Dieter Steichler

Der Konzeptionist


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und die Konzentration. Das kann man nicht weltweit verbieten. Auch, wenn sich viele eine Prohibition wünschten.“

      Alle nickten.

      Hagenbächli toastete Textor zu:

      “Ich finde es einfach eine super Idee das Rauchen als Sportart zu betrachten und mit lokalen Wettkämpfen zu beginnen. Ich bin sehr gespannt, was sich daraus entwickeln wird. Ich höre schon die Protestler marschieren.“

      „Das ist erwünscht, denn dadurch werden die Medien auf >SmoKing< aufmerksam, das öffentliche Interesse steigt, die Massen werden mobilisiert. Denn jede Berichterstattung ist Meinungsbildung, multipliziert die Meinung. Der eine liest sie, der andere hört oder sieht sie, alle geben sie weiter. Somit ist selbst jede Schlagzeile gegen >SmoKing< besser als gar keine, besonders bei einem Produkt, das schon einen sehr schlechten Ruf hat,“ erwiderte der Konzeptionist.

      „Ah, ja, ich verstehe, minus mal minus gibt plus. Darauf noch eine Runde, oder?!“

      Welschhead schaute fragend und winkte dem Barkeeper, ohne die Reaktionen der anderen abzuwarten. Ganz belanglos fügte der Anwalt hinzu:

      „Schon gehört, seit neuestem gibt es günstigere Hypotheken für Nichtraucher.“

      Textor meinte nur:

      „Irgendwie logisch...“

      Unvermittelt wandte sich Hagenbächli direkt an Textor:

      „Erzählen Sie doch mal, wie Sie auf dies konzeptionelle Grundidee gekommen sind, das ist doch kein Geheimnis, oder?!“

      Textor rollte bejahend die Augen, hegte aber nicht die Absicht, sich konkret zu äußern, sondern plauderte vor sich hin:

      „So viel ich über mich weiß, habe ich schon immer versucht, das Denken und Handeln anderer Menschen zu verstehen, nachzuempfinden oder gar vorauszuahnen, wie es werden könnte, wie ich es gern hätte, ohne dass man die Manipulation merken würde. Es bereitet mir einfach Spaß, vom Leben vorgefertigte Figuren, ich meine, geprägte Typen, konzeptionell einzufangen, zu steuern. Und wenn es dann wirklich so geschehen konnte, wenigstens zum Teil, dann freute und freue ich mich riesig. “

      „Und weiter?“

      Die anderen drängten Textor. Er wurde nun doch konkret:

      „Im vorliegenden Fall hatte und habe ich eine Vision mit dem Ziel, Zigarettenraucher als bedrohte Art, als bedrohte Spezies darzustellen, die vor Übergriffen, ergo Dezimierung geschützt werden muss. Dazu war es notwendig, den mächtigen Angreifer aufzubauen, soll heißen zu finanzieren.“

      Auf einmal redete man über eine mögliche Anschub-Finanzierung und darüber, dass man damit alles erreichen kann, wenn die Konzeption gut und die Summe hoch genug ist. Denn mit kleinen Steinen kann man vielleicht eine Lawine auslösen, aber kein negatives Image in ein positives verwandeln.

      Daraufhin sagte Textor bedächtig:

      „Kaum ein mir geläufiger Diktator kam ohne Anschub-Finanzierung an die Macht. Es sei denn, er wurde in eine Diktatoren-Dynastie hinein geboren und war schon als Kind für die Nachfolge bestimmt worden.“

      Noch während Hagenbächli dolmetschte, sahen die beiden anderen plötzlich den Konzeptionisten an, als hätte er ein Unwort von sich gegeben: Diktator!

      Textor begründete seine Überlegungen sofort:

      „Nur wenn sich die konzeptionellen Ziele überhaupt nicht durchsetzen ließen würden, käme sozusagen als letzte Möglichkeit ein Diktator in Frage, einer der die Raucher gnadenlos verfolgte, damit diese Menschen irgendwann eine Art nationalen, vielleicht sogar internationalen Verfolgungsschutz erhalten würden, eine weltweite Raucher-Sicherheit.“

      Jetzt hatten sie verstanden, jetzt fingen sie wieder Feuer. Hagenbächli nickte zustimmend. Textor fuhr fort:

      „Dabei dürfen wir uns nicht scheuen, wie ein Schäfer zu handeln, der auf der Flucht vor den Wölfen ist. Er muss, wenn es nötig wird, einen Teil der Herde opfern, um die Besten zu retten, bis er einen Pferch erreicht hat, oder?!“

      Hagenbächli übersetzte dies dem Tobacco-Präsidenten. Der erwiderte sinngemäß, man müsse Raucher unangreifbar machen, in aller Welt. Tatsächlich so wie eine bedrohte Rasse. Wenn es sein müsse, sollten wir nicht davor zurückschrecken, ein Exempel zu statuieren, zu lancieren, das große Opfer erfordere.

