Cornelia Rückriegel

Csárdás im Schlosshotel


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auch meine Vorfahren immer getan haben!“ Seufzend erkennt die junge Frau, dass mit der Großmutter nicht zu reden ist.

      Sie versucht es trotzdem nochmals. „Es ist eine böse Zeit, Großmutter. Wir haben keine Wahl. Wir müssen fliehen.“ „Fliehen? Dieses Wort ist unserer Familie unwürdig. Wir fliehen nicht. Wir harren aus.“ Da reißt der jungen Frau endgültig der Geduldsfaden. Immer wieder kreisten in den letzten, unseligen Wochen die Gespräche um ebendieses Thema. „Na, gut. Wie du willst. Dann geh ich eben alleine. Ich habe Angst um mein Kind, ich will nicht in die Hände dieser Barbaren fallen. Wenn du nicht mitkommen willst, so ist es deine Entscheidung. Aber denke bloß nicht, dass sie dich verschonen werden, nur weil du seit 50 Jahren hier residierst. Im Gegenteil, sie werden dich ihren Hass spüren lassen, den Hass, den man ihnen künstlich eingeredet hat. Ich weiß sehr wohl, dass unsere Leute alle gut versorgt und betreut waren, niemand hat hungern oder frieren müssen. Aber wir sind nun mal der verhasste Adel, und die Leute sind aufgewiegelt. Sie werden in ihrem blinden Hass keine Unterschiede machen. Ich flehe dich an, komm mit, die Wagen stehen bereit.“ Die alte Baronin steht hochaufgerichtet in ihrem Salon, der noch die Spuren der früheren Eleganz trägt, auch wenn die ehemals blankpolierten Holzverkleidungen längst verheizt worden sind. „Niemals.“ „So ist das dein letztes Wort?“ „Ja. Eher sterbe ich, als das Schloss zu verlassen.“ Die junge, hochschwangere Frau tritt auf sie zu, umarmt sie. Und ihr wird eine der selten verteilten Liebkosungen zuteil, die die alte Baronin je einem anderen Menschen hat angedeihen lassen. Sie streicht über die dunkelblonden Haare und sagt: „Gott schütze dich, mein Kind, und er schütze unseren ungeborenen Erben.“ Gott scheint die Bitte nicht wahrgenommen zu haben. Vermutlich, weil in jener Zeit Unzählige seinen Namen gerufen und zu ihm gefleht haben.

      Die Baronin wurde in einer glücklichen Zeit geboren. Das Kaiserreich Österreich und das Königtum Ungarn hatten wenige Jahre vor ihrer Geburt den jahrhundertelang schwelenden Konflikt endlich beigelegt, was man nicht zuletzt der Kaiserin Elisabeth von Österreich, die gleichzeitig Königin von Ungarn war, zu verdanken hatte. Ilona, die künftige Baronin, war noch viel zu jung, um zu begreifen, was vor sich ging.

      Im eleganten Stadtpalais ihrer Eltern in Budapest gingen Vertreter des Adels und hochangesehene Politiker ein und aus. Unter anderem waren der Ministerpräsident Tisza oder der Finanzminister Wekerle bei ihren Eltern zu Gast. So wurde sie schon als junges Mädchen, ganz und gar nicht dem Zeitgeist entsprechend, relativ aufgeklärt erzogen. Selbstverständlich war nie die Rede davon, dass sie eine Ausbildung erhielte oder auf einen Beruf vorbereitet würde. Das Ziel der Erziehung einer adeligen jungen Dame dieser Zeit hieß Heirat. Je hochkarätiger, desto besser. So ganz hochkarätig war dann der Auserwählte doch nicht, das lag wiederum an den Wirren der Zeit. Nach außen hin präsentierte sich die k & k- Monarchie als stabil, doch im Inneren brodelte es. Der Vielvölkerstaat, geeint nur durch Verträge und Abkommen, nicht aber durch geeinten Sinn, barg unendlich viel Zündstoff, der nur auf die Entladung wartete.

      Das hatte wohl auch der Kronprinz erkannt. Sie war 14 Jahre alt, als die Kunde der unglaublichen Tat wie ein Lauffeuer durch die eleganten Salons eilte. Der Kronprinz hatte den Freitod gewählt. Als sich Rudolf von Habsburg im Jahre 1889 eine Kugel durch den Kopf schoss, tötete er nicht nur gleichzeitig mit sich selbst seine Geliebte, die Freiin Vetsera, sondern auch die gesamte Monarchie. Einige bittere Jahre noch konnte der vereinsamte Greis, Kaiser Franz Joseph, auf dem Thron des ehemals so glorreichen Weltreiches die Klammer halten, die das Reich einte.

      Doch es war eine Farce, die spätestens mit dem ersten Weltkrieg enden musste. Für Ilona bedeutete es, dass sie im heiratsfähigen Alter nicht unter den ersten des Landes auswählen konnte, sondern sich eben auch mit zweiter Wahl zufrieden geben musste, wie ihr ihre Mutter wenig zartfühlend beibrachte. Denn durch die verwickelten politischen Winkelzüge jener verworrenen Zeit, die in der Ermordung der Kaiserin Elisabeth im Jahre 1896 in Genf ihren vorläufigen Höhepunkt erfuhren, war auch Ilona nicht mehr die hochkarätige Partie, als die sie einst geboren worden war. Man konnte froh sein, sie einigermaßen an einen kleinen ungarischen Landadel verheiraten zu können. Was dann auch geschah.

