Iris Schulte Renger (chaoskirsche)

Fluchend pilgern geht auch


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ganz und gar übersehen. Und das wäre schade gewesen, denn sie ist einfach zu goldig.

      Ich muss lächeln.

      Einfach so.

      Herrlich lebendig ist es hier im abendlichen Ferrol.

      Was auch immer mir vorhin noch Angst gemacht haben mag, ist nun schon wieder vergessen.

      Die anbrechende Dämmerung verscheucht ganz langsam die Sonne.

      Ich merke, dass ich runterkomme, ankomme.

      Und ich esse Thunfischkroketten.

      Dabei hasse ich Thunfisch.

      Aus Versehen bestellt.

      Egal. Plötzlich schmecken sie.

      Mir geht es gut.

      Ziemlich gut.

      Ich bin endlich wieder unterwegs…“

      (Ferrol – Xubia (18,4 km), 16. Mai 2017)

      „Mein erster Lauftag.

      Er ist da.

      Und er ist schräg.

      Aber hatte ich tatsächlich etwas Anderes erwartet?

      Um 8 Uhr stiefele ich – nach einer fantastischen Dusche und endlich mal wieder ausgeschlafen (sollte ich auch daheim mal wieder häufiger sein) – aus dem Zimmer.

      An der Rezeption weist mich die liebe Dame von gestern darauf hin, dass ich doch ‘nen Stempel bei ihr abzuholen hätte. Stempel? Ach ja. ;) Der Pilgerausweis ist ja jetzt wieder mein treuer Begleiter. Fast vergessen.

      Nun ja, der Morgen und ich – wir konnten uns halt noch nie sonderlich gut leiden.

      Auf dem Weg zum offiziellen Startpunkt am Hafen laufe ich den ersten Teil des Caminos quasi rückwärts ab. Aber das merke ich erst, als ich nach einem kleinen Frühstück mit Croissant und Cola Cao (es gibt übrigens keine Tostadas hier in diesem Café, wie ich sie von meinen letzten Caminos kenne. Ich bin durcheinander.) loslaufe. Zwei Engländerinnen stinkt es, dass sie vom Startpunkt aus wieder auf demselben Wege zurücklaufen sollen, weshalb sie ‘ne Abkürzung nehmen.

      Ich schaue ihnen nach und überlege kurz: Soll ich mir auch die Rosinen rauspicken?

      Och nööö. Scheiße passiert. Und wer weiß, wofür es gut ist, dass ich nun ‘nen anderen Laufrhythmus habe als die beiden Mädels. Vielleicht hätten sie mich ja genervt.

      Der Weg raus aus Ferrol ist sehr asphaltlastig. Und am Anfang auch nicht wirklich schön. Die Aussicht zumindest ändert sich dann aber, als ich in die Nähe des Rías und damit auch in die Nähe des Wassers komme. Doch die Sonne brennt wie Bolle und zu allem Überfluss sind die Muscheln, denen ich ja folgen soll, hier noch Mangelware.

      Ich will schon missmutig werden, da habe ich plötzlich eine echte Erscheinung.

      Diese Erscheinung nennt sich Pepa, ist eine kleine, offene und sehr fit wirkende Spanierin, 63 Jahre jung, hat ein breites Lächeln auf den Lippen und wohnt in Ferrol. Sie trägt einen Schlapphut und einen Minirucksack.

      Und sie spricht mich an, als sie meine Muschel sieht:

      ,Hallo! Ich bin Pepa. Läufst du den Camino?‘

      Das kann ich wohl nicht abstreiten und nicke, breit grinsend wie ein Honigkuchenpferd, denn Pepa lacht mich äußerst fröhlich an.

      Daraufhin gesellt sie sich zu mir und plappert gleich weiter. Schnell. Sehr schnell.

      Und natürlich auf Spanisch, sodass ich mich sehr konzentrieren muss, um ihr auch nur ansatzweise folgen zu können.

      Das ist ‘ne echte Herausforderung bei dieser Hitze.

      Pepa findet es ,fantastisch!‘, dass ich den Camino Inglés alleine gehen will. Genau so müsse das sein! Ich lächle wieder.

      ,Weißt du – viele Menschen halten mich für bekloppt, dass ich sowas alleine mache. Viel zu gefährlich als Frau, langweilig… blablabla… aber ich finde, man ist ja eigentlich nicht allein auf den Jakobswegen. Man trifft unterwegs viele Menschen – und die sind doch gerade das Salz in der Suppe…‘, werfe ich ein.

