Werner Karl

Menosgada


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und seltsame Bäume.« Die Krieger zu erwähnen, vermied Alaric. Schließlich wollte er nicht im Nachhinein seiner Tochter Angst einjagen.

      »Von Schnee hast du noch nichts erzählt«, wagte Brianna einen leisen Einwand.

      »Es war alles ganz anders, Mama«, fuhr Kyla fort. »Die Bäume sahen normal aus.«

      »Und wieso kam er dir dann unheimlich vor?«

      »Es war Winter und ich nur leicht bekleidet. Trotzdem fror ich nicht.«

      »Einen, den du schon erlebt hast?«, unterbrach erneut Alaric und konnte eine gewisse Ungeduld in seiner Stimme nicht unterdrücken. Prompt erhielt er einen tadelnden Blick von seiner Frau.

      »Ich weiß es nicht … ich glaube nicht. Der Hund kam näher und schien keine Angst vor mir zu haben. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, hatte er eine sehr spitze Schnauze und einen dicken Schwanz. Wäre er nicht weiß gewesen, hätte ich gesagt, dass er ein Fuchs war.« Sie hob den Kopf. »Aber es gibt doch keine weißen Füchse, oder Mama?«

      Brianna und Alaric sahen sich kurz an, dann antwortete ihr Vater. »Doch, es gibt weiße Füchse. Hoch im Norden. Ich habe nur einmal in meinem Leben einen gesehen.«

      »Ich habe drei gesehen … in diesem Traum«, entgegnete Kyla fast ein wenig stolz auf ihr Erlebnis. »Die beiden anderen waren nur wenig kleiner als der erste.«

      Ihr entging, dass ihre Eltern sich erneut einen bezeichnenden Blick zuwarfen, jetzt aber nicht mehr wagten, sie zu unterbrechen.

      »Sie kamen zu mir und setzten sich. Wir spielten eine Zeit lang, dann …« Wie von Geisterhand weggewischt, verschwand ihr entspannter Ausdruck und Schatten huschten über ihr Gesicht. Plötzlich war sie bleich wie der Schnee in ihrem Traum. »Sie fletschten die Zähne und rannten auseinander, weg von mir … aber ich habe ihnen doch nichts getan …« Tränen schossen nun aus ihr hervor und Brianna nahm sie in ihre Arme.

      »Es war nur ein Traum, Liebes«, flüsterte Brianna und war sich bewusst, dass sie diese Worte schon ein Dutzend Mal ausgesprochen und sie ihre Tochter damit nicht einmal hatte beruhigen können.

      »Ich weiß nicht, was passiert ist, Mama. Auf einmal waren sie alle tot. Ihr Blut färbte ihr Fell und den Schnee …« Sie weinte still vor sich hin und Drudwyn schmiegte sich eng an die beiden und pfiff leise.

      Es dauerte fast eine ganze Stunde, bis Kyla wieder eingeschlafen war und still auf ihrem Lager lag. Den Rest der Nacht vergönnten ihr wohl die Götter einen traumlosen Schlaf. Brianna stand vom Bett ihrer Tochter auf und ging leise zu ihrem Mann, der mit finsterem Blick immer noch am Tisch saß und vor sich hin brütete. Als seine Frau sich neben ihn setzte und ihren Kopf an seine Schulter legte, nahm er ihre Hand.

      »Du weißt, wovon sie geträumt hat, nicht wahr?«

      »Ja, natürlich. Die Legende von den drei Füchsen. Ich habe sie ihr aber nie erzählt.«

      »Ich auch nicht. Wenn in einem Jahr drei weiße Füchse erscheinen«, ergänzte er die Legende, obwohl er wusste, dass sie sie ebenso kannte wie er, »geschieht ein großes Unglück.«

      Kapitel VI: Neue Kraft

      Die Höhle lag tief im Berg und hatte eine Größe, die fünfzig Pferden samt Reitern genug Platz geboten hätte. Aber es befand sich nur ein Körper darin, der wie tot in ihrer Mitte lag. Kein noch so dünner Lichtstrahl drang durch das weit oben liegende kleine Loch, das mit allerlei Gestrüpp und Wurzelwerk fast vollständig zugewachsen war. Schon lange hatte in dieser Höhle kein Feuer mehr gebrannt und somit auch kein Bedarf an einem funktionierenden Rauchabzug bestanden. Tatsächlich war es in der Kaverne finster wie in einer sternenlosen Nacht.

      Draußen wogten seit Tagen dunkle Regenwolken und ständig tropfte und rieselte es an einigen Stellen in die Höhle, vereinigte sich spärliches frisches Wasser mit stinkenden Pfützen. Der Geruch von Moder und Schimmel erfüllte die Luft, die einen lebenden Menschen hätte nach Atem ringen lassen.

