Cornelia Rückriegel

Csárdás im Schlosshotel


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der Traum jeden Hoteliers. Wenn die Dame sich nicht bemüßigt fühlte, das schöne Ungarland ständig kritischer Überprüfung zu unterziehen. Sie lebt in Deutschland, verbringt aber einen großen Teil ihrer leeren, mit hektischer Aktivität erfüllten Zeit in Ungarn. Diese hektische Aktivität braucht sie, konstatiert Ferenc scharfsinnig, um sich selbst über ihr inhaltlich so leeres Leben hinwegzutäuschen. So nutzt sie die Aufenthalte im Schlosshotel zu ausgiebigen Ausflügen in die Umgebung, die sie begeistert. Sie besucht sehr häufig die wunderschöne, pulsierende Stadt Szeged, vor allem zur Festspielzeit ist die kulturell interessierte Dame häufiger Gast im Schlosshotel.

      Und gerade zur Festspielzeit ist sie dort auch wohlgelitten, denn dann sucht sie das Hotel eigentlich nur als Übernachtungsdomizil auf und verschont das Personal von ihren Launen. Falls die Dame jedoch nicht täglich zu den abwechslungsreichen Programmen der Festspiele aufbricht, nahen schwere Tage. Das beginnt schon am Morgen.

      Sie bestellt üblicherweise das Frühstück auf das Zimmer. Der Zimmerkellner nimmt seufzend die Order entgegen. Die Dame ist nicht für generöse Trinkgelder bekannt, eher dafür, dass sie Zimmerkellner und Zimmermädchen ziemlich strapaziert. Auch an diesem Morgen ist es nicht anders. „Ach, da sind Sie ja endlich.“ Der Zimmerkellner Csaba schluckt trocken und unterdrückt mannhaft den Hinweis, dass zwischen der Bestellung des Frühstücks und seinem Erscheinen im Zimmer gerade mal zehn Minuten vergangen sind. Und er hat sogar noch darauf warten müssen, dass die wachsweichen Frühstückseier fertig gegart waren. Sonst hätte er sicher schon mindestens drei Minuten früher im Zimmer der Dame erscheinen können. Er beginnt, den kleinen Tisch am Fenster für das Frühstück einzudecken. „Ach, lassen Sie – ich glaube, ich frühstücke heute im Bett“, meint die Dame, die sich in einen eleganten seidenen Kimono gehüllt hat.

      Gehorsam sammelt Csaba alle Frühstücksutensilien vom Brotkörbchen bis zum Eierbecher wieder auf das Tablett, zaubert das Gestell hervor, das er auf dem Bett aufbaut, um dort das Frühstück appetitlich anzurichten. Derweil hat es die gnädige Frau zum Fenster gezogen. „Oh, was für ein herrlicher Morgen. Nein, lassen Sie das. Ich werde nicht diesen wunderschönen Morgen im Bett verplempern. Decken Sie bitte auf dem Balkon ein.“ Widerspruchslos räumt Csaba erneut Teller, Tasse, Besteck, Eierbecher, Brotkorb, Marmeladentöpfchen, Käseplatte, Wurstplatte und das Obst auf sein Tablett und trägt es mit undurchsichtiger Miene auf den Balkon.

      Dort verweilt die Dame im Kimono, während er den Tisch eindeckt und hübsch dekoriert. Kaum ist er fertig, wendet sie sich ihm zu. „Nein, es ist mir doch zu kühl hier draußen. Decken Sie den Frühstückstisch im Zimmer ein.“ Csaba ist seit Jahren Zimmerkellner im Schlosshotel. Er hat in dieser Zeit und auch in seiner Lehrzeit in weiteren Hotels Gäste kennengelernt, die ihn noch ganz anders herumgehetzt haben. So behält er auch jetzt seine stoische Ruhe, sammelt alle Frühstücksutensilien schweigend ein und beginnt erneut, den Frühstückstisch am Fenster des lichtdurchfluteten Zimmers zu decken. Endlich scheint alles den Wünschen der Dame genehm. Sie lässt sich am Frühstückstisch nieder, Csaba will gerade den Raum mit einem höflichen „Guten Appetit wünsche ich“ verlassen, da fährt sie ihn herrisch an. „Der Kaffee ist kalt. Ist das der hochgepriesene Service, der einem hier versprochen wird? Ich werde mich beschweren.“ Csaba muss sich auf die Zunge beißen, um nicht zu erwidern, dass der Kaffee vor 15 Minuten, als er ihn in das Zimmer gebracht hatte, durchaus wohltemperiert gewesen war. „Ich bin untröstlich, gnädige Frau. Ich werde veranlassen, dass Ihnen sofort frischer Kaffee gebracht wird.“ Mit diesen Worten flieht er aus dem Zimmer, grimmig entschlossen, den kleinen Balázs, seinen jüngeren Kollegen, mit der frischen Kanne Kaffee zu der Dame zu schicken. Er hält die heute nicht mehr aus.

