Iris Schulte Renger (chaoskirsche)

Fluchend pilgern geht auch


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geht der Weg viel charmanter weiter als er begonnen hat. Landschaftlich meine ich. Denn Pepa war ja schon ziemlich charmant.

      Der Asphalt ärgert mich jetzt auch nicht mehr ganz so häufig. Gut so, denn meine Füße mögen ihn nicht.

      Immer wieder genieße ich den leider eher raren Schatten. Ich habe nämlich eine starke Ahnung, dass ich doch besser direkt heute Morgen Sonnencreme hätte kaufen sollen, anstatt das – clever wie ich bin – auf den morgigen Tag zu verschieben. Aber das muss jetzt halt warten. Übrigens nicht aus Faulheit, sondern weil es hier ganz einfach weit und breit keine Shops gibt.

      Dafür knallt es auf der gegenüberliegenden Ría-Seite plötzlich gewaltig. Immer wieder. Und hört auch nicht wieder auf. Ich sehe Rauch und andauernd so etwas wie… ja tatsächlich… Mündungsfeuer?

      Was zum Henker…?! Ich mach‘ mich lieber vom Acker.

      Ich komme dem Wasser jetzt immer näher. Neben mir läuft plötzlich ein weißhaariger Mann mit Hund. Und ohne Shirt. Es scheint derzeit selbst für spanische Verhältnisse heiß zu sein, denn so laufen die älteren Männer hier heute fast alle rum. Das ist mir auf anderen Jakobswegen bisher nie aufgefallen. Auf eine sehr seltsame Art schaut der Mann mich immer wieder an. Ich registriere das, bin irgendwie peinlich berührt und ignoriere ihn deshalb. Aber bald merke ich: Nett ist der Typ. Warum? Ganz einfach: Ich bin so sehr damit beschäftigt, meine Füße zu beobachten (ich habe nämlich gerade so etwas wie Marschmusik im Kopf und zähle in Gedanken laut den Takt mit), dass ich doch glatt die nächsten Muscheln übersehe und die Abzweigung zu verpassen drohe, die ich eigentlich nehmen müsste. Ich kreische erschrocken auf, als der Typ mich deshalb plötzlich von der Seite anspricht. Er zuckt auch zusammen. Kurz starren wir uns mit großen Augen gegenseitig an – und dann müssen wir beide schallend lachen. Ich bin ihm dankbar, dass er mich nicht in die falsche Richtung hat laufen lassen. Und schwupps – ist er auch schon wieder weg. Hat was von Pepa, der Herr.

      Manchmal trifft man solche Menschen auf dem Weg. Interessanterweise sind sie bei mir bisher auch immer, auf jeder einzelnen Tour, genau in dem Moment aufgetaucht, in dem ich sie brauchte. Und Bauchgefühl braucht man. Gutes Bauchgefühl. Hier und im Leben.

      Hier zu laufen, das ist dem Leben an sich übrigens nicht ganz unähnlich. Mir geht es in beiden Fällen eindeutig besser, wenn ich mich auf mein Bauchgefühl verlasse. Auch mal anderen Menschen vertraue, was ich lange Zeit eher selten getan habe. Heute galt das vor allem für den Herrn, der mir zunächst suspekt gewesen ist. Doch tatsächlich habe ich ebenfalls von Anfang an gedacht, dass er etwas Nettes an sich hat. Ein Bauchgefühl, das sich ja dann auch bewahrheitet hat.

      Was wäre, wenn wir auch daheim ein wenig mehr auf unsere innere Stimme hören würden? Vermutlich würden wir viel mehr interessante Begegnungen erleben, viel mehr interessante Menschen in unser Leben lassen. Aber vielleicht würden wir auch mit mehr Menschen brechen, die uns eigentlich gar nicht gut tun. Für beide Varianten braucht es Mut. Ob sich das lohnt?

      Seltsame Gedanken hat man hier auf dem Camino. Und das gleich am ersten Tag.

