Jochen Duderstadt

Zwangslektüre


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Absolutismus entgegenstemmt; er vertuscht damit aber zugleich, dass der von Götz vertretene "gemütliche" Feudalismus noch rückständiger und barbarischer ist.

      Götz' primitives Naturrecht, wonach er nur Gott und dem Kaiser unterworfen ist, die ihm erfreulicherweise beide keine Vorschriften machen, wird romantisch verklärt; auf der anderen Seite muss natürlich das im Vordringen begriffene geschriebene Recht verteufelt werden, obwohl es einen unbestreitbaren Fortschritt in Form von Rechtssicherheit und Rechtseinheit geliefert hat.

      Die Repräsentanten des Ritterstandes sind allesamt aufrecht, ehrlich, tatkräftig und gutherzig. Sogar ihre Beschränktheit wird noch zur Tugend. Dagegen Weislingen und die anderen Repräsentanten des fürstlich-klerikalen Macht: Verschlagen, intrigant, verräterisch und bestenfalls wankelmütig. Die Ritterchen leben im allerherzlichsten Einvernehmen mit ihren Untertanen, während Fürsten und Bischöfe das Volk knechten.

      Welch ein Lore-Roman vom Feudalismus wird hier den Schülern zugemutet? Die Bereitschaft, sich an den zehn Geboten zu orientieren, war unter den Rittern eben so wenig vorhanden wie bei den Bischöfen, und aus der Fronbauernperspektive machte es wahrhaftig keinen Unterschied, ob man dem Ritter oder dem Fürsten diente. Fürsten und Bischöfe gewährleisteten aber eine effektive Zentralgewalt (wenn auch in Deutschland noch im Rahmen kleiner Territorien), die unbestreitbare ökonomische und kulturelle Fortschritte brachte.

      Götz als Vertreter einer kleinen, aussterbenden Gruppe steht gerade deshalb, weil er sich gegen die geschichtliche Entwicklung stemmt, auf verlorenem Posten, aber sollen wir ihn deshalb, auch wenn wir alle Idealisierungsbemühungen Goethes nachvollziehen, bedauern?

      Ist die Freiheit, für die Götz kämpft, die Freiheit, die wir meinen?

      Götz - Modernes Trauerspiel aus dem evangelischen Kindergarten von Berlichingen -

      Personen:

      Kindergartenkinder:

      Götz

      Maik Weislingen

      Philipp

      Florian

      Adelheid

      Erzieherinnen:

      Frau Liebetraut

      Frl. Maria

      Götz' Vater

FLORIAN. Frau Liebetraut, mei Gummibärle sind weg!
LIEBETRAUT. Da muscht halt genou in dei Fächle nachluege.
FLORIAN. Aber do sind sie nedde!
PHILIPP. Maria, wo isch mei Tischört? I werd gleich abg'holt, und i brauch ...
MARIA. Was hasch für e Tischörtle, Philipp?
PHILIPP. A rodes von Lakoscht. Hier, an däm Hake wars. I war nur Pipi mache.
LIEBETRAUT. (zu Maria) Wenn d'Kerle so ordentlich wäret wie däne Mädle, hättet m'r koi Probläme.
MARIA. Ha noi, aber jetzetle isch des ebbes andres. I han ou g'säh, wie d'r Florian ebe noch sei Tütle mit dene Gummibärle in sei Fächle g'tan hat.
LIEBETRAUT. Moisch, m'r hent a Dieb onder däne Büble?
MARIA. Schoo möglich. Viele Eldern sind Geschäftsleit oder Lährer, woisch?
LIEBETRAUT. Hasch recht. Und Jurischte. S'kann ooaagnähm werde, wenn m'r oin erwischet.
MAIK WEISLINGEN. Frau Liebetrout, i muss dir ebbes sage.
LIEBETRAUT. Was isch, Maik?
MAIK WEISLINGEN. D'r Götz hat onder sei Pullover das Tischörtle vom Philipp. I habs genou gsäh! Aber verrat mi nedde!
LIEBETRAUT. Isch wahr? Götzle, kommsch emol her?
GÖTZ. (Gummibärchen mampfend) Warum?
MARIA. Götzle, was kausch da?
GÖTZ. Gummibärle vom Florian.
MARIA. Götz, schäm dich! Die darfsch ihm doch net wegnähme!
GÖTZ. (mampfend) Warum net?
LIEBETRAUT. Götz, jetz isch genug. Komm här, gibsch Tütele und zieh's Tioschörtle vom Philipp aus.
GÖTZ. I will erscht wisse, wär mich verpetscht hat.
ADELHEID. Der Maik wars!
MAIK WEISLINGEN. Du bisch gemein! I denk, du bisch mei Freundin!"
ADELHEID. Noi, bin i net mähr! Du hasch Götz verrrade! I go jetz mit em andern, ätsch!
LIEBETRAUT. Adelheid, bisch ruhig!
GÖTZ. Verräter!
LIEBETRAUT. Götzle, koi Wort meähr. Här mit dem Kruscht!
GÖTZ. (Springt auf einen Stuhl und klettert auf den Großen Kleiderschrank. Von oben:) I gebs net her. Alles mois.
MARIA. (zunehmend verstört) Götz, warum hasch gestohle?
GÖTZ. Weil freiwillig hättet sie's mir net gäbe!
LIEBETRAUT. Götz, du bisch a Dieb, auf frischer Tat, äh, wie soll i sage, also mir rufet jetzetle d'r Kirchevorstand aa und dei Eldern. Solle die entscheide. I gloub, du