Wieland Barthelmess

HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron


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so herzlich begrüßte, als hätten sie sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.

      Pharao begrüßte die Versammelten und ließ sich ebenso begrüßen wie auch seine ihn begleitenden Kinder. Es wurde also wieder einmal viel geredet. Er ginge nach Nubien, legte Pharao der erhabenen Runde dar, um den endgültigen Frieden zu finden, ja, vielleicht auch Freundschaft und dauerhafte Zusammenarbeit zum beiderseitigen Vorteil …

      „Ab morgen kümmere ich mich um dein Auftreten“, flüsterte Hat-schepsut derweil ihrem Bruder zu und drückte seine Hand unter dem Tisch. „Einverstanden?“ Thot-mose nickte so dankbar wie erleichtert. „Denn so geht das ja nicht. Dein Schurz hat Flecken und deine Tunika ist ebenso durchgeschwitzt wie dein Nemes-Kopftuch. Sieh dir Vater und mich an! Sind wir nicht nahezu so vollkommen wie immer?“ Sie lachte so herzhaft, dass ihr Vater, der soeben seine Rede beendet hatte und überhaupt nicht wusste, worum es eigentlich ging, dennoch mitlachte. Ja, auch er hatte sich irgendwo umgekleidet und strahlte im leuchtenden Weiß besten königlichen Leinens.

      „Ich hoffe nur“, tuschelte Hat-schepsut ihrem Vater zu, als er sich setzte, „dass sie bald mit den Duftkegeln kommen. Wir sehen zwar frisch aus, aber wir riechen wie die Hyänen.“

      Pharao lachte abermals herzhaft, während Thot-mose in sich zusammensackte. Hat-schepsut glaubte sogar zu sehen, wie sich Wasser in seinen Augen sammelte.

      „Ich werde mich ab morgen auch darum kümmern“, sagte sie zu Thot-mose, drückte seine Hand und lächelte ihm ins Gesicht. „Vertrau mir. Ich bin dazu da, dass ich auf dich aufpasse. Und ich werde es auch tun.“

      „Aber meine Mutter kümmert sich doch schon um mich“, widersprach er.

      „Deine Mutter ist weit weg in Waset. Und außerdem kümmert sie sich zuallererst um sich selbst und dann um dich.“ Thot-mose zuckte zusammen. „Versteh mich nicht falsch“ fuhr Hat-schepsut fort. „Ich mag Mut-nofret. Sie ist eine gute Frau. Aber leider ist sie auch ein wenig eitel und sehr begierig darauf, endlich Königsmutter zu werden. Sie kann es kaum erwarten.“

      „Es tut mir leid“, entschuldigte Thot-mose seine Mutter, die er, wie jeder wusste, innig liebte. „Sie ist, wie sie ist. Und irgendwann wird sie ja bekommen, was sie will.“

      „Aber ja doch“, entgegnete Hat-schepsut mit einem strahlenden Lächeln, „eines Tages ist sie Mutter des Königs. Aber bis dahin kümmert sie sich eben vor allem um sich selbst. Die Ausgaben deiner Mutter, was Kleidung, Schmuck und Einrichtungsgegenstände belangt, sind außerordentlich hoch.“ Hat-schepsut verzog ihr Gesicht, um Thot-mose zu zeigen, dass es ihr leid tat, ihn darüber aufklären zu müssen. „Noch sagt keiner etwas. Noch! Ach, Thot-mose, dabei wäre es Mut-nofrets Aufgabe, sich um dich zu kümmern.“ Hat-schepsut nickte ihrem Bruder zu. „Ich werde ihr das also ab morgen abnehmen.“

      Dankbar lächelte Thot-mose seine Schwester an. Er hob ihre noch immer unter dem Tisch ergriffene Hand zum Mund und küsste sie. „Ich danke dir, Schwester.“

      Im selben Augenblick brandete ein Jubel auf, der einem leicht die Sinne hätte rauben können. Allerdings verstanden weder Hat-schepsut noch Thot-mose zunächst den Anlass, waren sie doch zu sehr in ihr Gespräch vertieft gewesen, so dass sie die Blicke gar nicht gemerkt hatten, die auf ihnen lagen. Zwar hatte niemand der Anwesenden auch nur ein einziges Wort von dem verstanden, was der Thronfolger und die Gottesgemahlin des Amun soeben miteinander geflüstert hatten, doch die Art und Weise, wie sie miteinander gesprochen hatten, hatte man sehr wohl zur Kenntnis genommen! Man ergötzte sich daran, wie sie miteinander umgingen. Es musste wahre Liebe sein, welche die beiden verband. Ein jeder hatte es sehen können. Und wenn diese beiden Kinder die Zukunft Kemets waren, unter deren Führung das Land fortdauern würde, so konnte es nur eine Zukunft voller Glück sein.

      Lange bevor die Sonne am nächsten Morgen ihre ersten Strahlen aussandte, war Hat-schepsut aus ihren Räumen geschlüpft und pochte an der Tür, hinter der ‑ wie sie wusste ‑ Thot-mose schlief. Seine Haushälterin Merit-Amun, die ‑ wie es so häufig der Fall, ja, fast üblich war ‑ früher Thot-mose als Amme gedient hatte, öffnete verschlafen die Tür.