      An der Herberge in Xubia (Neda) stehe ich erst einmal vor verschlossenen Türen. Irgendwann gesellt sich endlich ein finnischer Pilger – Timo – zu mir und verrät mir den Zahlencode. Nett ist er. Timo hat schon 400 Kilometer auf dem Camino del Norte hinter sich. Er befindet sich jetzt aus zwei Gründen auf dem Inglés: Zum einen hat er auf dem Norte herausgefunden, dass seine finnischen Vorfahren einst den englischen Weg gegangen sind. Zum anderen wurde ihm der Norte selbst langsam zu voll. Timo ist übrigens sehr interessiert daran, dass ich heute in meinem Zelt schlafen möchte, statt in der Herberge. Daher denke ich, dass wir bestimmt später noch einmal miteinander quatschen werden, wenn ich meine Schlafstätte aufbaue.

      Jetzt muss ich aber erst mal duschen. Ich müffele. Einkaufen (Sonnencreme – natürlich NACH dem ersten Brand, der sich schon deutlich abzeichnet) und nach etwas Essbarem suchen beziehungsweise nach einem Restaurant, das auch Menschen in Wanderklamotten reinlässt, muss ich auch noch. Ich finde Gott sei Dank schnell ein solches Restaurant, muss aber zunächst noch darauf warten, dass der Koch eintrudelt. In Spanien geht man aufgrund der Hitze ja erst viel später zum Abendessen als bei uns. Daher beschäftige ich mich vorher noch mit etwas Wunderschönem – und zwar mit Geburtstagsbriefen und -wünschen aus der Heimat, die mir mit der Anweisung mitgegeben worden sind, sie erst hier in Spanien zu öffnen.

      Beim Lesen vergeht die Zeit bis zum Eintreffen des Kochs wie im Fluge. Als ich vom Essen zurückkehre, platziere ich dann endlich mein Zelt auf dem Rasen neben der Herberge – mit Blick auf das Wasser. Anschließend lade ich diverse Geräte an der Steckdose in der Küche auf. Als ich wieder an meinem Zelt stehe, gesellt Timo sich erneut zu mir.

      ,Ey – du hast ja ein Tarptent!!! Ich auch! Was wiegt deines denn?‘, fragt er neugierig.

      Ah! Ein Ultraleicht-Fanatiker – wie ich. Ich muss grinsen. Ich glaube, ich habe gute Karten.

      ,770 Gramm.‘

      ,Verdammter Mist! Meins wiegt 950!‘, antwortet er enttäuscht.

      Wir müssen beide lachen, so blöd ist diese Grammzählerei. Wir fachsimpeln trotzdem weiter, albern rum. Das Zelt lässt ihn jedoch nicht los.

      ,Bist du ganz sicher, Iris? 770 Gramm?!‘

      Ich bejahe.

      ,Ach, verdammte Kacke, tu‘ mir das nicht an! Ich kann das nicht glauben. Davon werde ich heute Nacht Albträume kriegen...‘, jammert er, betont weinerlich.

      Ich kann nicht mehr. Mein Bauch tut mir weh vor Lachen.

      ,Also Iris – dann schlaf‘ heute mal gut – in deinem VERDAMMTEN 770 GRAMM-ZELT!!!‘, tut Timo gespielt böse und verdreht dabei auch noch die Augen. ,Bestimmt hält das dumme Ding weder Wind noch Regen ab!‘, versucht er dann, sich selbst zu trösten.

      ,Doch, doch… es hat gerade ‘ne Tour durch Schottland überlebt…‘, grinse ich lässig.

      ,Aaarghhh – geh‘ einfach schlafen, du Pilgernuss!‘, brüllt Timo laut, bricht aber schon Sekunden später wieder in Gelächter aus. Wir wünschen uns eine gute Nacht und ich verziehe mich in mein Zelt. Vermutlich werden wir uns nicht wiedersehen. Er kann ja mittlerweile viel längere Distanzen gehen als ich. Aber er hat meinen tollen Tag noch abgerundet. Ach ja, diese Begegnungen – sie sind es doch, die nicht nur den Camino, sondern auch das Leben an sich so schön machen, oder?

      Der ,UP‘-Schrittzähler an meinem Handgelenk – ein Geburtstagsgeschenk einer lieben Pilgerfreundin – hat mir übrigens gerade verraten, dass das mit Verlaufen, Startpunktsuche und Essengehen heute rund 18,4 Kilometer und knapp 26.000 Schritte für mich waren. Und ich habe tatsächlich jeden davon genossen. Ohne Blasen zu entwickeln. Ich bin gespannt auf den morgigen Tag.“

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