Wieland Barthelmess

HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron


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dachte Hat-schepsut.

      Es war tatsächlich so, wie Sen-en-Mut es angekündigt hatte. Sunu war eine reich gewordene Karawanenstadt, in der nichts weiter zählte als das Geschäft. Zwischen den einfachen Bauten der Handwerker ragten mehrstöckig die Häuser der Kaufleute empor, die neben den Handelskontoren, auch Lagerhallen und die privaten Wohnungen umfassten. Dazwischen Gast- und Badehäuser, die von den fremdartigsten Gestalten bevölkert wurden, die mit ihren Karawanen von weit her gekommen waren. Dem Beispiel Wasets folgend hatte man die Färber ein Stück weiter flussabwärts angesiedelt, ebenso wie die Schmiede. Allerdings gab es zahlreiche Kupferwerkstätten in der Stadt, von denen zwar weder eine Geruchsbelästigung noch eine Feuersgefahr ausging, deren stetiges Hämmern sensible Gemüter jedoch in den Irrsinn treiben konnte. Heute war wegen des königlichen Besuchs allerdings ein Feiertag, so dass niemand arbeitete und sich die Bewohner im Hafen versammelt hatten, um einen Blick auf den Guten Gott, seinen Sohn und die Gottesgemahlin des Amun zu werfen. Die Luft war erfüllt von Jubelrufen, heiligen Gesängen und dem Gottesduft, den ein jeder wahrnehmen konnte.

      Der Gaufürst wartete ebenfalls am Hafen; mitsamt Familie und Hofstaat, was zugegebenermaßen recht beeindruckend war. Die Damen kleideten sich hier genauso wie in Waset, stellte Hat-schepsut erstaunt fest. Nubisch waren hier nur die Perücken, die fast alle trugen – und natürlich ein Großteil der Bevölkerung: Die Mehrzahl der Gesichter war schwarz. Es folgte die übliche Begrüßung. Um sich nicht in den Dreck werfen zu müssen, war der Boden vor Anjotef und seiner Familie mit dicken Teppichen ausgelegt worden, deren fremdländische Muster verrieten, dass sie von weit her aus dem Osten über Babylon eingeführt worden waren. Die bereitstehenden Sänften standen jenen Pharaos in nichts nach, außer dass ihre Verzierungen aus Elektron waren und nicht aus purem Gold. Isis war überaus erleichtert, heute nicht wieder in einem altersschwachen, stinkenden Tragstuhl befördert zu werden. Nachdem die entsprechenden Nettigkeiten und Willkommensgrüße ausgetauscht worden waren, formierte sich in Windeseile der Konvoi aus Sänften. Der Gaufürst und seine Gemahlin vorneweg, gefolgt von Pharao, der Gottesgemahlin des Amun, dem Thronfolger, der seinen Affen ängstlich festhielt und Turi. Dahinter zankten sich die Würdenträger um die verbliebenen Sänften. Währenddessen rückten die Bewaffneten an, um den Konvoi links und rechts zu eskortieren. Isis war es gerade noch mit Hilfe Sen-en-Muts gelungen, die letzte freie Sänfte für sich zu beanspruchen. Großherzig gestattete sie ihrem Lehrer, ebenfalls darin Platz zu nehmen und sie zu begleiten. Die ganze Aufstellung des königlichen Sänftenzuges verursachte ein derartiges Geschrei und Durcheinander, dass man hätte fürchten können, alles würde nun im Chaos enden. Doch von hoch droben, vom Palast erklangen plötzlich Fanfaren und ließen alle einhalten. Das Volk sank auf die Knie und jubelte ihren Herrschern zu. Dennoch sah Hat-schepsut, wie einige Menschen stehen blieben. Schwarze Gesellen aus dem tiefsten Nubien, die nicht wussten, was sich gehörte; Fremde aus Asien, anscheinend Nomaden, die keinerlei Ahnung hatten, was gerade vor sich ging; aber auch junge Frauen, die überaus freizügig gekleidet waren. Thot-mose versuchte, wegzuschauen, verspürte er doch immer häufiger ein ihn verstörendes Interesse an Dingen, die ihn früher kalt gelassen hatten. Die kaum verdeckten Brüste, das geheimnisvolle Dreieck des Schoßes, das sich dunkel unter den dünnen Gewändern abzeichnete … Es gab sogar einen offenbar irrsinnig Gewordenen, der vollkommen zerlumpt und verdreckt irgendwelche Dinge rief, die Hat-schepsut überhaupt nicht verstand. Freundlich und bewundernd waren sie jedoch wohl kaum. Es dauerte nicht lang, da erschien eine Gruppe Medjau. Sie gaben dem Schreier ein paar Kopfnüsse und führten ihn schließlich fort. Die Umstehenden lachten oder schimpften dem Störenfried hinterher.

