kaum eine Ausrede finden, die glaubhaft erklärte, warum er dem Befehl seines Herrn nicht entsprochen hatte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich seinem Schicksal zu stellen und zu hoffen, dass Kalerid Gnade gegenüber seiner Feigheit walten lassen würde.

      Noch atemlos und mit hängender Zunge stapfte Kalmog nun bedächtig der Lichtung entgegen und trat bald aus den Bäumen heraus in das rötliche Licht der sinkenden Nachmittagssonne.

      Kalerid musterte seinen Truppenführer neugierig, als er ihn auf sich zukommen sah. Der neue Herrscher von Allendas hatte sich im Schatten eines der Pferdefuhrwerke auf einem reich verzierten Teppich niedergelassen, der einst als wertvoller Wandbehang gedient hatte, und ließ sich von Marek den mitgebrachten Proviant offerieren.

      Die anderen Sellag hatten sich um ihn herum ins Gras gesetzt. Sie hatten ein Lagerfeuer entfacht, über dem ein Feldhase hing. Davon wimmelt es auf der Wiese geradezu. Sie hatten gleich ein Dutzend davon erlegt, denn es war erstaunlich leicht gewesen, sie zu fangen und ihr Fleisch schmeckte den Sellag besser, als das der zähen Bergziegen, von denen sie sich bisher ernährt hatten.

      »Was ist los, Kalmog? Warum lässt du den Kopf hängen? Hat ein Anderer dir die Trophäe abgenommen?«, rief Kalerid seinem Truppenführer lachend entgegen und ließ ein großes Stück gebratenes Fleisch in seinem Mund verschwinden.

      Kalmog überwand die letzten Schritte, die ihn von der Gruppe trennten, und ließ sich ehrerbietend vor Kalerid auf die Knie sinken.

      »Ich wünschte, es wäre so, Majestät.« Mit gesenktem Kopf bereitete er sich auf sein Geständnis vor. »Bedauerlicherweise ist uns der König entkommen.«

      Wie erwartet, verfinsterte sich Kalerids Blick sogleich. Er warf die Keule achtlos beiseite, Marek direkt ins Gesicht, dann sprang er mit einem Satz auf seine Hinterbeine. »Wie konnte das geschehen? Wie konntet ihr den Menschen entwischen lassen?«, grollte er und trat dabei auf Kalmog zu.

      Vorsichtig hob dieser den Blick und der lodernde Zorn in den gefährlich blitzenden Augen seines Herrn ließ in erzittern.

      »Uns trifft keine Schuld, Majestät«, wimmerte er. »Wir wurden unerwartet angegriffen. Es waren Dutzende und sie waren uns weit überlegen. Sie haben alle anderen Truppenführer getötet. Nur mit Glück konnte ich entkommen.« Kalmog vertrat die Ansicht, dass es seiner Lage nicht schaden konnte, ein wenig zu übertreiben. Zudem beschloss er vorsichtshalber, zu verschweigen, dass er zuvor die Hälfte der Truppenführer in blinder Gier selbst niedergestreckt hatte.

      »Wer hat euch überfallen?«, fragte Kalerid weiter.

      Kalmog schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich weiß es nicht, Herr. Ich konnte sie nicht sehen«, jaulte er und spürte, wie ihm kalter Schweiß auf die Stirn trat.

      »Du weißt, dass es Dutzende waren, aber du hast sie nicht gesehen?«, zischte der Heerführer misstrauisch und beugte sich näher an Kalmog heran, um ihn mit stechendem Blick zu mustern.

      Kalmog senkte wieder sein Haupt. Er konnte dem durchdringenden Blick Kalerids nicht länger standhalten. Er fühlte sich in die Enge getrieben und die Angst um sein Leben ließ seine Stimme beben. »Sie haben sich verborgen. Keiner von uns konnte sie sehen, aber ihre Pfeile waren überall. Es müssen eine Unmenge gewesen sein.«

      »Schweig, du elender Lügner!«, fauchte Kalerid. Er hatte genug von dem Gewinsel. Der König war entkommen und nur das was ausschlaggebend. Was mit seinen Truppenführern geschehen war, war ihm egal. Sie waren überschätzte Schwächlinge, soviel war ihm jetzt klar, und er würde sie ersetzen müssen. Aber auch das war jetzt zweitrangig; er wollte den Kopf des Königs.

      Kalmog war bei Kalerids Worten zusammengezuckt. Er duckte sich nun noch mehr in das Gras und hoffte darauf, dass sich unter ihm ein Loch auftun würde, in dem er verschwinden konnte. Seine Befürchtung, dass Kalerid keine Gnade mit ihm walten lassen würde, verfestigte sich immer mehr. »Majestät, ich werde alles tun, um Eure Wünsche zu erfüllen. Gebt mir ein paar Krieger und ich werde Euch nicht nur den König, sondern auch die Kreaturen, die Eure Männer getötet haben, bringen«, bettelte er, in dem elendigen Versuch, Kalerids Zorn zu besänftigen. Doch damit steigerte er