Катя Брандис

Der Sucher


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      Plötzlich flog die Tür auf, und die beiden Männer in ihren weiten schwarzen Kapuzenumhängen kamen heraus. Sie waren noch ganz ins Gespräch vertieft. Hinter ihnen ging Schrillstimme, schon für den Empfang zurechtgemacht, das blassrote Haar ordentlich frisiert. Mi'raela hatte gelernt, sich vor Schrillstimme in Acht zu nehmen. Sie neigte zwar nicht zu Fußtritten, aber dafür zu Hinterhältigkeiten. Wäre Mi'raela nicht völlig erschöpft gewesen, sie hätte mehr Vorsicht walten lassen. Doch ihre müden Pfoten versagten ihr den Dienst, sie sprang zu spät auf – und das Mädchen ließ kaltblütig die Öllampe fallen, die sie trug. Mitten auf Mi'raelas Rücken.

      Das heiße Öl durchtränkte Mi'raelas Fell und ließ sie kreischend und fauchend fliehen. Nur weil sie sich blitzschnell auf dem Boden wälzte, schaffte sie es, die auf ihrem Rücken aufflackernden Flammen zu ersticken. So konnte das Feuer sie nur an ein oder zwei Stellen beißen. Schrillstimme beobachtete das alles mit einem leichten Lächeln, und die beiden Männer wandten sich nur kurz um und gingen dann weiter, noch immer ins Gespräch vertieft. Nach ein paar Augenblicken folgte ihnen das Mädchen.

      Das Öl aus dem Fell zu lecken, ging nicht, das Zeug schmeckte widerlich und klebte auf der Zunge. Wahrscheinlich würde es viele Sonnenumläufe dauern, bis es langsam von selbst herausginge. Mi'raela machte sich auf in Richtung Waschkeller, wo ihr vielleicht eine mitleidige Seele beim Entfernen helfen würde. Sie beschloss, sich das nächste Mal taub zu stellen, wenn Spinnenfinger oder Steinherz ihre Dienste wünschten. Selbst wenn sie damit eine Tracht Prügel riskierte.

      In den Waschkellern hatte Mi'raela Pech, dort herrschte Hochbetrieb, und niemand nahm sich Zeit für sie. Mit Hass im Herzen verzog sich Mi'raela in die tiefen, fast verlassenen Bereiche der Burg, in denen sie sich wenigstens in Ruhe zusammenrollen und elend fühlen konnte. Schließlich fand sie eine unbenutzte Kammer im Vorratsbereich und ließ sich seufzend auf ein paar Strohsäcken nieder. Doch ihre feinen Ohren fingen eigenartige Geräusche auf. Sie versuchte, sich tiefer in den Strohsack zu wühlen und einzuschlafen, aber es nutzte nichts. Schließlich stand sie auf und machte sich daran, die Quelle der Geräusche auszukundschaften.

      Bald stellte sie fest, dass es aus einer der anderen leeren Kammern kam. Vorsichtig spähte sie hinein und entdeckte, dass dort eine Menschenwelpin lag und heulte, was ihre Augen hergaben. Genauer gesagt war es die Welpin, die sich sonst immer bei den Speicherseen herumtrieb. Irgendwie berührte es Mi'raela, dass es jemanden in der Burg gab, dem es gerade noch schlechter ging als ihr. Neugierig schlich sie näher und setzte sich neben das Mädchen. »Was ist? War jemand nicht nett zu dir?«

      Erschrocken fuhr das Mädchen hoch. Doch als es die Katzenfrau erkannte, entspannte es sich etwas und versuchte ungeschickt, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. »Ach, du bist es. Ich habe dich lange nicht mehr gesehen.«

      »Was ist los?«, wiederholte Mi'raela. Jetzt fiel ihr auch wieder der Name des Mädchens ein. Jini. Sie trug ein Amulett der Luft-Gilde.

      »Ach, eigentlich nichts Besonderes.« Jini zuckte mit den Schultern. »Ich ... fühle mich nur so schrecklich. Den ganzen Tag muss ich in den Küchen oder in der Wäscherei helfen, und da haben sie mich ausgeschimpft, weil ich so was nie gelernt und Vieles falsch gemacht habe. Ich bin einfach zu nichts nutze! Halt so ein blödes Findelkind.«

      »Das ist genug zum Unglücklichsein, finde ich«, meinte Mi'raela. Sie hasste es selbst, wenn sich jemand lustig über sie machte. Das war schlimmer als ein Fußtritt.

