Jürgen Ruhr

Final - Tanz


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gut“, unterbrach er mich und sah auf seine Uhr. „In zehn Minuten im Planungsraum. Und“, er sah mich von oben bis unten an, „du solltest dich vielleicht ein wenig säubern. Die Flecken dort, ist das Mayonnaise? Ich bin gleich wieder da, muss nur noch kurz in mein Büro drüben.“

      „Irgendeine Ahnung, um was für einen Auftrag es sich handeln könnte?“, fragte ich Birgit, die mir gegenüber am Tisch im Planungsraum saß. Sie schüttelte nur den Kopf und las weiter in irgendeinem Bericht. Ich nickte und dachte an meinen Wagen. Ob mir die Polizei sagen könnte, wo ich ihn finden würde? Wer konnte aber auch ahnen, dass er so schnell abgeschleppt würde? Mir fiel ein, dass ich vergessen hatte, den kleinen Affen am Spiegel zu befestigen. Vielleicht wäre der Wagen nicht abgeschleppt worden, hätte der Talisman dort gehangen.

      Bernd kam zehn Minuten zu spät und er winkte nur ab, als ich auf meine Uhr am Handgelenk deutete. „Ja, Jonathan, ich weiß. Aber das Gespräch mit Eberson ging vor.“ Er zog aus seinem Aktenkoffer zwei Mappen hervor und reichte eine davon Birgit und die andere mir. „Darin findet ihr alle Informationen über euren nächsten Auftrag. Ich gebe euch kurz eine Zusammenfassung, so dass ihr euch ein Bild machen und eventuell Fragen stellen könnt.“

      Er begab sich zum Kopfende des Tisches und nickte uns zu: „Auf der ersten Seite findet ihr einen kurzen Lebenslauf des Mannes, um den es hier geht: Sein Name ist Sergio Palyska. Wie auf den Bildern auf den folgenden Seiten unschwer zu erkennen ist, verdient der Mann seinen Lebensunterhalt als Balletttänzer. Sein letztes Engagement fand in Düsseldorf statt, wo er an der Deutschen Oper getanzt hat. Palyskas Vertrag ist letzten Monat ausgelaufen, wurde auch nicht verlängert und der Mann plant nun eine eigenständige Tournee mit dem Titel ‚Tanz des Flamingos‘. Das klingt nicht sonderlich originell, ist es auch nicht.“

      „Wozu braucht ein Tänzer unsere Hilfe?“, fragte ich. „Bedroht man sein Leben?“

      „Dazu komme ich gleich, Jonathan. Lass mich einfach ausreden, dann erfährst du alles. Also: Palyska plant diese Ein-Mann-Show mit den Stationen Düsseldorf, Paris, London, Sydney in Australien und New York. Das ist alles noch nicht sonderlich aufregend, hätte der Mann sich nicht vor drei Wochen extrem hoch versichern lassen. Und das extra für seine Auslandsaufenthalte.“

      „Das klingt merkwürdig“, warf ich ein und erntete einen harschen Blick meines Freundes. Ich wusste ja, dass ich ihn ausreden lassen sollte, doch die Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen. „Machen denn die Versicherungen so etwas überhaupt?“

      Bernd seufzte und nickte angestrengt: „Ja, Jonathan, sonst hätten sie ja wohl kaum einen Vertrag mit Palyska geschlossen. Immerhin geht es um 5 Millionen Euro bei einem Unfall und fünfzig Millionen, falls Palyska zu Tode kommt.“

      „Na, da wird er aber nicht viel von haben, wenn er tot ist“, lächelte ich und sah Beifall heischend zu Birgit. Die ignorierte mich aber.

      „Er sicher nicht, Jonathan. Aber seine Frau. Sergio Palyska ist seit einem halben Jahr mit Jekaterina Krynow, genannt ‚Jeka‘, verheiratet. Sie ist ebenfalls Tänzerin, beziehungsweise war es bis vor Kurzem noch und arbeitete unter ihrem Mädchennamen. Momentan unterstützt und managt sie ihren Mann.“ Bernd holte tief Luft und sah uns an.

      „Wie gesagt: Der Versicherungsvertrag gilt lediglich im Ausland und auch nur für die Dauer dieser Tournee. Unser Auftraggeber bei dieser Sache ist die Versicherung, die ihren Vertragspartner sicher und geschützt wissen will. Die Summe ist einfach zu hoch, als dass dem Tänzer irgendetwas passieren darf.“

      Ich unterbrach meinen Freund erneut, es waren zu viele Ungereimtheiten, die mir auffielen: „Warum schließt die Versicherung denn überhaupt so einen bescheuerten Vertrag ab? Das klingt für mich alles ein wenig konfus.“

      Bernd nickte ernst: „Ja, aber welchen Grund könnte es wohl für eine Versicherung geben, solch einen Vertrag abzuschließen?“