      „Was ist?“, knurrte sie ohne recht wahrzunehmen, wer vor ihr stand.

      „Es ist Zeit, das Bad für den Prinzen vorzubereiten“, ordnete Hat-schepsut an. „Beim ersten Sonnenlicht hat Thot-mose im Tempel der Horus zu sein. Und zwar frisch gebadet, den Duft der Götter verströmend und makellos gekleidet. Du hast doch genügend Kleidung mitgenommen?“

      „Was kümmert’s dich“, entgegnete Merit-Amun mürrisch. „Mut-nofret, des Prinzen Mutter hat für alles gesorgt. Sie ist es schließlich auch, deren Anweisungen ich zu befolgen habe. Und sie hat nichts davon gesagt, dass ich Thot-mose zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett jagen soll. Der Junge braucht seinen Schlaf.“

      Ohne sie eines Blickes zu würdigen, zwängte sich Hat-schepsut an der verschlafenen Dienerin vorbei. „Ab heute tust du das, was ich dir sage. Ich kümmere mich nun um das Wohlergehen des Thronfolgers.“

      „Bei den Titten der Tawret! Noch bist du nicht Thot-moses Große königliche Gemahlin“, widersprach die Dienerin standhaft. „Da kann ja jeder kommen und Anordnungen geben.“

      Hat-schepsut deutete auf eine verschlossene Türe. „Da?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, hatte sie schon den Raum betreten. Der schwere, süßliche Geruch von Verwesung kam ihr entgegen. „Thot-mose“, sie rüttelte ihren schlafenden Bruder an der Schulter. „Aufstehen! Du musst dich fertig machen für deinen Besuch im Tempel des Horus.“

      Erschrocken fuhr Thot-mose hoch. „Hat-schepsut! Was machst du denn hier?“

      „Ich kümmere mich um dich“, entgegnete sie mit einem Lächeln, das keinen Widerspruch duldete. „Sei so gut und sag Merit-Amun Bescheid, dass sie ab sofort meinen Anordnungen Folge zu leisten hat.“ Und an die Dienerin gewandt fuhr sie fort: „Bereite das Bad vor. Und spare nicht wieder an duftenden Essenzen. Was dir zugeteilt wurde, kannst du auch getrost für Thot-mose verwenden. Du musst nicht sparen, damit möglichst viel davon für Mut-nofret übrig bleibt, hörst du.“

      „Hat sie jetzt hier das Sagen“, fragte Merit-Amun nach.

      „Ja, ja“, jammerte Thot-mose. „Sie hat jetzt das Sagen. Sie kümmert sich jetzt um mich.“ Die Dienerin verneigte sich stumm.

      „Sobald sich die Sonne zeigt, sollten wir am Tempel des Horus sein“, verabschiedete sich Hat-schepsut. „Ich werde dich gleich abholen, damit wir gemeinsam dorthin gehen können.“ Kurz bevor sie durch die Tür schlüpfte, drehte sie sich noch einmal um. „Ach, Merit-Amun. Du sollst nicht denken, dass ich deine Bemühungen um Thot-mose nicht zur Kenntnis nehme. Ich danke dir sogar von Herzen dafür.“ Schnell reichte sie zu der verdutzten Dienerin hinüber und drückte ihr einen goldenen Ring in die Hand. Auf dessen Platte war Hat-schepsuts Name in allerfeinsten Hieroglyphen eingraviert. Der liegende Löwe sowie der thronende Herrscher waren wahre Meisterwerke der Goldschneidekunst. Merit-Amun schluckte als sie das kühle, schwere Gold in ihrer Hand fühlte.

      Einerlei wie die treue Dienerin sich entscheiden würde, überlegte Hat-schepsut während sie in ihre Räume zurückeilte, es würde ab sofort ein anderer Wind wehen. Trug Merit-Amun morgen Hat-schepsuts Ring, so hatte sie sich für alle Welt erkennbar auf ihre Seite gestellt. Trug sie ihn nicht … Nun, dann entlohnte er sie zumindest für ihre jahrelangen Bemühungen um Thot-mose. Sie konnte sich damit in ihrem Heimatdorf leicht zur Ruhe setzen. Doch wie Hat-schepsut die Seelen der Dienerinnen kannte, insbesondere jener, die einstmals Ammen waren, so liebten sie ihre Mündel abgöttisch und würden alles tun, um auch für den Rest ihres Lebens bei ihnen bleiben zu können. Merit-Amun war bestimmt keine Ausnahme. Also war sich Hat-schepsut sicher, dass sie morgen den Ring tragen würde.

      Sie trug ihn bereits am Finger, als Hat-schepsut kurz darauf ihren Bruder abholte. Hat-schepsut lächelte Merit-Amun zu. „Ich freue mich, dass du bei Thot-mose zu bleiben gedenkst. Er liebt dich aufrichtig. Und wir beide, du und ich, haben doch dasselbe Ziel: Dass es Thot-mose wohl ergeht. Du hast ihm soviel Gutes getan über all die Jahre. Tu es bitte auch weiterhin.“ Hat-schepsut, die Gottesgemahlin des Amun gab der alten Frau sogar einen angedeuteten Kuss auf