      Jini seufzte tief. »Vielleicht sollte ich weglaufen. Am besten nach Nerada, das ist die Provinz meiner Gilde, weißt du?«

      »Ich komme aus Alaak«, verriet Mi'raela, und plötzlich war die alte Sehnsucht wieder da. Sie biss genauso ins Herz wie früher. »Aus dem Roten Wald oben an der Nordgrenze – deshalb haben viele aus meiner Sippe orangefarbenes Fell, das tarnt gut.«

      »Apropos Fell«, meinte Jini und versuchte ein Lächeln. »Was hast du mit deinem gemacht, Waldkatze? Sieht irgendwie ... äh ... seltsam aus.«

      »Das liegt daran, dass Schrillstimme mir Brennwasser drübergegossen hat – Brennwasser. Es geht nicht raus.«

      »Brennwasser? Ach, Öl meinst du.« Jinis Tränen waren versiegt. »Weißt du was? Ich schmuggele dich heute Nacht in den Waschkeller ein, die haben dort Wacholdersud, damit bringen wir das ruckzuck wieder in Ordnung.«

      »Oh ... Das wäre nett!«

      Erst viel später, als ihr Fell wieder sauber war, fiel Mi'raela ein, dass sie ganz vergessen hatte, sich dem Mädchen gegenüber dumm zu stellen. Jetzt wusste eine Menschenwelpin, dass sie gut Daresi verstand und sprach. Wie hatte sie nur so unvorsichtig sein können?

      * * *

      Mein erster Sommer mit dem Großen Udiko ging so schnell herum, dass ich mich nachher fragte, wo die Zeit geblieben war. Wenn ich nicht mit ihm auf einer Suche unterwegs war und übte, wie man sich nach den Sternen orientiert oder wie man die richtigen Fragen stellt, kümmerte ich mich meistens um unsere neuen Mitbewohner. Zu ihnen gehörten ein Otter, den ich in einem Nachbarsee halb tot gefunden hatte und gesund pflegte, ein Langzeh-Lurch, den mir ein Besucher geschenkt hatte, und ein großer Purpurkrebs. Er hatte mich adoptiert. Oder ich ihn. Das kam aufs Gleiche raus.

      Udiko hatte darauf bestanden, dass ich die Karo-Natter wieder in den See zurückbrachte, und fluchte, wenn er über den Krebs stolperte. Ansonsten verlor er kaum ein Wort über meine Gäste. Erst, als ich ihm meine neuste Errungenschaft vorführte, einen jungen Skagarok, der von seinen Eltern verstoßen worden war, platzte ihm der Kragen. Ich war stolz darauf, dass ich dem zunächst sehr scheuen und wilden Küken beigebracht hatte, auf Kommando mit den Flügeln zu schlagen, aber Udiko knurrte nur: »Wenn du Zeit für so was hast, muss ich dich wohl mit mehr Aufgaben eindecken. Das Vieh kommt weg, und zwar sofort! Ich habe keine Lust, seine Krallen im Gesicht hängen zu haben, wenn es mal Hunger kriegt.«

      »Aber er ist noch viel zu jung, um alleine zu überleben!«, wandte ich ein.

      »Dann landet er eben im Kochtopf. Mit einer Küstenkressesauce schmeckt er bestimmt prima.«

      Betrübt baute ich dem Küken einen Unterschlupf draußen auf der Landbrücke und besuchte es dort jeden Tag. Noch sah es aus wie ein schwarzer Flaumball, hatte unschuldige gelbe Augen und die runde Schnauze eines Welpen – später einmal würde es die großen Schwingen, den Wolfskopf und die handlangen gebogenen Krallen seiner Art besitzen. »Bin gespannt, ob du später tatsächlich mal versuchst, mich anzuknabbern«, sagte ich zu ihm, und es bettelte mit aufgesperrtem Mäulchen um Futter.

      Vielleicht als Belohnung dafür, dass ich die Kinder gefunden hatte, nahm mich Udiko am Ende des ersten Sommers zum ersten Mal auf eine Traumsuche mit.

      Ich spürte sofort, dass die Besucherin etwas Besonderes war. Es war eine ernste, einfach gekleidete junge Frau, die nur zögernd über unsere Schwelle trat. Auch Udiko schien zu merken, dass dies kein gewöhnlicher Auftrag werden würde, und behandelte die junge Frau nicht so schroff wie andere Ratsuchende.

      »Mein Name ist Sjava«, stellte sie sich schüchtern vor. »Ich war noch nie bei einem Sucher, aber nach dem Traum letzte Nacht musste ich einfach herkommen.«

      »Was war das für ein Traum?«, fragte Udiko ernst. »War er ... besonders echt?«

      »Ja, es war alles unglaublich wirklich. Ich ging übers Wasser, im Traum konnte ich das. Ich ging auf eine Insel zu, die weiß schimmerte und von Nebel umgeben war ... Und von der Insel klang Gesang herüber, wie ich ihn noch nie gehört habe«, erzählte die junge Frau. »Als ich auf der Insel ankam, stellte ich fest, dass sie in den Wolken lag; ich blickte tief auf das Seenland hinunter. Es waren die Wolken, die sangen. Ich griff mit der Hand nach ihnen und fing ein kleines Stück Wolke ein, aß davon ... und fühlte mich unglaublich glücklich.« Auf dem Gesicht der Besucherin lag ein entrückter Ausdruck.

      Ich hörte fasziniert zu, war aber gleichzeitig verwirrt. Was erwartete die Frau von uns? Es war doch nur ein Traum gewesen, mehr nicht ...

      Doch Udiko schien das anders zu sehen. »Welche Form hatte die Insel? Was wuchs darauf?«, bohrte er weiter.