Joachim Stiller

Plotin: Enneaden


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Grundes. Hier das Vollzitat des entsprechenden Abschnitts:

      1. Die Untersuchung, woher das Böse in das Seiende überhaupt oder in eine bestimmte Art des Seienden gekommen, dürfte passend mit der Frage beginnen, was eigentlich das Böse und die Natur des Bösen sei. Denn so liesse sich erkennen, woher es gekommen, wo es seinen Sitz hat, und wem es zustösst, überhaupt entscheiden, ob es zur Klasse des Seienden gehöre. Durch welches Vermögen in uns wir jedoch die Natur des Bösen erkennen sollen, da die Erkenntniss jedes Dinges auf Grund einer Aehnlichkeit mit demselben vor sich geht, dürfte eine schwierige Frage sein. Denn Geist und Seele können als Ideen auch nur die Erkenntniss von Ideen zu Wege bringen und auf sie ihr Streben richten; wie will aber jemand das Böse sich als Idee vorstellen, das gerade in der Abwesenheit alles Guten zur Erscheinung kommt? Wenn aber, weil es für die Gegensätze ein und dieselbe Erkenntniss giebt und dem Guten das Böse entgegengesetzt ist, die Kenntniss des Guten auch die des Bösen sein wird, so müssen diejenigen, welche das Böse erkennen wollen, genau das Gute kennen, da ja das Bessere dem Schlechteren vorangeht und Form ist, dieses aber nicht, sondern vielmehr Beraubung derselben. Gleichwohl ist es noch die Frage, wie denn das Gute dem Bösen entgegengesetzt ist: ob das eine die erste, das andere die letzte Stelle einnimmt, ob das eine als Form, das andere als Beraubung betrachtet wird. Doch davon später.

      2. Jetzt soll gesagt werden, welches die Natur des Guten ist, soweit es die gegenwärtige Untersuchung erfordert. Es ist aber dasjenige, an dem alles hängt, nach dem alles Seiende strebt, da es dasselbe zu seinem Princip hat und seiner bedarf; es selbst ist mangellos, sich selber genug, nichts bedürfend, aller Dinge Maass und Grenze, aus sich selbst Geist und Wesenheit und Seele und Leben und geistige Thätigkeit spendend. Und bis zu ihm hin ist alles schön; denn er selbst [der Geist] ist erhaben über das Schöne und jenseits des Besten, ein König im Reiche des Geistes. Dabei ist er Geist nicht in der Art wie man etwa nach dem schliessen könnte, was bei uns Geist genannt wird, Geister die aus logischen Prämissen ihren Inhalt gewinnen, welche ihr Verständniss erlangen durch logische Operationen und Reflexionen über Grund und Folge, die nach dem Satze des [zureichenden] Grundes das Seiende schauen, als welche vorher nicht hatten, sondern vor ihrem Lernen, obwohl Geister, doch leer waren. Fürwahr so ist jener Geist nicht beschaffen, sondern er hat alles und ist alles und bei allem, indem er bei sich ist, und hat alles ohne es zu haben. Denn er hat es nicht als ein anderes, von dem er verschieden wäre, auch besteht nicht jedes einzelne von dem, was in ihm ist, für sich gesondert. Denn jedes einzelne ist das Ganze und in allen Beziehungen alles; doch ist es auch nicht vermengt, sondern andererseits für sich gesondert. Das Theilnehmende dagegen nimmt nicht zugleich an allem, sondern woran es kann, Theil. Und der Geist ist die erste Thätigkeit und die erste Wesenheit jenes, obgleich er in sich selbst bleibt; es ist also in seinem Umkreis thätig gleich als ob es in seinem Umkreis lebt. Die von aussen ihn umkreisende Seele aber, indem sie auf ihn blickt und sein Inneres schaut, erblickt die Gottheit durch ihn. Und dies ist der Götter leidloses, seliges Leben und hier findet sich nirgends das Böse, und wenn es hierbei sein Bewenden hätte, so würde es kein Böses geben, sondern nur das Gute auf erster, zweiter, dritter Stufe. Dieses liegt aber alles um den König des Alls herum, er ist der Urgrund alles Schönen und alles ist sein, und das Gute der zweiten Stufe liegt um die zweite, das der dritten um die dritte Stufe herum.

      3. Wenn nun dieser Art das Seiende und das über das Seiende noch Erhabene ist, so kann das Böse nicht in dem Seienden noch (...)

