Kai Althoetmar

Tot oder lebendig


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Naturspalte im Fels führt vom Tal etwa 25 Höhenmeter zur Öffnung der Höhle hinauf. In der Mitte der Spalte ergießt sich in der regnerischen Jahreszeit und während der Schneeschmelze ein Bach wasserfallartig ins Tal hinab und fließt in den Unac. Vor der Höhle hat die Ingenieurbrigade einen Holzboden mit Planken, eine Veranda mit Brüstung und ein paar Treppenstufen gelegt.

      Die beiden Baracken sind mit Blattwerk und Zweigen getarnt, als hinge wallendes Efeu herab. Das Haus, das Tito zuvor in der Stadt belegt hatte, mußte er aufgeben. Wegen der Gefahr deutscher Luftangriffe. Für seine Arbeit bekam er eine Baracke. Der Eingang hat statt einer Tür eine Brustwehr. Die Wände sind aus zwei Doppellagen Baumstämmen. Zwischen den Lagen ist Sand einen halben Meter hoch eingefüllt. Auf einem Tisch stehen mehrere Feldfernsprecher, eine Funkapparatur und zwei Schreibmaschinen. In dem anderen Raum sind sechs Feldbetten aufgebaut. In den Regalen reihen sich Aktenordner und Kartons. In den Räumen sind Mäntel, Mützen, Karten, Geschirr verteilt. Eine Reihe von Panzerlampen gibt in der Dunkelheit notdürftig Licht.1

      In den beiden Baracken trifft Tito sich oft mit seinem Stab. Bei Luftangriffen ziehen sie sich in die Höhle zurück. Das Baracken-Höhlen-Provisorium ist das Hauptquartier des Oberkommandos der Volksbefreiungsarmee und des Politbüros der KPJ. Unmittelbar davor stehen drei mit Maschinenpistolen bewaffnete Wachposten, zwei weitere unterhalb im Tal bei den Truppenunterkünften. Von der Veranda reicht der Blick über ganz Drvar, das Unactal und die Hügellandschaft.

      Noch am Abend geht ein Anruf der 6. Proletarischen Brigade der Tito-Partisanen beim diensthabenden Offizier in Drvar ein. Der Anrufer erklärt, es sei auf dem Hilfsflugplatz in Bihaæ, 80 Kilometer nordwestlich von Drvar, eine größere Zahl deutscher Flugzeuge gelandet. Der Offizier erhält den Auftrag, alle Dienststellen in Drvar zu verständigen, daß am nächsten Tag mit einer stärkeren Bombardierung des Städtchens zu rechnen sei. Die Zivilbevölkerung soll noch vor Morgengrauen den Ort verlassen und sich in den Unterständen in der Umgebung in Sicherheit bringen. Einige Stellen erreicht die Nachricht, andere nicht. Der diensthabende Offizier in Drvar versäumt es, die Nachricht an Tito und den Obersten Stab weiterzugeben. Mit einem deutschen Luftlandeunternehmen rechnet in der Höhle bis zuletzt niemand.2

      Die Nacht ist ruhig. Tito, sein engster Kreis, seine Gäste haben nichts für nächtelange Sauforgien übrig. Disziplin zählt mehr als alles andere, der Ernstfall kam schon oft ohne Vorwarnung. An diesem Morgen des 25. Mai 1944, direkt bei Tagesanbruch, ist er wieder da.

      Tito wird früh geweckt, er bekommt alles von Beginn an mit. „Am frühen Morgen des 25. Mai weckte mich mein Begleiter, der sich auf Posten befand und meldete mir die Beobachtung einiger Flugzeuge über dem Dinarischen Gebirge.“ So die Worte des Partisanenführers, wie er den Beginn des deutschen Überfalls erlebte, der Operation „Rösselsprung“. Es war das Jahr 1974, als Tito einer Delegation aus der Stadt Drvar auf deren Bitte seine Erinnerungen an den 25. Mai 1944 schilderte. Am 1. Juni 1974 erschienen sie in der jugoslawischen Tageszeitung Borba (deutsch: „Der Kampf“), der Parteizeitung der KPJ. Der Warn- und Beobachtungsdienst der Partisanen hat dem Obersten Stab kurz vor halb sieben Uhr morgens den Anflug der deutschen Bomber gemeldet. Die Nachricht macht auch in der Stadt die Runde.

      Tito tritt aus der Baracke auf die Veranda. „Durch das Fernglas erkannte ich einige sehr schnelle Flugzeuge, ich glaube, es waren Focke-Wulf. Mir war sofort etwas verdächtig. Ich fragte mich, warum sie dort über den Dinariden fliegen. Es sah so aus, als wollten sie die Ankunft der Flugzeuge unserer Verbündeten verhindern, die uns häufig Hilfe brachten: etwas Nahrung, Waffen und so weiter. Denn erst 1944 begannen die westlichen Verbündeten, uns mit Flugzeugen Hilfe zu schicken, und danach begannen auch die sowjetischen Waffenlieferungen.“

      Durch den Talkessel dröhnt Flugzeuglärm. Bomben detonieren, Maschinengewehre rattern aus der Luft, Flugmotoren jaulen. Die Deutschen, die über Drvar in der Luft sind, wollen keinen britischen Nachschub behindern. Sie haben Größeres vor.

