Cornelia Rückriegel

Csárdás im Schlosshotel


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plötzlichen Impuls folgend am Arm. „Sie kriegen mein Jackett, aber bitte, bringen Sie mich hier raus“, flüsterte er. Einen Moment stutzte sie, dann lächelte sie ihm verschwörerisch zu.

      Sie sagte laut und von Autorität getragen: „Es ist ein bedauernswertes Missgeschick vorgekommen, aber ich werde selbstverständlich dafür sorgen, dass dies so schnell wie möglich behoben wird. Folgen Sie mir bitte.“ Ihrem bestimmten Auftreten wurde kein Widerspruch zuteil. Hoheitsvoll und gerade aufgerichtet schritt sie ihm voran durch das Restaurant und führte ihn in ein kleines Séparée. „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken kann“, meinte er aufatmend. „So schlimm?“, fragte sie mit ihrem warmherzigen Lächeln. „Noch schlimmer. Ich hatte das Gefühl, wenn ich noch einen Moment länger dort drin bleibe, werde ich das Opfer mordlüsterner schwarzer Witwen und ähnlichen Kalibern.“ Er schüttelte sich. „Setzen Sie sich doch erst mal. Sie sehen aus, als können Sie eine kleine Ruhepause gebrauchen.“ Auch diese Worte waren wieder von diesem unvergleichlichen Lächeln begleitet. So warm, so echt. „Dort drüben ist ein Kanapee. Wenn Sie möchten, können Sie sich dort ein paar Minuten hinlegen, bis ich das Jackett wieder in Ordnung gebracht habe.“ „Nein. Das ist nicht nötig. Und Sie sollen das blöde Jackett auch gar nicht in Ordnung bringen. Ich musste da nur so schnell wie möglich raus. Und das haben Sie geschafft, Danke.“ Nun wurde das Lächeln ausgesprochen vergnügt. „Nicht leicht, so als Jungstar, was?“ „Das können Sie laut sagen. Vor allem weiß man nie, wem man trauen kann.“ Impulsiv hatte er diese Worte hervorgestoßen, hatte gar nicht darüber nachgedacht, was er da jetzt sagte. Doch sie schien ihn zu verstehen.

      Ihr Lächeln vertiefte sich, sofern das noch möglich war. „Wenn ich Sie Recht verstehe, legen Sie keinen Wert darauf, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren?“ „Nein, ganz und gar nicht.“ „Nichts Leichteres als das. Ich begleite Sie zum Hinterausgang und Sie können sich ganz dezent in Luft auflösen.“ „ Wenn das möglich wäre… ich wäre Ihnen sehr dankbar.“ Wie zwei Verschwörer schlichen sie sich aus dem Séparée. Sie geleitete ihn durch verwinkelte Gänge und nur durch das Notlicht erhellte, halbdunkle Flure zum Hinterausgang. Dort – die ersehnte Freiheit zum Greifen nahe – wendete er sich zu ihr um. „Ich bin Ihnen zu tausend Dank verpflichtet. Hoffentlich bekommen Sie jetzt keine Unannehmlichkeiten?“ „Ach, woher!“ Die grünen Augen blitzten ihn fröhlich an. „Sehen Sie nur zu, dass Sie sich auf dem Heimweg nicht noch einmal in so ein Spinnennetz begeben!“ Und mit diesen Worten schlug sie die Tür vor seiner Nase zu. Er grinste nun auch. Tolles Mädel, dachte er.

      Stillvergnügt wandelte er seiner kleinen Bude zu, einer Studentenwohnung, die er sich mit einem Freund teilte. Wie zu erwarten, war der Fredi nicht zu Hause. Umso besser. Denn sein Mitbewohner hatte die lästige Angewohnheit, Zufallsbekanntschaften auch eben mal über Nacht in die gemeinsame Wohnung mitzubringen, was des Öfteren schon für prekäre Situationen morgens vor der Badezimmertür oder in der Küche geführt hatte. Denn Fredi, mit bürgerlichem Namen Alfred, hielt es normalerweise nicht für nötig, seiner Begleitung zu eröffnen, dass sie sich keineswegs allein in der Wohnung befanden, sondern dass sein Mitbewohner jederzeit als Störfaktor in Erscheinung treten könnte. Aber an jenem Abend war die Wohnung erfreulicherweise leer. Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, pfefferte die dämliche Fliege, die ihm den ganzen Abend schon das Atmen schwer gemacht hatte, in die nächste Ecke und ließ sich in den Sessel sinken. Und dann verlor er sich in Gedanken an ein paar Tigeraugen.

      Diese schauten in dieser Nacht ebenfalls schlaflos zur Decke eines kleinen Zimmerchens hinauf. Sie hatte noch eine kleine Weile Dienst, doch der Kollege vom Nachtdienst erschien so rechtzeitig zur Ablösung, dass sie keinen bohrenden Fragen um den Verbleib des jungen Herrn mit dem ruinierten Dinnerjacket ausgesetzt war. Und nun lag sie hier und starrte Löcher in die Luft. Konnte nicht einschlafen. Immer wieder sah sie sein Gesicht vor sich. Ein gut geschnittenes, männliches Gesicht. Noch sehr jung, er mochte vielleicht Mitte der Zwanzig sein, aber schon ausgeprägt. Und diese blauen Augen….