      Keywords: Das Gute, Körper, Leib, Seele, Geist, Form, Materie, das Schlechte

      Anmerkungen zu Schrift I.9

      Die 9, Schrift der 1. Enneade ist überschrieben mit: "Über die 'Berechtigung des Selbstmordes'"

       In dieser Schrift spricht sich Plotin gegen den Selbstmord aus, gegen die eigenen Entleibung, weil eine solche Tat die Seele beflecken würde... Der Text ist so kurz, dass ich ihn eben komplett wiedergebe:

      ›Er [der Weise] wird sie [die Seele] nicht hinaustreiben, damit sie nicht hinausgehe‹ – denn sie wird ›mit etwas behaftet‹ hinausgehen, wohin sie auch gehe, und hinausgehen heißt hinübergehen an einen andern Ort – sondern man wird warten, dass der Leib sich ganz von ihr trennt, wo sie dann nicht hinüberzugehen nötig hat, sondern ganz außerhalb ist. Wie trennt sich nun der Leib? Wenn kein Teil der Seele mehr durch ihn gebunden ist, indem der Leib nicht mehr im Stande ist sie festzubinden, weil seine Harmonie nicht mehr besteht, mit deren Besitz auch zugleich der Besitz der Seele verbunden war. Wie nun, wenn jemand es darauf anlegte den Körper aufzulösen? Aber dann brauchte er Gewalt und trennte sich selbst, nicht entließe der Körper; und wenn er auflöst, ist es nicht frei von Leidenschaften, sondern entweder Unwille oder Trauer oder Zorn ist dabei; er darf aber nichts tun. Wenn er nun den Ausbruch des Wahnsinns merkte? Nun, vielleicht trifft er den Weisen und Tugendhaften nicht; sollte es auch der Fall sein, so setze man dies unter die notwendigen Dinge, für die man sich unter Umständen, nicht schlechthin zu entscheiden hat. Auch die Anwendung von Giften zur Austreibung der Seele ist der Seele gewiss nicht zuträglich. Und wenn die einem jeden gegebene Zeit eine vom Schicksal bestimmte ist, so ist es vor deren Ablauf nicht wohlgetan, es müsste denn, wie gesagt, notwendig sein. Wenn aber jeder eine seiner Beschaffenheit zur Zeit des Ausgangs entsprechende Stellung dort einnimmt, so darf man die Seele nicht austreiben, solange noch ein Zunehmen an Besserung möglich ist.

      Keywords: Tod, Seele, Selbstmord, Entleibung, Körper, Gewalt, Leib

      Anmerkungen zu Schrift II.1

      In der 1. Schrift der 2. Enneade (Abhandlung zur Kosmologie und Physik), die überschrieben ist mit "Über die Welt und über den Himmel" hält Plotin es ganz offensichtlich mit Empedokles, auch wenn der Name Empedokles nicht ausdrücklich genannt wird. Die Welt ist ewig, unerschaffen und unvergänglich. Ihr zugrunde liegen die unerschaffenen und unvergänglichen vier Elemente. Alles Werden und Vergehen (Heraklit) ist nur ein Wandel der vier Elemente bzw. eine Änderung ihrer "Mischungsverhältnisse". Plotin übernimmt diese Lehre des Empedokles nicht 1:1. Aber diese Lehre, die für Plotin nur eine Allegorie sein kann, eine Art kosmische Metapher, stellt für ihn offensichtlich einen gelungen Versuch einer möglichen Synthese von Sein (Parmenides) und Werden (Heraklit) dar. Das Werden ist immer "im" Sein. Das Sein ist hier das übergeordnete. Das Sein kann auch für sich sein, aber niemals das Werden. Das Werden kann nur "im" Sein sein... Plotin will uns vielleicht sagen, wenn Empedokles die Vier-Elementes-Lehre nicht geschaffen hätte, hätte er es getan. Und trotzdem wird Plotin am Ende ganz andere, ganz eigene Wege gehen.

      Keywords: Parmenides, Heraklit, Feuer, Wasser, Luft, Erde, Sein, Werden

      Anmerkungen zu Schrift II.2

      "Die zweite Schrift der 2. Enneade ist überschrieben mit "Über die Bewegung des Himmels oder über die Kreisbewegung. Es ist kein ganzes Buch, sondern eher ein kurzer Aufsatz. Trotz der Kürze des Textes, oder vielleicht gerade deswegen, ist der Text nicht ganz leicht zu lesen. Plotin kryptifiziert hier sehr stark.

      Zunächst fragt Plotin, warum die Himmelskörper sich im Kreis bewegen, denn ein Körper, der sich selbst überlassen wird, bewegt sich bekanntlich immer geradlinig. Plotin war also das Trägheitsgesetz durchaus bekannt. Und er spricht ja auch ganz deutlich vom Beharrungsvermögen. Nun versucht er zu einem Trick zu greifen, und fragt sich, wie es denn beim Menschen ist. Der Körper bewegt sich immer geradlinig, aber dann muss es die Seele sein, die sich im Kreise bewegt. Die Seele bewegt sich immer auf sich selbst zu. Sie bewegt sich immer um eine Mitte. (Von da ist es übrigens nur noch ein kleiner Schritt bis zu Newtons Vorstellung, dass die Kreisbahn der Gestirne praktisch ein "unendlicher Fall" auf die Mitte zu ist...) Und so muss es zwangsläufig die Weltseele sein (hier ist bereits von der Weltseele die Rede, und auch der Begriff des menschlichen Organismus taucht auf, der dann ja als Analogie auf den Weltenorganismus übertragen wird), die den Himmel und die Gestirne im Kreise bewegt. Nun, wir lachen heute, aber für seine Verhältnisse ist das eine im höchsten Maße gesunde Argumentation. Natürlich kannte Plotin das Gravitationsgesetz noch nicht. Und es hätte ihm auch nichts genützt, denn das heliozentrische Weltbild