Angelika Nickel

Der Muffler


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      »Na, wohin schon!«, antwortete die Frau, und schmunzelte dabei belustigt. »Ich dachte, es würde euch vielleicht Spaß machen, zu sehen, was wir beim Muffler alles anstellen wollen.«

      »Wir?«, wunderte sich Gisela.

      »Ja wer schon; meine Schwester und ich. Ihr kennt doch meine Schwester. Habt sie doch gesehen, heute Nachmittag, beim Besen-Fritze«, erklärte die Frau den Kindern, und war überrascht, dass die beiden nicht sofort verstanden, wen sie mit wir meinte.

      »Ihre Schwester?«, wunderte sich nun auch Lothar.

      Die Frau nickte, und wieder wippte die Feder an ihrem Hut mit.

      »Na klaro«, lachte die Frau, und ihr Lachen klang in Giselas Ohren, wie das Gekreische einer Krähe.

      Die Frau streckte ihre Hände nach den Kindern aus.

      Zögernd ergriffen sie sie.

      »Wie sind Sie denn zu uns herauf gekommen. Vor’s Fenster, meine ich«, fragte Gisela, die sich gar nicht sicher war, ob es richtig sein würde, mit einer fremden Frau, nachts aus dem Haus zu gehen. Selbst, wenn es auch nur durchs Fenster sein würde. Dennoch war die Frau eine Fremde; und ihre Eltern hatten ihnen strengstens untersagt, mit Fremden mitzugehen. Das Mädchen war unsicher. Sehr sogar.

      Die Frau bemerkte Giselas Angst. »Vor mir braucht ihr keine Bange zu haben. Sicher haben eure Eltern Recht, wenn sie sagen, dass ihr nicht mit Fremden mitgehen dürft.« Sie zog mit zwei Fingern über die Feder an ihrem Hut, und im selben Augenblick, glaubten die Kinder, einen bunten Tukan auf dem Hut sitzen zu sehen. Nur, dass an dem Vogel nicht der Schnabel grellfarben war, sondern sein Gefieder. »Ich hab‘ euch doch gesagt, dass ich eine Hexe bin«, versuchte sie, den Kindern ihre Angst zu nehmen, während der Tukan sich wieder in die Feder an ihrem Hut zurück verwandelte.

      »Also doch eine Hexe!« Lothar drehte sich, beinahe triumphierend, zu seiner Schwester um.

      »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass es keine Hexen gibt!«, fuhr Gisela ihren Bruder an. »Das ist irgendein Trick. Mehr auch nicht.«

      »Gut, Kleine, dann ist es ein Trick. Wie du meinst. Aber jetzt kommt endlich. Immerhin haben wir nicht die ganze Nacht Zeit.« Die Frau umspannte die Hände der beiden fester und eilte mit ihnen hinaus aus dem Fenster.

      »Halt! Nicht, wir fallen!«, rief Gisela erschrocken aus, während ihr Bruder nur mit großen Augen zu der Frau aufschaute, die ihn immer noch an der Hand eisern festhielt.

      »Wo ist denn Ihre Schwester?«, wollte Lothar wissen, als sie bereits von draußen her, auf dem Fenstersims aufsaßen. »Ist sie keine Hexe? Kann sie nicht fliegen, so wie Sie?«

      »Hörst du jetzt endlich mit dem Mist auf! Es gibt keine Hexen, Lothar!«, schimpfte Gisela.

      In diesem Augenblick hörte sie die Frau sagen: »Hoxa ist dort unten und wartet auf uns.«

      »Hoxa?«, wunderte Gisela sich.

      »Meine Schwester. Und ich bin Brunhilde.« Sie ließ die Hände der Kinder los und strich ihnen über den Kopf, während die beiden sich hastig mit beiden Händen am Sims festklammerten, aus lauter Angst, in die Tiefe hinunter zu stürzen.

      7- Brunhilde und Hoxa Süßenguth

      »Natürlich ist auch Hoxa eine Hexe. Liegt bei uns in der Familie. Schon seit Generationen«, erklärte ihnen Brunhilde. »Wir entstammen dem Hexengeschlecht der Süßenguths. Deswegen auch Hoxa und Brunhilde, meine Wenigkeit, wie ich erinnern darf, Süßenguth. Nur, damit ihr auch das wisst.« Sie sagte es mit gedämpfter Stimme, wollte sie doch nicht, dass sie womöglich noch die ganze Nachbarschaft weckte. Das würde nämlich für sie und ihre Schwester bedeuten, dass ihr Plan für heute Nacht, den sie beide sich ausgeheckt hatten, zunichte gemacht werden würde. Von daher musste sie tierisch darauf achten, dass sie auch bloß niemanden weckten, oder gar, jemanden auf sich aufmerksam werden ließen.