      Der Palast war beeindruckend. Hat-schepsut war erstaunt, hätte sie doch niemals erwartet, dass jemand anderes als Pharao, solch einen Palast besitzen könnte. Anjotef musste in der Tat ein sehr reicher Mann sein. Überall waren Elfenbeinschnitzereien, die teilweise mit Gold ausgelegt waren. Die meisten der Statuen waren aus dem berühmten roten Granit gefertigt, der hier geschlagen wurde. Er war so hart, dass seine Bearbeitung nur sehr erfahrenen Bildhauern in langen Arbeitsstunden gelang. Alleine deswegen waren die daraus gefertigten Statuen überaus wertvoll. Hat-schepsut wusste, dass ihr Vater, den neuerbauten, äußersten Pylon des Amun-Tempels zu Waset mit zwei Obelisken schmücken wollte, die gleich vor dem Hauteingang aufgestellt werden sollten. Sie hatte Pharao gebeten, mitkommen zu dürfen, wenn er mit dem Architekten Ineni im Steinbruch die geeigneten Felsen aussuchte. Dies würden sie morgen, gleich nach der Abreise erledigen, da sie dann unmittelbar an den Steinbrüchen vorbeikamen.

      Die Vorstellung Turis als zukünftiger Vizekönig wurde von Pharao mit denselben Worten vorgenommen, die er bereits gestern gewählt hatte. Hier in Sunu schenkte man der Tatsache, dass Turi nubischen Bluts war, jedoch kaum noch größere Beachtung. Stammten doch viele der höchsten Beamten am Hofe Anjotefs aus dem Süden. Das Festmahl war, wie nicht anders zu erwarten, beeindruckend. Anjotefs Köche versuchten nicht, mit ausgefallenen Zusammenstellungen den Gaumen zu kitzeln, sondern umschmeichelten den Geschmackssinn ihrer Gäste mit einer schlichten Küche, in der jedoch nur die allerbesten Zutaten verwendet wurden. Die musikalischen Darbietungen waren so kunstvoll, dass Hat-schepsut etliche Male ganz ergriffen lauschte.

      „Na, kleine Frau des großen Gottes …“ Hat-schepsut konnte ihre Überraschung kaum verbergen, als sich Anjotef neben sie setzte. „Mir scheint, als ob die Musik dir Gefallen bereitete.“

      „Das tut sie“, entgegnete Hat-schepsut aufrichtig. „Ich werde wohl zukünftig darauf achten müssen, dass mir meine lieben Amun-Priester nicht allzu oft musikalische Darbietungen als unpassend ausreden werden.“

      „Wie man hört, sollte dir das keine Probleme bereiten. Die Amun-Priesterschaft liegt dir zu Füßen.“

      „Dennoch führen sie an nahezu jedem zweiten Tag religiöse Vorbehalte an, die Musik nicht angemessen erscheinen lassen. Bei euch in Sunu kennt man derartige Beschränkungen aber offenbar nicht.“

      „Auf der Insel Elephantine schon“, erklärte Anjotef. „Aber nicht in Sunu selbst. Sunu ist eine durch und durch weltliche Stadt.“

      „Ich habe es gesehen, als wir zu deinem Palast gebracht wurden. Fremde Besucher zuhauf und zahllose Mädchen, die außerhalb der Gesellschaft stehen.“

      „Außerhalb der Gesellschaft?“ Anjotef lachte. „Bei uns nicht. Bei uns zahlen auch sie Steuern und werden dafür von den Medjau beschützt, wie jeder andere Bürger auch.“

      Hat-schepsut blickte erstaunt.

      „Wir sind damit das Problem der Zuhälterbanden losgeworden“, erläuterte Anjotef. „Aber Sunu ist ja auch keine Stadt voller Priester wie Waset. Die stecken hier allesamt auf Elephantine.“

      „Und was war das für ein Krakeel, das der verlumpte Mann angestimmt hat, bevor man ihn fortführte?“

      „Oh, du sprichst vom alten Imichet!“

      „Imichet, der in der Götterschaft ist? Was für ein seltsamer Name.“ Hat-schepsut war erstaunt, dass man den Störer offenbar bei Namen kannte.

      „Er ist nicht mehr ganz richtig im Kopf“, erklärte Anjotef. „Früher war er Priester auf Elephantine. Ein Priester der Setjet. Man hat ihn jedoch wegen seiner übertrieben strengen moralischen Vorstellungen aus den Diensten des Tempels entlassen. Nun bettelt er und lungert herum und versucht die Menschen aufzustacheln, wieder zum wahren Glauben zurückzukehren. Dem Glauben unserer Vorväter.“

      „Und? Gelingt es ihm?“

      „Wo denkst du hin? Sunu ist durch und durch eine Stadt der Sinnesfreuden. Wer also würde sich seine hervorragenden Geschäfte schon durch überkommene moralische Bedenken zunichte machen lassen?“

      „In Sunu wohl kaum jemand“, nickte Hat-schepsut.

      „Und du?“, fragte Anjotef. „Wirst du als Große königliche Gemahlin die alte Moral wieder einführen wollen, sobald Thot-mose auf dem Thron sitzt?“

      „Das wird Pharao entscheiden.“

      „Ach was?“ Anjotef lächelte vielsagend. „Ich dachte immer, du würdest es sein, die entscheidet. Dein Halbbruder wird nicht allzu viel beitragen können, fürchte ich. Zu welchen Entscheidungen auch immer. Was aber letztendlich einerlei ist, sobald