Elsa Merten

Mora und...was bleibt.


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und Böhmen, so die alten Aufzeichnungen, waren sie gekommen, die Deinen. Der Goldene Steig war demnach auch einer ihrer Wege und nicht nur von Böhmen her, sondern auch von Passau her“, resümierte ich. Stimmlos wurde ich mitgenommen zu althergebrachtem und historischem Wissen: „In der Altstadt von Passau gab es neben der katholischen Kirchen bis 1427gar noch eine Synagoge, die dann abbrannte. Bis1478 gab es Juden nur mehr in der Ilz-Stadt, dann jedoch, ab 1867, fast 100 Jahre nach der Reduzierung des bischöflichen Machtbereiches von Passau und ca. 60 Jahre nach der Säkularisation, begann eine erneute Zuwanderung von Juden.

      „Ich liebe Passau, die Ausstrahlung einer deutsch-italienischen Architektur von Neugotik bis Barock und den Punkt der Verschmelzung von Ilz und Inn mit der Donau. Vor allem liebe ich den Fuß-Weg am Inn entlang, der an der Fünferl-Brücke vorbeiführt bis hin zur Landspitze und das hat seinen Grund“, ergänzte ich aus einer Vielzahl von Empfindungen und ließ nun Fantasie und Gedanken miteinander spielen. Dazu tastete ich mich behutsam hin zu den Ufern des Inns und ließ vor meinem inneren Auge die damaligen Zuwanderer, Juden und Nichtjuden aus Italien, Österreich oder aus der Schweizer Bergwelt kommend, in Grüppchen stromabwärts vorbeiziehen. Ihre Habseligkeiten auf einer Kraxe festgezurrt, die schwer auf die jeweiligen Rücken gedrückt haben musste, sah ich sie ächzend ihren Weg suchen.

      „Übergesetzt zur Ilz und am Goldenen Steig angekommen, war der Weg noch weiterhin beschwerlich, aber es war nicht mehr allzu weit in eine neue und sie schützende Heimat“, ging es mir durch den Kopf.

      Ich bemühte meine diesbezüglichen Visionen der Zuwanderung immer wieder gerne, so auch jetzt, im Angesicht des graublauen Albums, aus dem heraus mich die Gesichter der Familie W. fixierten. Mit diesen Gedanken drängte es mich, mehr feststellend als fragend, hin zu den vielschichtigen Namen im Tal. „Die eingedeutschten Namen, die habt Ihr auch auf Euren gekrümmten Rücken schon mitgebracht. Mit dabei waren wohl auch jene, die sich der jeweilige Träger nicht aussuchen durfte und die dazu angetan waren, ihn damit zu beleidigen oder ihn zu demütigen. Mittlerweile tragen sie den ehemals selbst ausgesuchten oder ihnen aufgedrückten Namen mit einer Souveränität, die keine Blässe mehr zeigt. Sie alle haben im Tal ein Zuhause gefunden und sind eingebettet in eine Solidargemeinschaft auch mit jenen, die aus den Bauernhöfen der Südtiroler Berge ausziehen mussten, weil Lohn und Brot fehlten. Für keinen war und ist es jemals Sache gewesen, irgendeine Herkunft zu hinterfragen“, murmelte ich abschließend. Mir jedoch war es ein unerklärliches Bedürfnis und dies nicht zum ersten Mal, die erst vor kurzem erworbenen Kenntnisse zur Namensbildung vor mir auszubreiten. Danach hatten die Juden Ende des 18. Jahrhunderts in absolutistisch regierten Staaten Mitteleuropas deutsch lautende Namen zu übernehmen um Spuren zu ihrer ursprünglichen Herkunft auszulöschen. Im Gegenzug dazu hatte es für sie erweiterte Bürgerrechte gegeben. „Um diese Zeit haben wohl auch viele der Zugewanderten den herkömmlichen jüdischen Glauben verlassen und bekannten sich nach langem Leidensweg, den die Ahnen schon kaum mehr zu schultern vermochten, zum landesüblichen Christentum“, ging es mir durch den Kopf.

      Später sollte sich mein diesbezügliches Wissen aufstocken. Nämlich dahingehend, dass mit einer im November 1932 eingeführten Verordnung und dem Rund- Erlass des preußischen Reichsinnenministeriums dazu, Richtlinien im Dezember desselben Jahres geschaffen wurden, die es den Juden unmöglich machen sollten, einen als jüdisch geltenden Familiennamen abzulegen. Damit gab es wohl bereits die verwaltungstechnischen Voraussetzungen für den Ende 1941 beginnenden Holocaust.

      Noch auf dem gedanklichen Weg mit Mora, hin zu ihren Anfängen und im dicken Polster sitzend, wusste ich das nicht.

      Das Fotoalbum lag noch aufgeschlagen auf meinem Schoß, als ich nach einer Möglichkeit suchte, die vorher angestoßenen und mich bedrängenden Gedanken um den im Hause W. festgemachten Katholizismus auszuleuchten. Da war das Foto von Moras Mutter, meiner Großmutter, das mich hierzu begleitete.

      „Der Katholizismus war ihr Zeit ihres Lebens ein besonderes Anliegen.

      Ihr Tun und Lassen orientierte sich an dem, was die Kirche und die damit verquickte Hierarchie verlangte. Demütig lebte sie die aufgepfropften und vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten der katholischen Kirche.