      »Schaut nach unten. Dort seht ihr Hoxa. Sie wartet bereits auf uns. Allerdings«, sie schaute sich wie suchend um, »wäre es mit Besen leichter.«

      »Wieso mit Besen leichter?« Gisela runzelte die Stirn. »Wozu?«

      »Wir haben doch einen Besen. Den von dem Besen-Fritze«, sagte Lothar leise.

      Die Frau schnippte mit dem Finger. »Das ist es.« Sie lugte über ihre Schulter hinweg ins Zimmer. »Komm her, Besen!«, rief sie, in Richtung des Besens.

      »Jetzt siehst du gleich, dass sie keine Hexe ist«, flüsterte Gisela ihrem Bruder ins Ohr.

      »Wieso?«

      »Weil der Besen ganz sicher nicht zu ihr hin geflogen kommt.«

      Plötzlich verlor Gisela jede Farbe. Der Besen hatte sie an der Schulter gestreift.

      »Nein, geflogen kommt er nicht. Dazu ist er noch viel zu ungeübt. Ein paar Flugminuten zum Üben, brauchen selbst die Besen, die mit Hexen zu tun haben, um auch richtig fliegen zu können. Schweben jedoch, das können die meisten. Man muss nur wissen, was zu tun ist, um sie auch dazu zu bekommen, dass sie sich von selbst von der Stelle bewegen.«

      Das muss ich später unbedingt ausprobieren, dachte Lothar fasziniert.

      Gisela sagte kein Wort mehr. Sie starrte nur noch auf den Besen, der unterdessen die Beine der Hexe umkreiste, als wäre er ein Kater, der sich schnurrend an ihren Beinen rieb.

      »Siehst du, Gisela, Hexen gibt es doch!«, freute der kleine Junge sich.

      »Na klar doch! Aber das hab‘ ich euch doch schon wie oft gesagt. Ist nicht meine Schuld, dass ihr es nicht habt glauben wollen«, lachte Brunhilde, und machte dabei ihrer Schwester Zeichen, ebenfalls nach oben zu kommen.

      Bereits im nächsten Moment schwebte Hoxa vor ihnen, auf ihrem eigenen Besen, wie auf einem zahmen Pferd hockend. Sie streckte den Kindern eine Hand entgegen, mit der anderen hielt sie sich am Besenhals fest. »Wer von euch fliegt mit mir?«, fragte sie, und schaute dabei Gisela fragend an. »Du?«

      Gisela konnte nur noch verdattert nicken. Sie träumte, ganz sicher. Denn das, was sie hier soeben, gemeinsam mit ihrem Bruder, erlebte, so etwas gab es nicht. Konnte gar nicht wahr sein. Da war sie sich völlig sicher.

      Brunhilde grinste ihre Schwester an. »Die Kleine ist ein Fall der hartnäckigen Sorte. Sie glaubt immer noch nicht an uns.«

      »Komm her, Gisela. Schwing‘ dich zu mir herüber«, forderte Hoxa sie auf.

      Zögernd ergriff das Mädchen die Hand der Hexe, und saß bereits im nächsten Augenblick vor ihr auf dem Besen. Sie wagte einen Blick nach unten. »Mir wird gleich schwindelig«, hauchte sie, und schloss die Augen. Sie fühlte, wie ihr Magen sich drehen wollte, als sie Hoxas Atem an ihrem Nacken spürte.

      »Du wirst weder von unserem Besen herunter fallen, noch wird dir schlecht werden. Glaub‘ mir, Gisela, ich sorge schon dafür, dass keins der beiden mit dir geschieht.« Hoxas Stimme war warm und freundlich und für die verängstigte Gisela fühlte sie sich an, wie Medizin.

      Lothar hatte unterdessen mit Hexe Brunhilde den Besen von Besen-Fritze bestiegen.

      »Und jetzt, ihr zwei Hübschen, schauen wir einmal, was der alte Muffler so bei Nacht macht, wenn er niemanden ärgern, und niemandem klopfen kann.«

      Bevor sie sich versahen, hüpften die Besen wie bockige Ziegen durch die Luft. Sie schlugen Saltos, zogen gerade hoch nach oben, um sich gleich darauf nach unten fallen zu lassen.

      Lothar gefiel das Ganze supertoll. Er hatte seinen Spaß. Nicht so Gisela. Ihr war, nach wie vor, mulmig. Zudem glaubte sie immer noch, zu träumen, auch wenn ihr nicht länger schlecht war, und sie auch nicht weiter das Gefühl hatte, jeden Moment vom Besen zu fallen.

      Die beiden Besen flogen rauf und runter, hin und her; und dabei kicherte Lothar freudig, und Gisela verfolgte das Ganze mit Angst in den Augen. Doch auch bei ihr verlor sich die Angst nach einiger Zeit, und auch ihre Augen begannen, vor Faszination,