Werner Karl

Menosgada


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Schultern.

      »Deine Träume, Kind: sind sie verschieden oder ist es stets der gleiche Traum?« Er versuchte ein Lächeln, aber an der Reaktion der Kleinen sah er, dass es wohl nicht besonders warmherzig ausgefallen war.

      Kyla sah ihm, ihrem Vater und dann wieder Feidlim in die Augen und antwortete erst, als Alaric zustimmend nickte. Feidlim entging nicht die Ungeduld im Blick des Fürsten.

      »Es sind immer die gleichen Bilder, die ich sehe«, begann sie und er konnte förmlich verfolgen, wie sich ihre Augen weiteten und sich Traum und Realität zu mischen begannen. »Ich bin im Wald, erkenne aber die Stelle nicht«, fuhr sie fort. »Ich sehe seltsame Bäume, die weiß und grau gefleckt sind. Ich renne … stolpere.« Sie hielt inne, versuchte ihre Hände vors Gesicht zu heben, stieß aber an seine Unterarme.

      »Weiter, sprich nur! Du bist hier in Sicherheit. Dein Vater und ich sind bei dir.«

      Zu seinem eigenen Erstaunen zeigten seine Worte Wirkung, obwohl er noch nie ein besonders gutes Verhältnis zu Kindern – und schon gar nicht zur Tochter des Fürsten – gehabt hatte.

      »Ich falle in Lachen aus Blut …«

      »Im Wald?«, unterbrach er sie. »Von wem stammt das Blut? Vor dir? Verletzt du dich irgendwo?«

      »Es ist Menschenblut«, antwortete sie leise und ließ es zu, dass er ihre Hände in die seinen nahm. Sofort drücke sie fester zu und er spürte ihre kleinen Fingernägel auf seiner Haut.

      »Bist du sicher? Könnte es nicht das Blut eines Tieres sein?«

      »Nein!«, stieß sie hervor und bohrte ihre Nägel tiefer in sein Fleisch. »Männer tauchen auf … sie tragen Waffen in ihren Händen.«

      So klein sie auch war, sie hatte Kraft und zeigte es dadurch, dass ihre spitzen Nägel sich wie kleine Dolche in seine Haut drückten. Feidlim empfand Schmerz und sah mit einem kurzen Blick, dass kleine Rinnsale von seiner Hand hinabrannen. Alaric schien es nicht zu bemerken oder wagte es nicht, seine Tochter oder den Druiden zu unterbrechen.

      »Sie versuchen mich zu packen …«

      Feidlim war nun selbst gebannt von der Szene und wagte keinen Einwand mehr. Er sah, dass das Mädchen Angst empfand, aber nicht um sich selbst. Als sie nicht mehr weiter sprach, riskierte er doch noch eine Frage.

      »Kannst du die Männer beschreiben?«

      »Sie tragen ihr Haar lang …«

      Feidlim hatte ihr noch ein paar weitere Fragen gestellt und zwischendurch erleichtert seine Hände aus ihren Krallen befreit, aber nichts mehr Wesentliches in Erfahrung bringen können. Er war ein wenig stolz darauf, dass es ihm gelang, so zu tun, als würden seine Wunden nicht schmerzen und trug ein wenig Heilsalbe auf. Dann hatten Alaric und er die Kleine einer völlig durchnässten Sklavin übergeben, die wie von Zauberhand aufgetaucht, aber ergeben draußen stehen geblieben war, bis Alaric sie hereingerufen hatte. Sie würde Kyla nach Hause bringen.

      Noch bevor Alaric ihn fragen konnte, erhob sich der Druide, trat an die Feuerstelle in der Mitte des Raumes heran und schob mit einem starken Ast die Schicht Asche zur Seite, die die Glut geschützt hatte und blies vorsichtig hinein. Zwei, drei Mal wiederholte er es, bis endlich eine kleine Flamme aufloderte und er dünne Äste nachlegen konnte. Als das Feuer zuverlässig brannte, wandte er sich seinem Gast wieder zu. Natürlich hätte es des Feuers trotz des anhaltenden Regens zu dieser Jahreszeit nicht unbedingt benötigt, aber er hatte die kurze Zeitspanne genutzt, um nachdenken zu können.