      4. Kriegsberichter auf Feindflug

      Drvar, 6.30 Uhr. Zwei „Würger“, Focke-Wulf-Jäger Fw 190 mit Bordkanonen, gefolgt von 15 Ju 87, einmotorigen Junkers-Kampfflugzeugen, die auf den Erd- und Sturzkampf spezialisiert sind, greifen Ziele in der Stadt und vermeintliche Flugabwehrstellungen an. Mit im Anflug sind italienische Caprioni Ca 314 und Fiat Cr 42 sowie deutsche Heinkel He 46. Bomben fallen, MGs rattern. Gegenwehr vom Boden kommt kaum. Die Jäger zerstören die Funkstation des Obersten Stabes und unterbrechen die Telefonverbindungen. Nur die zum 5. Bosnischen Korps und zur 1. Proletarischen Division bleiben intakt. Aus dem Tal quillen Wolken von Staub und Rauch gen Himmel. Im 30 Kilometer entfernten Bosnisch Petrovac (Bosanski Petrovac) zerstören weitere deutsche Bomber den von den Aufständischen gehaltenen Flugplatz. Die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ riegelt unterdessen - unbemerkt von der alliierten Luftaufklärung - alle Verbindungswege nach Drvar ab.

      Noch bevor die Bombardements beendet sind, taucht über der Stadt gegen 7.00 Uhr die erste Welle Ju 52-Maschinen auf. In 1.700 Meter Höhe überfliegen die dreimotorigen Junkers-Frachtflugzeuge den vor Drvar liegenden Höhenzug. Dann gehen sie mit gedrosseltem Motor auf eine Absprunghöhe von 120 bis 150 Meter hinab. An Bord: Soldaten des SS-Fallschirmjäger-Bataillons 500. Ihr Auftrag: Marschall Tito schnappen.

      Der Ablauf ist durchstudiert: Absprung, Landung, den Schirm lösen, die abgeworfenen Waffen aufnehmen, orientieren und sammeln an den vorbezeichneten Treffpunkten. Soweit der Plan. Die Fallschirmspringer sind seit 3.30 Uhr früh wach. Um 4.30 Uhr standen sie in der Dunkelheit gefechtsbereit auf dem Flugplatz Großbetschkerek (Zrenjanin) in der serbischen Wojwodina. Die Ju 52 des Transportgeschwaders 4 waren auf der Startbahn hintereinander gereiht. Kommandeur Kurt Rybka sagte noch letzte anspornende Worte. Die SS-Männer sangen das Fallschirmjägerlied: „Rot scheint die Sonne, fertig gemacht. Wer weiß, ob sie morgen für uns auch noch lacht. Werft an die Motoren, schiebt Vollgas hinein. Startet los, flieget ab, heute geht es zum Feind. An die Maschinen, an die Maschinen. Kamerad, da gibt es kein zurück. Fern im Osten stehen dunkle Wolken. Komm' mit und zage nicht, komm' mit.“ Dann gingen sie an Bord. Um 4.50 Uhr hoben die Maschinen ab. Zwei Stunden ging der Flug gen Südwesten.

      Zur „Rösselsprung“-Truppe gehören nicht weniger als 13 deutsche „Berichter“, wie Reporter damals genannt wurden. Die deutsche Propaganda verspricht sich von der Operation einen ähnlichen Coup wie vom Unternehmen „Eiche“, der Befreiungsaktion für den gestürzten italienischen Duce Benito Mussolini am 12. September 1943 im Gebirgsmassiv Gran Sasso in den Abruzzen. Acht der 13 Reporter kommen vom Luftwaffe-Kriegsberichter-Zug 19, einer vom Luftwaffe-Kriegsberichter-Zug 11, vier sind von der SS-PK-Standarte, die als Propagandakompanie dem Armeeoberkommando untersteht und für das Propagandaministerium Kriegsberichte erstellt. Aus dem 19. Zug begleiten nur die Leutnants Viktor Schuller und Hans Jochen Karnath mit Gleitern die Truppe in den Bodenkampf, Karnath als Fotograf, Schuller als Wortreporter. Die anderen sechs - darunter der Wortberichter Leutnant Dr. Heinz Schwitzke und der Fotograf Leutnant Krempl an Bord einer Caproni Ca 314 - bleiben an Bord der Maschinen. Krempl, „kehrte vom Feindflug nicht zurück“, heißt es später in den Einsatzberichten. Die Leutnants Mücke - als Reporter - und Borgstädt - als Wochenschau-Kameramann - sind an Bord eines Ju 87-Sturzkampfbombers, Feldwebel Brieke fotografiert aus einer Heinkel He 46, Unteroffizier Eichler kommentiert für das Radio aus einer Dornier Do 17. Zwei Reporter aus der SS-PK-Standarte, der Fotograf Adolf Kunzmann und der Wortberichter Adalbert Callewaert, springen mit den Fallschirmjägern ab. Zwei weitere, der Fotograf Walter Henisch und der Reporter Fritz Blume, landen mit Gleitseglern. Auch Wilhelm Baitz, ein Zeichner von Zug 11, sitzt in einem der Segler.3

      Kriegsberichter Schwitzke, der das Unternehmen nur aus der Luft begleitet, schreibt: „Nach festgesetztem Minutenprogramm waren wir mit den Verbänden heute in der ersten Frühe sozusagen über der Hauptstadt des Bandenreiches, die sich noch schläfrig in den rosigen Strahlen der Morgensonne dehnte.“ Schwitzke läßt in seiner Militärprosa „Kampf- und Schlachtflieger“ sich hinabstürzen und hinaufwinden, „wie Mückenschwärme“ tanzend. „Aus dem Tal dampfte in riesigen Wolken Staub und Qualm herauf, hinter dessen dunklem Vorhang die Feuer glimmen.“ In der letzten Angriffswelle auf Drvar fliegt Schwitzke bei den Kampfbombern mit, die „warfen unsere Bomben in die schmale Gebäudereihe