      ,Ja, genau!‘, strahlt sie mich an. ,Und wenn du heute zum Beispiel nicht allein gewesen wärst, wäre ich nicht mit dir mitgelaufen! Ich hätte dich vielleicht gar nicht erst angesprochen – stell‘ dir das mal vor! Wie blöd das gewesen wäre!‘ Sie lacht.

      Zuckersüß ist die ja – denn eines tut sie tatsächlich kurzerhand auf den nächsten 4 Kilometern: mit mir mitlaufen.

      In dieser Zeit treffen wir ein Mädchen aus dem Ort, das darüber philosophiert, wie hübsch doch der Löwenzahn sei. Und wie dumm Donald Trump. Unsere Unterhaltung zeichnet sich durch einen extrem lustigen Mix aus Englisch und Spanisch aus. Deutsch beherrscht nämlich keine meiner beiden neuen Zufallsbekanntschaften. Ist aber auch vollkommen egal.

      Pepa fragt mich gerade, wann ich Geburtstag hätte?

      Ich habe null Ahnung, wie sie ausgerechnet jetzt auf dieses Thema kommt und bin deshalb mehr als irritiert. Ich hab‘ mir das Datum nämlich nicht auf die Stirn tätowieren lassen – aber mein Geburtstag ist HEUTE. Und das überrascht mich gerade selbst sehr, denn ich hatte ihn schon gar nicht mehr auf dem Schirm.

      Als Pepa meine Antwort hört, hüpft sie aufgeregt auf und ab wie ein äußerst lebhafter Flummi und freut sich wie ein kleines Kind. Sie besteht darauf, mir zum Geburtstag zwei Küsschen geben zu dürfen. Ich weiß nicht, wie mir geschieht – ich finde das alles gerade schon ziemlich schräg. Und ich bin eigentlich auch nicht so der Typ für dieses Geknuddele und Geknutsche. Unter anderem aus diesem Grund mag ich es, an meinen Geburtstagen in fremden Gegenden allein unterwegs zu sein. Da weiß wenigstens niemand darüber Bescheid, wann ich wieder mal ein Jahr älter werde. Aber heute will ich mich mal nicht so zieren und nehme die beiden herzlichen Knutscher auf die Wangen in Empfang.

      Is‘ ja Camino. Und irgendwie auch toll.

      Wir laufen jetzt gut gelaunt und nun wieder zu zweit weiter – durch die immer noch brütende Hitze.

      Pepa spricht von Zeit zu Zeit ihr und natürlich auch mir gänzlich fremde Leute an, um diese zu fragen, wie wir zu einer bestimmten kleinen Bar in der Nähe kämen? Ich sage ihr, dass ich nicht unbedingt dorthin müsse, denn ich wolle heute sowieso noch bis zur Herberge in Xubia oder Neda laufen.

      ,Noch so weit? Bei DER Hitze?! Bist du irre? Viiiel zu weit. Ich komme aus O‘Cebreiro - DA ist es heute vielleicht nicht so warm, weil das auf ‘nem Berg liegt. Aber HIER musst du erst mal aus dieser fürchterlichen Sonne raus – es ist gleich Mittag!‘

      Hmm. Okay. Wenn Pepa das sagt, dann muss ich mich wohl fügen…

      Also suchen wir ,ihre‘ Bar, wobei Pepa nun registriert, dass ,die Pfeile ja ziemlich dumm aufgemalt sind! Das ist doch ein riesiger Umweg!‘.

      Ja, so isser halt, der Camino. ;) Sie schimpft wie ein Rohrspatz. Ich lache.

      Als wir endlich an der von ihr gesuchten Bar ankommen – ich habe nun etwa 8 Kilometer hinter mir – scheucht sie mich energisch in den Laden. Ich solle bloß Tortilla essen und gaaanz viel Cola trinken und auf jeden Fall noch die Mittagshitze abwarten, bevor ich wieder aufbreche!

      ,Jawoll!‘, denke ich. Und ich weiß, ich werde gehorchen. Denn zu wenig zu essen und zu trinken – den Fehler habe ich anfangs, als Pilgerneuling, tatsächlich oft gemacht. Mehr als einmal bin ich daraufhin abends in irgendwelchen Herbergen umgekippt. Das kenn‘ ich schon und das brauch‘ ich nicht noch mal. Pepa erinnert mich netterweise daran. Und dann – will sie plötzlich weg. Ich bin überrascht; ich war darauf eingestellt, noch eine Weile mit der kleinen, lustigen Frau zusammen in der Bar sitzen zu können. Kaffee mag sie aber nicht (ich habe ihr gerade einen angeboten) und sie ist heute Nachmittag auch noch mit einer Freundin verabredet, hat daher keine Zeit mehr.

      Wir