      Zu ihrer Ehre sei gesagt, dass sie ihre Aufgabe vorbildlich erfüllte. Sie gebar dem Baron den ersehnten Erben und kümmerte sich um das Gut, das Schloss und alles, was da kreuchte und fleuchte. Es blieb ihr auch keine Wahl, denn bereits in den ersten Kriegstagen des verhängnisvollen ersten Weltkrieges fiel ihr Mann. An der Spitze seines Regiments, glatter Lungendurchschuss. Es hatte sich bewährt, den Kriegerwitwen diese Darstellung zu liefern. Wer will schon hören dass der eigene Ehemann elend verblutet ist oder von einer Granate zerrissen wurde. Sie überlebte die Todesnachricht. Sie bewirtschaftete das Schloss und die Güter mit Umsicht. Sie zog ihren Sohn mit liebevoller Strenge auf. Und war glücklich darüber, dass er zu jung war, um im gleichen unseligen Krieg zu sterben wie sein Vater.

      Das wurde dann ein paar Jahrzehnte später nachgeholt. Ihr Sohn Ferdinand genoss eine von der Mutter mit aller Macht verteidigte glückliche Kindheit. Sie erzog ihn zu einem lebenstüchtigen Mann, der sich sehr wohl seines Erbes bewusst war. Einer Enteignung des Besitzes in abgelegenen Süden Ungarns hatten sie entgehen können, es war nicht spektakulär genug. Ein Jagdschloss in der Puszta. Wer wollte denn sowas.

      Ferdinand heiratete kurz nach dem ersten Weltkrieg. Seine Mutter bemühe sich nach Kräften, eine gute Schwiegermutter zu sein. Doch die Schwiegertochter, die aus Budapest stammte, macht es ihr nicht leicht. Ständig ließ sie verlauten, dass sie sich strafversetzt fühle, hier im Süden Ungarns sei ja der Hund begraben, es gäbe keine Abwechslung, keine Kultur, kein Amüsement. Womit sie in Bezug auf Amüsement, so wie sie es sich vorstellte, wirklich Recht hatte. Eine vom Budapester Flair verwöhnte Ungarin musste sich in der tiefsten Provinz wirklich fehl am Platze fühlen. Aber immerhin war sie Halbjüdin und hätte ein klein wenig dankbar sein können dafür, dass man sie rechtzeitig und unter Aufbietung von Einfluss und nicht geringen Mitteln des Familienvermögens außer Landes und damit in Sicherheit gebracht hatte. Die Scheidung war nur eine Formsache.

      Doch immerhin hinterließ die Schwiegertochter ein reiches Erbe – den Sohn Ferdinands. Sie hatte sich nie viel um ihr Kind gekümmert, wozu auch. Die Schwiegermutter und die Angestellten des Schlosses, das von ihr verächtlich „kleine bäuerliche Klitsche“ genannt wurde, erfüllten diese Aufgabe mit aufopferungsvoller Hingabe. So fehlte es dem kleinen Ferdinand – es hatte Ilona einen harten, aber erfolgreichen Kampf gekostet, diesen Namen durchzusetzen – an nichts.

      Er vermisste noch nicht einmal seine Mutter, die sich auf Bällen und Jagden in der Umgebung mehr amüsierte als in seinem Kinderzimmer. Wochen- und monatelang verschwand sie in Richtung Budapest, um dann, wie eine Göttin, die vom Olymp gestiegen war, für ein kurzes Gastspiel in der Puszta aufzutauchen.

      Der Junge bewunderte seine schöne Mama, aber seine Bezugsperson war und blieb die Großmutter, außerdem hatte er Hajnalka, seine Kinderfrau, die ihn großzog. Als sich die dunklen Wolken zu verdichten begannen, führte Baronin Ilona ein ernstes Gespräch mit ihrer Schwiegertochter. Sie bot ihr Geld an, damit sie sich in Amerika in Sicherheit bringen könne. Denn noch waren die Auftritte der Pfeilkreuzler nur eine ferne Bedrohung. Dass diese auch auf der Höhe ihres Tuns nicht ganz so viele Juden aufspürten wie die „Kollegen“ im Nazideutschland, lag nicht an ihrem mangelnden Eifer, eher an der mangelnden Gründlichkeit. So verschwendete man keinen Gedanken daran, dass der junge Graf immerhin Vierteljude war. Die Schwiegertochter nahm das Angebot an und fürderhin hörte man nichts mehr von ihr. Ferdinand Junior nahm es mit Gelassenheit.

      Sie war sowieso nur selten da gewesen, für ihn machte es keinen großen Unterschied. Nur die Großmutter litt insgeheim unter dem Gedanken seiner teilweise jüdischen Abstammung. Aber immerhin war er ein streng katholisch erzogener Spross einer adligen Familie, die hier im Süden Ungarns einiges an Wertschätzung genoss. So schlimm würde es wohl nicht werden. Hoffte sie. Er fand seine große Liebe. Seine Großmutter betrachtete es mit Wohlwollen. Die Auserwählte entstammte zwar keiner adeligen, aber immerhin angesehenen Familie. Und die Zeiten des Adels als privilegierte Klasse waren sowieso vorbei. Wenn das Mädel aus guter Familie und gut erzogen war, sollte es ihr, Ilona, egal sein – Hauptsache, der Junge würde glücklich. So fand dann die Hochzeit am Vorabend des zweiten Weltkrieges statt.

      Wenig später erhielt er seinen Einsatzbefehl. Immerhin gelang es ihm, einige Jahre