      Würmer, Asseln und kleine Molche huschten umher, suchten Nahrung und Deckung. Hier unten hatten sie eine Zuflucht gefunden, in die sich keine Maus, kein Vogel oder ein anderer Fressfeind verirrte. Tausendfüßler marschierten wirr durcheinander, krabbelten über abgestorbene Pflanzenreste und zerfallendes Holz, das wohl einmal als Brennholz hätte dienen sollen. Fledermäuse hingen an vielen Stellen an der Felsendecke und schliefen. Nur ab und an raschelte es verhalten, wenn sich ein Tier bewegte.

      Ohne erkennbaren Anlass durchfuhr ein leichtes Zittern das dunkle Bündel am Boden, das auf einer leichten Erhöhung trocken da lag. Der Körper, der von einem fast nachtschwarzen Umhang eingehüllt wurde, erbebte für einige Augenblicke. Entweder war die Quelle, aus der sich die Bewegung genährt hatte, zu weit entfernt oder sie war nicht von der Art beschaffen, dass sie den Körper hätte vollständig erwecken können. Für kurze Zeit lag die Gestalt wieder so regungslos da wie zuvor.

      Doch das Schicksal … oder dunkle Mächte meinten es gut mit der Gestalt.

      Hatten sich bei der ersten Bewegung nur eine Handvoll der auf ihm liegenden Insekten rasch davon gemacht, so stoben nun ganze Scharen in die Dunkelheit, als die Kreatur sich erneut, und dieses Mal heftig, aufbäumte. Ein Stöhnen klang auf, als würde ein Mahlstein langsam über einen großen Unterstein gezogen werden. Arme erhoben sich unter dem dreckigen Gewand und sanken erneut nieder. Aber die Kreatur verfiel nicht wieder in die Starre, die sie seit vielen Jahren umfangen hatte, sondern verhaltenes Heben und Senken der Brust offenbarte, dass sie wirklich erwacht war.

      Trotzdem blieb sie liegen, wohl noch zu schwach, nach so langer Zeit.

      Dann durchfuhr sie ein drittes und viertes Mal eine ferne Kraft, schwächer als die zuvor, aber genug, um sich mit dem Oberkörper aufzurichten. Staub und Getier fielen herab, trockene Blätter und leere Panzer von toten Käfern. Hätte es einen Beobachter gegeben, der zu seinem Glück oder Unglück über eine Lichtquelle verfügt hätte, so hätte er sich nun gewünscht weit, weit entfernt zu sein.

      Der Körper trug nicht nur ein finsteres Gewand, sondern auch einen metallenen Helm, dessen Vorderseite Schlitze in Form eines Kreuzes besaß. Geheimnisvolle Ornamente und Schriftzeichen säumten die Schlitze und Lücken, durch die ein Mensch hätte blicken können.

      Und dahinter …

      … lagen dunkle, augenlose Löcher wie ein finsteres Abbild der Höhle selbst. Dünne Fäden, die einmal Haare gewesen sein mochten, ragten unter dem Helm hervor. Bleiche Zähne und ein Schlund - ohne Lippen oder Zunge - öffneten sich zu einem freudlosen Lächeln. Zwei Hände, eher Krallen, erhoben sich. Der Stoff rutschte nach unten und gab Finger preis, die weder Haut noch Fleisch besaßen. Nur dünnes Gebein mit Fingernägeln, die in spitzen Klingen endeten, eisernen Fortsetzungen, die ohne Halt an den Knochen klapperten.

      Die Gestalt führte eine dieser schrecklichen Hände vor das fehlende Gesicht, so als könne sie auch ohne Augen und in völliger Dunkelheit sehen. Und tatsächlich glommen winzige Lichter in den leeren Augenhöhlen auf … gelb … giftig wie Schlangen … böse funkelnd und langsam heller werdend.

      Vier sind gestorben … rasch hintereinander, darunter ein Kind, dachte die Gestalt erfreut und verzog grausam seinen Mund. Endlich … endlich bin ich wieder erwacht.

      Seinen Namen kannte wohl längst niemand mehr, denn es mussten viele Jahre vergangen sein, seitdem er in die Höhle eingeschlossen worden war. Vielleicht kannten die Menschen noch die Legende vom Alten Mann im Berg oder die von dem Schwarzen Druiden, der er einst gewesen war.

      Aber nun war er erwacht und würde alles tun, um nicht noch einmal so lange ruhen zu müssen. Und auch seinen Namen würden sie wieder lernen … ihn fürchten und mit zitternder Stimme flüstern … oder schreien, wenn sie starben.

      »Mahiman!«

      Das Wort stieg wie kalter Hauch aus seiner Kehle, jede Silbe wie ein trockenes Schaben über verwitterten Stein.

      Als sich ihm eine Schlange näherte und an einem Bein entlangkroch, begrüßte er sie mit einem