      In diesen Reihen suchte sie, so wie es im Tal üblich war, ihre Anerkennung und ihren festen Platz“, erinnerte ich mich. Vom Hörensagen wusste ich, dass es in den Wintermonaten Tage gegeben hatte, an denen diese zierliche Gestalt, zusätzlich zum Sonntagsgottesdienst, weitere zwei Mal die Woche in frühester Morgenstunde in das Nachbardorf zur Frühmesse stapfte und sich von keiner noch so hohen Schneewehe aufhalten ließ. „Sie hat nebenher nicht versäumt, auch Dir ihren Glauben ans Herz zu reden und darin war sie nicht recht erfolgreich, dennoch verfingst Du Dich darin“, wandte ich mich mit undefinierbarem Unterton an Mora und bemühte nochmal das Foto um Aussagen.

      Das braune dichte und schulterlange Haar trug sie tagsüber ihr Leben lang zu einem Knoten im Nacken zusammen gesteckt. „Hatte sie jemals graues Haar?“, fragte ich mich und hatte dabei ihre hellbraunen Augen im ovalen Gesicht vor mir, die gewohnheits-mäßig das jeweilige Gegenüber aufmerksam zu mustern pflegten. In mir war seit Kindheitstagen eine stille und innige Zuneigung zu ihr vorhanden. In unzähligen Zwiegesprächen mit ihr ließ ich sie an meinem Leben teilhaben und meinte durchgehend, ihre helfende Hand zu spüren, vor allem dann, wenn ich in Nöten war.

      Nicht ein Mal war mir in früheren Jahren bewusst geworden, wie sehr sie, mit der katholischen Kirche im Schlepptau, die Gangart der Familie W. zu bestimmen wusste. Aus etlichen Erzählungen Moras wusste ich jedoch, dass ihr Vater, mein Großvater, diese Gangart regelmäßig durchkreuzte. Ein Lächeln machte sich in mir breit, als ich spontan mit meinen Erinnerungen an Überlieferungen darüber andockte. Eine davon erzählt von Tagen, an denen Gewitter das Tal heimsuchten.

      Da sah ich tiefhängende schwarze und grollende Gewitterwolken, aus denen heraus grelle Blitze die Einwohner im Tal aufschreckten. „Deine Mutter wurde panisch an solchen Tagen oder Nächten“, wandte ich mich an Mora und fuhr fort: „Bei jeder Tages- und Nachtzeit musstet Ihr für die Zeit des Gewitters um den hölzernen Tisch in der Küche sitzen, auf dem eine von der Wallfahrt mitgebrachte schwarze und geweihte Kerze flackerte“. Demütige Häufchen da am Küchentisch, gemurmelte Gebete, die an den Küchenwänden empor krochen, während der Vater mit ironischem Gesichtsausdruck und seiner Mundharmonika an den Lippen auf der überdachten Treppe vor dem Hauseingang saß und die hell aufzuckenden Blitze am geschwärzten Himmel und das ihnen nachfolgende Donnern aufmerksam beobachtete. Dabei zählte er die Sekunden, die den Abstand zwischen Blitz und Donner ausmachten um die Entfernung des Gewitters zum Haus einschätzen zu können. „Seine dabei leise gespielten Melodien drangen ins Haus und zupften an Dir“, so hast Du mir erzählt und sie ließen Deine Angst vor dem Himmelsgepolter kleiner werden.

      Vom Hörensagen wusste ich, dass er es war, der Mora wenige Tage nach der Geburt von der Dorfsenke weg- gebracht hatte. Meine Gedankenwelt beschäftigte sich gerne mit den Schilderungen darüber, wie er mit leicht schlenkernden Bewegungen und glitzernden Augen die erst wenige Tage alte Tochter in einer erstandenen hölzernen Wiege, die er abwechselnd mal auf der linken und mal auf der rechten Schulter balancierte, seinem Elternhaus zuführte. Das Haus, einsam gelegen und sich geschickt hinter ein paar hervorgetretenen Tannen verbergend, hatte Mora, inmitten der Großeltern und einer noch jungen Schar von Onkeln und Tanten, Liebe und Geborgenheit in den nachfolgenden Jahren bis zur Einschulung gegeben. Von diesen Tagen im Haus des Viehhändlers W. konnte sie später nicht oft genug mit viel Wärme in der Stimme erzählen.

      Was außerhalb der schützenden Tannen diese Jahre, die Jahre von 1926 bis 1933 bestimmte, in der eine junge Demokratie erste ungelenke Schritte gemacht hatte, war keinem der Rede wert. Mit unverhohlener Ironie in der Stimme hörte ich mich sagen: „Rückblickend zu dieser Zeit erzählte man sich lediglich gerne in der Familie, dass

      im Jahr 1933 das von Moras Eltern gebaute Haus, in Nähe der Dorfsenke, bezugsfertig geworden war. Hier wurde mir bewusst, dass ich auf dem Weg durch Moras Leben, der sich durch eine Zeit von politischen Umwälzungen hanteln würde, nicht nur geschichtliche Erkenntnisse heranführen, sondern auch die jeweilige Politik mit auf den Weg nehmen musste, weil deren Auswirkungen die nachfolgenden Generationen mit sich zu schleppen hatten und haben.

      Mir gegenüber hing an der Wand ein Portrait-Foto von