F. Scott Fitzgerald

Zärtlich ist die Nacht


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      – Heute die Blumen und die Wolken ...

      – Der Krieg ist zu Ende, und ich wußte kaum, daß Krieg war ...

      – Wie gut Sie gewesen sind! Sie müssen sehr weise sein hinter Ihrem Gesicht einer weißen Katze; allerdings sehen Sie auf dem Bild, das mir Doktor Gregory gab, nicht so aus ...

      – Heute bin ich nach Zürich gefahren, ein merkwürdiges Gefühl, wieder mal eine Stadt zu sehen.

      – Heute waren wir in Bern, es war so hübsch mit den Uhren.

      – Heute sind wir so hoch hinaufgekraxelt, daß wir Asphodill und Edelweiß gefunden haben ...

      Danach kamen die Briefe seltener, aber er beantwortete sie alle. In einem hieß es:

      Ich wünschte, jemand würde sich in mich verlieben, wie es die Jungen vor Jahren taten, bevor ich krank war. Doch ich glaube, es werden noch Jahre vergehen, ehe ich an so etwas denken kann.

      Aber als Dicks Antwort sich aus irgendeinem Grunde verzögerte, kam ein heftiger Ausbruch von Besorgnis – Besorgnis einer Liebenden: »Vielleicht habe ich Sie gelangweilt« und »Ich fürchte, ich bin zu weit gegangen« und »Nachts habe ich immerzu gedacht, Sie wären krank.«

      Tatsächlich war Dick an Influenza erkrankt. Als er genesen war, fiel alles außer der rein formalen Seite seiner Korrespondenz der darauffolgenden Mattigkeit zum Opfer, und kurz danach wurde die Erinnerung an die Briefschreiberin in den Hintergrund gedrängt durch die lebendige Gegenwart einer Telefonistin aus Wisconsin im Hauptquartier von Bar-sur-Aube. Sie hatte rote Lippen wie ein Gesicht auf einem Plakat und war in den Offiziersmessen obszönerweise unter dem Namen »das Schaltbrett« bekannt.

      Franz kam, durchdrungen von seiner eigenen Wichtigkeit, ins Büro zurück. Dick dachte, er würde wahrscheinlich ein guter Kliniker werden, denn der klangvolle oder abgerissene Tonfall, mit dem er Pflegepersonal wie auch Patienten in Zucht hielt, entsprang nicht seinem Nervensystem, sondern einer ungeheuren, aber harmlosen Eitelkeit. Seine wirklichen Gefühle waren geordneter, und er behielt sie für sich.

      »Nun zu dem Mädchen, Dick«, sagte er. »Natürlich will ich etwas über dich hören und dir von mir erzählen, aber zuerst zu dem Mädchen, weil ich schon so lange darauf gewartet habe, dir von ihr zu berichten.«

      Er suchte und fand in einer Kartothek ein Bündel Papiere, aber nachdem er sie schnell durchgesehen hatte, fand er, daß sie ihm im Wege waren, und legte sie auf seinen Schreibtisch. Statt dessen erzählte er Dick die Geschichte.

      Vor anderthalb Jahren etwa führte Doktor Dohmler einen etwas verworrenen Briefwechsel mit einem amerikanischen Herrn, der in Lausanne lebte, einem Herrn Devereux Warren von der Familie Warren aus Chicago. Eine Zusammenkunft wurde vereinbart, und eines Tages traf Herr Warren mit seiner Tochter Nicole, einem Mädchen von sechzehn Jahren, in der Klinik ein. Das Mädchen war offensichtlich krank, und die Krankenschwester, die mitgekommen war, machte mit ihr einen Spaziergang durch den Park, während Herr Warren den Arzt konsultierte.

      Warren war ein auffallend hübscher Mann, dem man seine vierzig Jahre nicht ansah. Er war in jeder Hinsicht ein guter amerikanischer Typ: groß, stattlich, gut gewachsen – »un homme très chic«, wie Doktor Dohmler ihn Franz beschrieb. Das Weiße seiner grauen Augen war von roten Äderchen durchzogen, vom Rudern auf dem Genfer See, und man sah seinem ganzen Gehaben an, daß er die Genüsse dieser Welt zu schätzen wußte. Die Unterhaltung wurde auf deutsch geführt, denn es stellte sich heraus, daß er in Göttingen zur Schule gegangen war. Er war nervös, und augenscheinlich ging ihm seine Mission sehr nahe.