      „Keine Ahnung“, gab ich ehrlich zu. „Keinen.“

      „Doch“, erklärte mein Chef, „es gibt einen: Geld. Die Prämie, die Palyska zahlen muss, ist dermaßen hoch, dass die Typen von der Versicherung einfach nicht ‚nein‘ sagen konnten. Irgendjemand bei dieser Versicherung hat dann aber wohl kalte Füße bekommen und mich heute Vormittag gefragt, ob ich kurzfristig zwei Leute als Bodyguards abstellen kann. Und da ihr beiden momentan keinen aktuellen Auftrag habt, übernehmt ihr das.“

      „Und Dozers Lehrgänge? Die sollte ich doch übernehmen?“

      „Ja, wirst du auch. Du und Chrissi, ihr übernehmt die Ausbildung. Du bis einschließlich Donnerstag, denn Freitagnachmittag geht euer Flieger nach Paris. Und Mitte nächster Woche ist Dozer wieder zurück, bis dahin macht Chrissi alleine weiter. Die Details findet ihr in den Mappen. Jennifer besorgt noch die Flugtickets, ihr fliegt zusammen mit Palyska in einer Linienmaschine. Von Paris geht es nach dem Wochenende weiter ins schöne London. Sobald wir die genauen Termine haben - wir müssen uns ja nach dem Künstler richten - werden eure Tickets am Flughafen hinterlegt.“

      „Für wie lange ist die Tournee denn geplant?“

      „Die Tournee soll fünf Wochen dauern, von denen vier im Ausland verbracht werden. Die fünfte Woche, also eigentlich die erste Woche, findet hier in Deutschland statt. Sergio Palyska beginnt seine Auftritte nämlich am kommenden Mittwoch im Savoy Theater in Düsseldorf. In der Plastiktasche hinten in der Akte findet ihr eine Eintrittskarte für die Auftaktveranstaltung. So lernt ihr den Mann kennen und könnt euch ein Bild von seinem ‚Tanz des Flamingos‘ machen. Die Karten hat übrigens die Versicherung spendiert, wenn ihr euch bedanken wollt, dann bei denen.“

      Ich räusperte mich: „Es ist aber keine Pflicht, sich die Show anzusehen, oder? Ich bin nämlich nicht unbedingt ein Freund dieses ... dieses ... Herumgehopses.“ Fast hätte ich ‚schwulen Herumgehopses‘ gesagt, doch zum Glück hielt ich mich rechtzeitig zurück. Schließlich war Bernd selbst homosexuell und einmal mit mir im Bett gelandet, woran ich mich aber eigentlich nicht erinnerte. Damals begann meine Karriere als Privatdetektiv und ich hatte meinen Geburtstag mit viel zu viel Tequila gefeiert. Bernd fing mich damals auf, als ich vom Tisch fiel und brachte mich dann nach Hause. Morgens erwachte ich neben ihm, doch an das, was in der Nacht geschehen war, konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern ...

      Bernd lächelte: „Doch, das ist es. Ihr macht euch schick und genießt einen kulturellen Abend quasi auf Firmenkosten. Die Fahrtkosten jedenfalls übernehme ich. Außerdem möchte ich, dass Palyska sieht, dass ihr an seinen Darbietungen Interesse zeigt. Also, sei kein solcher Banause, Jonathan. Ballett kann wunderschön sein, denke doch einmal an ‚Schwanensee‘ zum Beispiel.“

      Ich dachte an Curry-Erwins Chicken Wings, die unter der dicken Schicht Mayonnaise in der Currysoße geschwommen hatten und ich musste unwillkürlich lächeln. Bernd deutete das falsch und meinte: „Na siehst du, jetzt freust du dich sogar auf den Abend. Ich wusste doch, dass wir dich gesellschaftsfähig bekommen!“

      Der Mittwoch kam schneller als erwartet und damit auch die uns von Bernd auferlegte Veranstaltung.

      Meinen Wagen hatte ich mit einiger Mühe und nach Zahlung der Strafe, sowie aller weiteren Kosten, wiederbekommen. Natürlich dachte ich nicht mehr an die von Erwin angerichtete Mayonnaise-Sauerei und meine Kleidung war schließlich mit Flecken übersät. Ich brauchte ganze dreißig Minuten, um das fettige Zeug von Lenkrad und Innentür zu wischen.

      Und die Lehrgangsstunden im Studio teilte ich mir mit Christine und es tat ganz gut, einmal wieder so intensiv Kampfsport zu betreiben. Birgit nutzte jede freie Minute und machte sehr gute Fortschritte.

      Doch jetzt stand ich vor dem mannshohen Spiegel in der Diele meiner Wohnung und betrachtete mich im Anzug. Ich war einigermaßen zufrieden. Christine, die eine Etage unter mir wohnte - sie war es auch damals gewesen, die mir diese Wohnung hier vermittelt hatte - würde Birgit und mich zum Bahnhof in Rheydt bringen. Ich wäre ja gerne mit meinem neuen Wagen nach Düsseldorf gefahren, doch mit dem Zug war es bequemer. Außerdem brauchte ich mir dann keine Sorgen um einen Parkplatz machen. Vom Hauptbahnhof aus würden wir bequem zu Fuß zu dem Theater gehen können, in dem der Auftritt dieses Balletttänzers stattfand.