Cornelia Rückriegel

Csárdás im Schlosshotel


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am Erhalt des Gutes und des Schlosses gelegen war wie ihr. Sie hatte mit ihrer Schwiegertochter andere Erfahrungen gemacht und musste nun umdenken. Wozu sie aber gerne bereit war. Beide Frauen einte die Liebe zu einem Mann, dem Enkel der einen und dem Ehemann der anderen. Und so weinten sie auch gemeinsam um ihn, als Anfang des Jahres 1945 die Todesnachricht kam. Erst vier Jahre zuvor war Ilonas Sohn gefallen. Sie hatte nicht gewusst, was ein Mensch auszuhalten im Stande war.

      Vielleicht hatte sich ihr Herz schon beim Tode ihres Mannes verhärtet. Vielleicht war sie damals schon gestorben und nur ihre Hülle hatte überlebt und ihre Pflicht erfüllt. So kam es ihr jedenfalls vor, als sie den Tod ihres Sohnes zu beklagen hatte. Und nun auch noch der Enkel. Sie war ausgebrannt. Nichts mehr würde sie jemals verletzen können.

      In dieser Stunde erst offenbarte die junge Baronin ihrer Schwiegeroma, dass sie schwanger war. „Du musst fort von hier. Hier ist es nicht sicher.“ „Wo soll ich denn hin?“ Darauf wusste die alte Baronin im Jahre 1945 auch keine Antwort. Früher, ja, da wäre es einfacher gewesen. Man hatte einflussreiche Freunde, und ein Geldschein hier oder ein anderer geldwerter Vorteil dort hatten schon manche verschlossene Tür geöffnet. Aber jetzt? Der Untergang stand unmittelbar bevor.

      Das war die Situation zu der Stunde, als die junge Baronin Ilona zu Flucht drängen wollte. Sie weigerte sich. Ungewohnt sanft wurde ihre Stimme. „Ich weiß, dass du dich um mich sorgst. Ich danke dir dafür.

      Aber wie du selbst gesagt hast – ich habe mehr als 50 Jahre meines Lebens hier verbracht. Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Du musst gehen, mein Kind, du musst so schnell wie möglich gehen. Doch sorg dich nicht um mich. Ich bleibe hier. Sie werden es nicht wagen, mich anzugreifen.“ Die junge Frau weinte, küsste die Hände der alten Baronin. „Dann muss ich jetzt wohl gehen.“ „Ja. Geh mit Gott, mein Kind.“ Die junge Frau begibt sich auf die Flucht. Es ist ihr Todesurteil. Sie und ihr ungeborenes Kind, der stolze Erbe der Barone, werden diese Flucht nicht überleben.

      Die alte Baronin späht aus dem Fenster ihres ehemals so eleganten Salons, der nun, zum unausweichlichen Ende eines unmenschlichen Krieges hin, jede Eleganz verloren hat. Sie hebt den Kopf. Sie sieht sie kommen. Als sie das Hauptportal einschlagen, fällt im Salon ein Schuss.

      Viele Jahre später steht ein Mann vor einem von Unkraut und Gestrüpp überzogenen Grundstück. An seiner Seite ist eine junge Frau, die mit wachen Augen die Umgebung mustert. „Du, das ist ja bezaubernd. Das ist einzigartig.“ „Was meinst du? Diese unkrautüberwucherten Ruinen?“ „Ja. Sieh das doch mal nicht so wie es ist, sondern so, wie es sein könnte.“ Er bemüht die Kraft seiner nicht unerheblichen Fantasie.

      „Hm. Ich glaube, du hast Recht. Hat ein bisschen was von einem Dornröschenschloss, so hundert Jahre Schlaf und so. Aber da ist allerhand Potenzial. Ich glaube, wir sollten uns mal mit dem Bürgermeister in Verbindung setzen. Es muss doch rauszukriegen sein, wem der Kasten gehört. Und ob man das Ding kaufen kann.“ Das war die Geburtsstunde des Schlosshotels.

      Sisi & Franz

      Sie kleidet sich noch eben schnell zum Dinner um. Tagsüber ist sie für die Hotelgäste so gut wie unsichtbar, ihre Aufgaben liegen eher im Hintergrund. In jenem Hintergrund, den die Gäste nicht sehen und auch nicht sehen sollen. Das genau ist ja das Geheimnis des reibungslosen Ablaufs. Um das Hotel mit rund 40 Betten und das weitgerühmte Restaurant zu betreiben, ist ein Stab von etwa 30 Mitarbeiten nötig. Nur die Wenigsten haben direkten Kontakt mit den Gästen, etwa die Damen an der Rezeption, die Kellner im Restaurant, der Barkeeper, die Zimmermädchen. Der Rest tut seine Arbeit eher im Verborgenen. Und je unsichtbarer diese dienstbaren Geister bleiben, umso besser stellt sich der Service für die Gäste dar. Kaum ein Gast macht sich Gedanken darüber, was da im Hintergrund an Management und Einsatz geleistet werden muss.

      Sie stammt aus einer Hoteliersfamilie. Sie kennt es. Sie hat es von klein auf miterlebt, ist damit aufgewachsen. Und auch im Hotel ihrer Eltern in Budapest war die Maxime: Der Gast ist König. Sie hätte dort im Hotel bleiben können nach ihrer Ausbildung zur Hotelmanagerin. Aber das wollte sie nicht. Ihr älterer Bruder würde einmal das Hotel der Eltern übernehmen. Und sie hatte nicht diese harte, zeitraubende und im wahrsten Wortsinn kräftezehrende Ausbildung auf sich genommen, um dann in der zweiten Liga zu spielen. Nein. Sie hatte ein klares Ziel. Sie wollte eines Tages ihr eigenes Hotel leiten.