      Auf dem Weg in die Küche läuft er ausgerechnet dem Chef über den Weg. „Na, Csaba“, meint der launig, „ist dir eine Laus über die Leber gelaufen? Du schaust aus, als ob du einen fressen könntest.“ „Keine Laus , Chef. Nur die Dame vom Nummer 14.“ „Ach herrje.“ Auch Ferenc ist die Dame ob ihrer Launen und extravaganten Ansprüche wohlbekannt. Er lächelt Csaba aufmunternd zu. „Na, aber das steckst du doch weg. Du weißt doch: Der Gast ist immer König!“ „Ja Chef. Ich weiß. Aber solche Gäste bringen einem bei, warum es Revolutionen gegeben hat.“

      Ferenc muss ein Grinsen unterdrücken. Aber er bemüht sich um Neutralität. „Ach, das kriegst du doch in den Griff. Morgen fangen die Festspiele an.“ „Ja, Chef, das ist ja das, was mir Hoffnung und die Kraft zum Durchhalten gibt“, grinst Csaba. Er weiß, dass er sich diese Sprüche erlauben kann. Sein Chef und er – da stimmt die Chemie. Ferenc weiß, was er an dem engagierten jungen Mann hat. Und dieser wiederum weiß, was er für einen ausgezeichneten und, wenn er sich nicht gerade einen wirklich groben Patzer erlaubt, sicheren Arbeitsplatz hat. Sie verstehen einander. Der Gast ist König. Aber die Untertanen dürfen ab und zu doch mal sanft aufseufzen.

      Die Dame ist inzwischen nicht untätig. Sie verfolgt in ihrer reichlich vorhandenen Zeit aufmerksam die Beiträge in den sozialen Medien. Und findet immer wieder Skandale, die sie aufzudecken für ihre Pflicht hält. Da gibt es eine ungarische Journalistin, gegen die heftig gewettert wird. Und die schreibt Artikel in einer renommierten Zeitung? Na, da wird sie doch wohl mal dem Chefredakteur eine Nachricht schreiben müssen. Sie teilt ihm mit, dass es ein schlechtes Bild auf sein angesehenes Blatt werfe, wenn er diese Person weiterhin für seine ansonsten untadelige Zeitung schreiben lässt. Zu ihrem Ärger zeigt sich der Chefredakteur nicht im Geringsten beeindruckt, und diese Person darf weiterhin dort ihre Artikel veröffentlichen. Sie ist erbost. Gilt ihr Wort denn gar nichts mehr?

      Aber zum Glück gibt es ja andere Möglichkeiten, den Frust loszuwerden. Eifrig sucht und findet sie immer wieder neue Nachrichten, die sich herrlich gegen Ungarn verwenden lassen. Ferenc hat andere Sorgen, als sich über die Aktivitäten seiner Gäste in den sozialen Medien zu unterrichten. Aber hin und wieder ereilen ihn die Nachrichten. Lachend hält ihm seine Frau ihren Laptop hin. „Magst mal lesen, was unsere dämliche Dame wieder losgelassen hat? Es geht mal wieder gegen die Regierung. Ich glaube, der Regierungschef könnte auf eigene Kosten ein Heim für gefallene Mädchen einrichten, und sie würde ihm unterstellen, er sei nur darauf aus, dass das Haus voll werde.“ Er wehrt müde ab. „Lass mich bloß mit diesem Unsinn in Ruhe. Es sind unsere Gäste. Wir bewirten und umsorgen sie, aber wir sind nicht ihre Gouvernanten. Und wenn sie keine Manieren haben, müssen wir das halt erdulden, ändern können wir es nicht.“ „Ja, Manieren haben sie wirklich nicht alle. Weißt du noch, neulich auf der Jagdversammlung, als der Vorsitzende seiner Frau im Zorn vor versammelter Mannschaft die Gulaschterrine über das elegante Abendkleid gekippt hat?“ Er grinst breit. „Das war was!“

      Es war ein Skandal gewesen, aber man hatte es der Frau Gemahlin von Herzen gegönnt. „Ich hoffe nur, dass unser Csaba bei der Dame die Nerven behält. Die ist sehr strapaziös.“ „Ach, mach dir da mal keine Gedanken. Csaba ist ein Profi. Den kriegt die nicht klein.“

      Zum Glück für die Dame hält sich diese ja nicht wirklich lange im Schlosshotel auf. Ihre Gastspiele finden zwar mehrmals im Jahr statt, beschränken sich aber immer nur auf wenige Tage. So hat es keinerlei Auswirkungen, dass Csabas Blicke in der Küche, je länger die Dame im Hotel weilt, immer intensiver auf den Messerblöcken mit den hübschen, breiten Fleischmessern ruhen. Bevor ihn Mordgelüste zu überwältigen drohen, reist die Dame ab und Csaba hat Zeit, sich zu erholen.

      Dann ist da jener andere Gast, den man eigentlich von Habitus und Auftreten nicht in diesem Haus vermutet. Offenbar ist er kurzfristig zu Geld gekommen und bevor es die gierigen Gläubiger ihm wieder vom Mund reißen, hat er sich entschlossen, es doch zu seinem eigenen Vergnügen zu verwenden. Er stammt aus Deutschland, lebt jedoch in kleinen Verhältnissen in Ungarn. Also hat er sich ein paar Tage Wellness-Urlaub im Schlosshotel erträumt. Mit Sauna, Massage, Kosmetik und was sonst noch dazu zu gehören mag. Viel Ahnung von der Materie hat er nicht, nur eben das Geld für diese paar Tage. Das verbraucht werden muss, bevor man es ihm wieder wegnehmen kann. Das wird der Dame an der Rezeption schon im ersten Gespräch klar. Ohne Anmeldung kommt er hier an, fährt mit dem Taxi vor.

      Das Taxi ist an sich nicht ungewöhnlich. Aber normalerweise haben die Gäste reserviert. Dieser Mann jedoch nicht. „Das is doch n Hotel hier, nich?“ „Ja, das ist ein Hotel“, erwidert sie zurückhaltend. „Is hier was frei für ein, zwei Tage? So richtig mit allem Komm vor und zurück? So zwei