      »Doktor Dohmler, meine Tochter ist gemütskrank. Ich habe unzählige Spezialisten befragt und Krankenschwestern für sie gehalten, und sie hat zwei Liegekuren gemacht, aber die Sache ist mir über den Kopf gewachsen, und man hat mir dringend empfohlen, mich an Sie zu wenden.«

      »Sehr schön«, sagte Doktor Dohmler. »Wie wäre es, wenn Sie mir alles von Anfang an erzählen würden.«

      »Einen Anfang gibt es gar nicht, zumindest hat es, soviel ich weiß, in der Familie auf beiden Seiten keine Geisteskrankheit gegeben. Nicoles Mutter starb, als das Kind elf Jahre alt war, und ich bin sozusagen Vater und Mutter in einer Person für sie gewesen, mit Hilfe von Erzieherinnen – Vater und Mutter in einer Person.«

      Er war sehr bewegt, als er das sagte. Doktor Dohmler sah, daß er Tränen in den Augen hatte, und bemerkte zum erstenmal, daß sein Atem nach Whisky roch.

      »Als Kind war sie ein entzückendes kleines Ding – jeder war hingerissen von ihr, jeder, der mit ihr in Berührung kam. Sie war schlank wie eine Gerte und vom Morgen bis zum Abend glücklich. Mit Vorliebe las sie oder zeichnete oder tanzte oder spielte Klavier – sie konnte alles mögliche. Oft hörte ich meine Frau sagen, sie sei das einzige von unseren Kindern, das niemals in der Nacht geschrien habe. Ich habe noch eine ältere Tochter, und da war noch ein Junge, der gestorben ist, aber Nicole war – Nicole war – Nicole –«

      Er hielt inne, und Doktor Dohmler half ihm.

      »Sie war ein ganz und gar normales, strahlendes, glückliches Kind.«

      »Ganz und gar.«

      Doktor Dohmler wartete. Herr Warren schüttelte den Kopf, stieß einen tiefen Seufzer aus, streifte Doktor Dohmler mit einem schnellen Blick und sah dann wieder zu Boden.

      »Ungefähr vor acht Monaten, vielleicht waren es auch sechs oder vielleicht zehn – ich versuche, es mir zu vergegenwärtigen, aber ich kann mich nicht genau entsinnen, wo wir waren, als sie begann, komische Dinge zu tun – verrückte Dinge. Ihre Schwester war der erste Mensch, der mir etwas darüber sagte – denn Nicole war mir gegenüber immer die gleiche«, fügte er ziemlich hastig hinzu, so als hätte jemand behauptet, er trüge die Schuld, »– dasselbe anschmiegsame kleine Mädchen. Die erste Sache betraf einen Kammerdiener.«

      »Ganz recht«, sagte Doktor Dohmler und nickte mit seinem ehrwürdigen Haupt, als wenn er, wie Sherlock Holmes, erwartet hätte, daß ein Kammerdiener, und zwar ausgerechnet ein Kammerdiener, in diesem Moment in Erscheinung treten würde.

      »Ich hatte einen Kammerdiener, der seit Jahren bei mir war – übrigens ein Schweizer.« Er blickte Doktor Dohmler in Erwartung seines patriotischen Beifalls an. »Sie bildete sich in bezug auf ihn etwas Verrücktes ein. Sie meinte, er stelle ihr nach – natürlich glaubte ich es ihr damals und entließ ihn, aber jetzt weiß ich, daß alles Unsinn war.«

      »Was behauptete sie, daß er getan haben sollte?«

      »Damit fing es schon an – die Ärzte konnten nichts Bestimmtes aus ihr herauskriegen. Sie blickte sie an, als müßten sie es eigentlich wissen, was er getan hatte. Sicher war nur, daß sie meinte, er habe ihr irgendwelche unschicklichen Anträge gemacht – darüber ließ sie uns nicht im Zweifel.«

      »Ich verstehe.«

      »Natürlich habe ich über Frauen gelesen, die sich einsam fühlen und sich einbilden, es sei ein Mann unter ihrem Bett und dergleichen, aber wie sollte Nicole auf so etwas kommen? Sie konnte so viele junge Männer haben, wie sie wollte. Wir waren in Lake Forest, einer Sommerfrische bei Chicago, wo wir ein Grundstück haben – und sie war den ganzen Tag draußen und spielte mit den Jungen Golf oder Tennis. Und einige von ihnen waren ziemlich hinter ihr her.«

      Die ganze Zeit über, während Warren auf den alten, vertrockneten Knaben, den Doktor Dohmler, einredete, war ein Teil von dessen Hirn in Intervallen mit Chicago beschäftigt. Einstmals, in seiner Jugend, hätte er als Assistent und Dozent an die Universität Chicago gehen können; vielleicht wäre er dort reich geworden und hätte ein eigenes Sanatorium besessen, statt nur kleiner Teilhaber an einer Klinik zu sein. Als er sich das, was er sein eigenes mangelhaftes Wissen nannte, über das ganze Gebiet, über all die Weizenfelder und die endlosen Prärien verteilt dachte, hatte er sich dagegen entschieden. Aber er hatte in jenen Tagen viel über Chicago gelesen, über die großen feudalen Familien, die Armours, Palmers, Fields, Cranes, Warrens, Swifts, McCormicks und