      Noch während ihres Studiums lernte sie ihn kennen. Er war Künstler, Schauspieler. Er hatte seine Ausbildung schon hinter sich, hatte erste Bühnenerfolge vorzuweisen und war auf dem Weg zu einer Karriere. Er hatte ein Engagement in Wien ergattert. Seine brillanten Sprachkenntnisse waren von Vorteil, denn durch seine deutsche Mutter, die mit ihren Kindern stets in ihrer Muttersprache geredet hatte, sprach er ein nahezu akzentfreies Deutsch, wenn auch der beschwingte Klang ihrer badischen Heimat immer ein wenig mitschwang und seinem Deutsch eine besonders leichte, heitere Note gab. Auf der Schule hatte er Englisch gelernt, das war eines seiner Prüfungsfächer im Abitur gewesen, und nun war er sicher in drei Sprachen unterwegs. Was für einen Schauspieler sicherlich keinen Nachteil bedeutete.

      Sie war Volontärin in einem der großen Hotels in Wien. Die „Schöne an der Donau“ hatte schon immer Hotels von Weltruf zu bieten. Wenn sie auch nicht im berühmten Sacher volontierte, so war das Haus, in dem sie zu dieser Zeit arbeitete, doch immerhin im hochkarätigen Niveau angesiedelt. Dazu kam die exquisite Lage in der Innenstadt, direkt am Ring, und so war es kein Wunder, dass sich an so manchen Theaterabenden die Schauspieler dort nach der Vorstellung ein Stelldichein gaben. Bei einer dieser Gelegenheiten, sie hatte Dienst im Restaurant, lernten sie sich kennen.

      Es war eine ausgelassene Gesellschaft, die sich da zu später Stunde auf einen Imbiss und einen Umtrunk im noblen Restaurant einfand, begleitet von der unausbleiblichen Schar der Bewunderer, Gönner und Theaterfreunde. „Sie sind gnadenlos unterbesetzt, mein Lieber“, gurrte eine spätmittelalterliche Dame, die ihre besten Zeiten schon hinter sich hatte, aber relativ erfolglos versuchte, dies zu negieren und vor allem vor ihrer Mitwelt zu verschleiern. „Sie würden einen prachtvollen Romeo abgeben.“ Der junge ungarische Schauspieler, in seinem ersten Engagement in der Donaumetropole, lächelte geschmeichelt. „Nun, das ist auch mein Ziel, gnädige Frau. Aber als Anfänger muss man sich erst langsam zu den großen Rollen hocharbeiten.“ „Ach, bei Ihrem Aussehen und bei Ihrem Talent ist das doch wirklich keine Frage.

      Ich denke, wir werden Sie schon in der nächsten Spielzeit in einem ganz anderen Kaliber bewundern, n´est pas, Cherie?“ Letzteres galt dem schwergewichtigen Herrn, der in ihrer Begleitung segelte, ganz offensichtlich derjenige, der hier generös das gesamte Künstlervolk freihielt.

      Sie sprach nicht Französisch, fand es aber schick, ein paar Worte dieser Sprache ins Gespräch einfließen zu lassen. Der Dicke führte ihre fleischige Hand an seine Lippen. „Ihr Wunsch ist mir Befehl, meine Liebste. Wenn Sie den Jungen unbedingt protegieren wollen, wird es mir ein Vergnügen sein, diesen Wunsch zu unterstützen.“ Der junge Mann behielt sein verbindliches Lächeln bei. Immerhin war er Schauspieler. Aber innerlich würgte es ihn. Er wollte seine Rollen spielen, weil er gut war. Er wollte seine Rollen spielen, weil er die Figuren verkörpern konnte, weil er ausdrücken konnte, was der Dichter, der Regisseur in dieser Rolle sah, was er in dieser Rolle lebendig werden lassen wollte. Er würde aber ganz gewiss nicht den Romeo geben, weil diese abgetakelte Fregatte ihn in dieser Rolle zu sehen und womöglich als netten Desserthappen zu verspeisen wünschte. Er suchte dringend einen Ausweg, eine Flucht aus dieser sich immer unmöglicher gebärdenden Gesellschaft. Irgendjemand hatte Champagner bestellt, und als dieser hoch in den Gläsern aufschäumte, gab ihm eine platinblonde angehende Schauspielkollegin einen willkommenen Anlass, sich zurückzuziehen. Als die Korken knallten, rief das angetrunkene Mädchen: „Happy new year!“ (mitten im Oktober!) und schüttete mit einer einzigen ausholenden Bewegung den Inhalt eines ganzen Champagnerglases über sein makelloses Dinnerjacket.

      Im nächsten Moment war sie da. Während alle noch „ah“ und „oh“ schrien, stand sie plötzlich neben ihm. Tupfte mit einer eleganten Damastserviette den Champagner von seinem Revers und meinte bedauernd: „Das tut mir sehr leid, aber das lässt sich hier so auf die Schnelle nicht erledigen. Wenn Sie mir Ihr Jackett bitte überlassen würden,