      »Herr, warum seid Ihr zu mir gekommen, wenn Ihr die Antwort schon kennt? Ihr wisst, wer diese Krieger sind, nicht wahr?«

      Alaric kniff Augen und Stirn ein wenig zusammen, weil ihm der Ton des Druiden nicht zu behagen schien. Feidlim hatte immer mehr den Eindruck, dass seinem Fürst die ganze Angelegenheit nicht wirklich interessierte und er es wohl für eine vorübergehende und daher harmlose Sache hielt. Alaric fuhr in einem Tonfall fort, der Feidlim zeigte, dass sein Fürst sich mit dieser Einschätzung aber wohl doch nicht so sicher war. »So wie sie die Männer beschreibt, können es eigentlich nur Germanen sein. Niemand aus unserem Stamm hat schon einmal einen germanischen Krieger vor Augen gehabt, aber die Beschreibung passt zu Schilderungen anderer Stämme weit nördlich von uns.«

      »Wir wissen seit langem von ihrem Herannahen«, antwortete Feidlim. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch zu uns stoßen. Die Geschichten über ihre Gräueltaten sind schneller als ihre Pferde oder Füße.«

      »Dies war der Grund dafür, dass ich die Wälle ausbessern und verstärken ließ, Druide«, antwortete Alaric ungehalten. »Dies war der Grund dafür, dass ich Vorräte anlegen ließ, die Jäger öfter in die Wälder schickte, um Wild zu erlegen. Und dies war auch der Grund, warum ich Speere, Äxte, Schwerter und Schilde, Pfeile und Bogen anfertigen ließ, in einer Zahl, wie sie uns noch nie zuvor sinnvoll erschien.«

      Feidlim nickte. Er hatte all dies gesehen und die Vorkehrungen seines Stammesfürsten als richtig betrachtet. Nur nicht als … beruhigend. Auch andere Stämme hatten sich in ähnlicher Weise auf das Vordringen der Barbaren aus dem Norden eingestellt. Geholfen hatte es ihnen nicht. Die Nachricht von schrecklichen Kämpfen, ja regelrechten Massakern, hatte viele in Angst und Schrecken versetzt. Gut möglich, dass Fetzen solcher Erzählungen bis an das Ohr der Fürstentochter gelangt waren und diese nun von Vorahnungen heimgesucht wurde. Feidlim überlegte für einen Moment, ob Kyla seherische Fähigkeiten besaß oder nur das im Traum verarbeitete, was unvorsichtige Mäuler ihr zugetragen hatten.

      »Eure Vorkehrungen sind zu bewundern, Herr, ohne Zweifel. Doch hat dies andere Stämme nicht vor ihrem Untergang bewahrt. Es wäre sicher von Nutzen, wenn wir uns mit anderen Stämmen vereinigen könnten, um unsere Streitmacht zu verstärken. 300 Mann unter Waffen scheinen wohl nicht genug zu sein, gegen Horden von Berserkern …«

      »Berserker …«, wiederholte Alaric und stieß das Wort wie einen Fluch aus. »Manche von ihnen tragen Felle von Bären … und sollen kämpfen wie diese. Dazu sind sie groß gewachsen und tragen Waffen, die selbst unsere stärksten Krieger nicht lange schwingen könnten. Was soll ich tun gegen eine solche Armee?«

      Er machte eine kurze Pause, dann knirschten seine nächsten Worte so, als hätte er Sandkörner zwischen den Zähnen.

      »Du weißt ganz genau, dass es nur einen einzigen Stamm in der weiteren Umgebung gibt, der uns zwar nicht gerade freundlich, aber zumindest neutral gegenübersteht. All die anderen sind nur neidisch auf unsere Befestigung und ihre Position. Wie viele Kämpfe haben wir schon überstanden? Wie oft wurden wir schon angegriffen und konnten sie immer wieder zurückschlagen?«

      »Auch hier habt Ihr mit jedem Wort Recht, mein Fürst. Doch ändert es nichts daran, dass die Germanen kommen werden. Vielleicht nicht heute oder morgen … aber sie werden kommen!«

      Nun machte Feidlim eine Pause, erhob sich und trat Alaric gegenüber. »Warum also seid Ihr hier, mein Fürst? Ich kann Eurer Tochter die Träume nicht nehmen, wenn ständig neue Nachrichten ihre Ängste schüren …«

      »Befrage die Götter, warum sie nicht um sich selbst fürchtet!«, befahl Alaric und atmete dabei schwer. »Befrage die Götter, warum sie weint, wenn sie mich ansieht! Kann sie meinen Tod sehen?«

      Der Stammesfürst war hier Vorbild und Abbild seiner Tochter zugleich. Seine Fragen zeugten nicht von Angst um sein eigenes Leben, sondern um das seiner Familie. Er schien die angedeutete Rettung seiner Tochter den Göttern schon jetzt zu danken, doch musste ihn die Angst um Frau und Sohn innerlich zerfetzen, als hätten ihn die Klingen von mehreren Feinden schon getroffen.

      »Ich werde die Götter befragen, mein Fürst, so wie Ihr es wünscht … befehlt.« Feidlim überlegte schon die ganze Zeit, was er danach als Rat der Götter würde mitteilen können, ohne sich gleich selbst in Gefahr zu bringen. »Natürlich verlangen die Götter ein Opfer … wie immer. Es sollte ein großes Opfer sein«, fügte er hinzu.

      Alaric nickte und ging wortlos hinaus. Der Regen hatte noch an Heftigkeit zugenommen und stob jetzt – unterstützt durch ebensolche Böen – weit in den Raum hinein.

      Feidlim