      Als sie am nächsten Nachmittag – sie hatte wieder Spätdienst – im Restaurant auftauchte, erwartete sie eine Überraschung. „Na, hast du eine Eroberung gemacht? Stell mir bloß nichts an, Mädel!“, empfing sie ihr Restaurantchef. Mit diesen Worten übereichte er ihr einen kleinen Strauß, einen fröhlichen, bunten Blumengruß. Die wenigen Worte auf der Karte waren dezent und unverfänglich. „Ein kleiner Dank für eine große Hilfe“ stand darauf. Sie errötete vor Freude. „Ach, woher“, lachte sie ihren Chef an. „Da hat sich nur ein Gast erkenntlich zeigen wollen, dem ich gestern den Weg zum Hinterausgang gezeigt habe, nachdem ihm all der Trubel zu viel geworden war.“ Schmunzelnd erwiderte er: „Ja, das kenn ich. Hab ich auch schon oft gemacht. Aber ich habe noch nie Blumen dafür bekommen. So ungerecht ist die Welt!“

      Am nächsten Tag hatte sie frei. Ausschlafen. Lange und ausführlich frühstücken. Dann mal langsam all das erledigen, wozu man in den Tagen des ausgefüllten Dienstplans nicht gekommen war. Wäsche machen, zum Beispiel. Sie war gerade im Waschkeller, als sie lange Beine mit langen Schritten am Kellerfenster vorbeihuschen sah. Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus. Nein, rief sie sich selbst zur Ordnung. Fang nicht an zu spinnen. Das kann er gar nicht sein.

      Und schließlich wohnten hier in diesem ehrwürdigen Haus, in dem ihr Vater für sie ein Zimmer bei einem ehrbaren Fräulein, das an ebenso ehrbare Töchter aus gutem Hause gelegentlich ein Zimmer vermietete, eine Bleibe für sie organisiert hatte, noch viele andere Menschen. Sie zwang sich, erst gewissenhaft die Waschmaschine zu befüllen und einzuschalten, bevor die den Waschkeller verließ.

      Und dort im Hof lehnte er an einem Pfosten der Wäschespinne. Die blauen Augen leuchteten ihr entgegen. „Wie haben Sie mich gefunden?“, fragte sie als erstes und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. So eine doofe Einleitung zu einen Gespräch! Die blauen Augen lächelten.

      „Ich habe Sie schon im ersten Moment ganz reizend gefunden“, meinte er, sie absichtlich missverstehend. Dann grinste er: „Sie haben nette Kollegen. Die eine, so eine dralle Brünette, sagte zwar, dass ich mir nicht die Mühe machen müsse, Sie aufzusuchen, weil täglich wechselnde Herren nach der Adresse fragten, aber das halte ich für eine böswillige Unterstellung. Immerhin gab sie mir die Adresse.“ „Dieses Miststück. Na, warte.“ „Ach, sehen Sie das doch mal gelassen. Auf diese Weise habe ich Sie doch wenigstens gefunden.“ „Auch schon was. Und nun?“ „Nun wollte ich Sie fragen, ob Sie nicht, da Sie ja heute Ihren freien Tag haben, wie ich erfahren habe, mir die Ehre geben wollen, Sie ein wenig auszuführen?“ „Was verstehen Sie unter ausführen?“, fragte sie unverblümt. „Oh, nichts Schlimmes“, lachte er sein sympathisches Lachen. „Vielleicht machen wir mal eine Runde im Prater oder wir bummeln durch die Innenstadt, schauen uns den Graben und den Stephansdom an, oder, wenn Sie mögen, besuchen wir die Hofburg, da war ich nämlich noch nicht.“

      Fast wider Willen musste sie lächeln. Sein Charme war einfach unwiderstehlich. „Die Hofburg kenne ich auch noch nicht. Wollte ich mir immer schon mal anschauen, aber wie das so ist… man verschiebt es immer wieder.“ „Na, das ist doch großartig. Dann lade ich Sie hiermit zu einem Ausflug in die Hofburg ein.“ Sie flitzte noch rasch hinauf in ihr Zimmer, um sich umzuziehen, verbrachte verzweifelte Minuten vor dem Spiegel – das Grüne oder das Weiße? – und entschied sich schließlich für das Grüne, das ihre Tigeraugen noch mehr zum Leuchten brachte.

      Erwartungsvoll sah er ihr entgegen, als sie aus dem Haus trat. „Sie sehen bezaubernd aus.“ „Dankeschön. Wenn man mit einem Beau wie Ihnen ausgeht, muss man sich ja anpassen.“ Er warf den Kopf in den Nacken und lachte laut und ungeniert. „Ich – ein Beau?“ „Na, sie sind immerhin ein Schauspieler und man munkelt, dass Sie in der nächsten Spielzeit den Romeo geben werden.“ Er wurde ernst. „Das ist durchaus nicht so sicher. Aber lassen Sie uns doch erst einmal diesen herrlichen Tag genießen.“

      Sie genossen ihn. Ausführlich. Und ebenso ausführlich küsste er sie zu lauschiger Abendstunde in einer heckenumkränzten Nische auf einer Bank im Volksgarten. Als er sie zu schicklicher Stunde wieder nach Hause brachte, wusste sie: den oder keinen. Zumal sie sich nach dem Ausflug in die Historie der Hofburg ja schon fast verpflichtet fühlten. Auf Schritt und Tritt begegnete man hier den Spuren des legendären Kaiserpaares Franz Joseph und Sisi, der Kaiserin Elisabeth.

      Sei