      Hagenbächli schloss an, man solle dazu den Gegner, zum Täter aufzuhetzen, anzustacheln, zu später unentschuldbarem Handeln zu bringen, damit er für alle Zeiten am Pranger der Weltgeschichte stünde.

      „Eine letzte Runde, okay?!“

      Wie zuvor wartete der Tobacco-Präsident keine Reaktion ab und orderte sofort.

      Die drei hatten sich unmerklich in Rage geredet. Nun sahen sie sich irgendwie betroffen an. Mit glühenden Köpfen. Welschhead beschwichtigte:

      „Sure, the sky is the limit.“

      Hagenbächli meinte nur:

      „Ganz sicher ist, dass wir von Anfang an mit sehr massiven Demonstrationen rechnen müssen, oder?!“

      Er sah fragend hoch. Textor konterte:

      „Ich werde in die Reihen des Gegners bezahlte Leute einschleusen, werde die Gegenbewegung damit unterwandern lassen und dabei so steuern, dass genug Randale entsteht. Denn ganz friedliche Proteste können wir auch nicht gebrauchen. Gewalt muss schon vorherrschen.“

      Textor leerte sein Glas und fuhr fort: „ Wenn es bei jedem Protest gegen unsere Operation >SmoKing< einige Verletzte gibt, wird das die Berichterstattung optimieren. Negative Schlagzeilen verkaufen sich eben besser. Und irgendwann wird sich das Blatt wenden. Dann wird sich die öffentliche Meinung auf die Seite der unterdrückten, verfolgten Raucher schlagen."

      Oder auch nicht, dachte Hagenbächli und sagte: „Hoffentlich!“, während Welschhead etwas murmelte, das sich anhörte wie:

      „Let him do it“.

      Er hatte wohl großes Vertrauen zu Textor gefasst.

      Am nächsten Tag war der erste November, aber überhaupt kein Novemberwetter. Ein Hoch über Mitteleuropa ließ auch in der Zentralschweiz die Sonne scheinen. Gut gelaunt nahm Textor bei einem Kanzleitreffen weitere Glückwünsche entgegen. Hagenbächli hatte schon im Vorgriff ein Team zusammengestellt, das nun sogleich unter seiner Führung loslegen konnte: Zwei adrette, junge Mitarbeiterinnen waren für die Koordination mit dem verbündeten Kosmetikkonzerns und seiner Public Relations-Abteilung zuständig und mussten kontrollieren, ob die Konzeption planmäßig realisiert wurde. Sie hatten gerade ihre Ausbildungen zur Rechtsgehilfin abgeschlossen und nur von Paragrafen eine Ahnung. Hagenbächli schien das gut so. Denn für diese Arbeit konnte er keine Leute gebrauchen, die sich womöglich Gedanken über die ethischen Aspekte der Kampagne machten.

      Textors konzeptioneller Part war bis auf ein paar Kleinigkeiten erledigt. In Gedanken widmete er sich schon seiner Rolle als Manipulator der gegnerischen Demonstranten, damit vom Anfang richtig Dampf gemacht wurde. Die Rolle gefiel ihm, obwohl er eigentlich Gewalt hasste. Aber er war ein zu guter PR-Stratege, um nicht zu wissen, dass sie notwendig war. Er wollte zwar noch einmal mit Welschhead darüber diskutieren, aber der war schon zurück in die Staaten geflogen, so dass auch Textor nichts mehr in Zürich hielt.

      Die Kampagne >SmoKing< wurde ein halbes Jahr später gestartet, großformatig beworben und durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit, also durch Beeinflussung der Meinungsbildner sprich Medien, in viele Munde gebracht – vor allem gegen >SmoKing<, aber das war ja gewollt, Hauptsache Berichterstattung. Immer gemäß der Strategie: Ein Meister der Zigarettenraucher wird sich schon finden, doch als es den ersten gab, fand Textor den Namen gar nicht so lustig: Ernst Totlacher hieß der erste Frankfurter Stadtteilmeister, der dann auch Hessenmeister wurde. Er kam aus Frankfurt-Höchst, wo es mit und ohne Wind fast täglich nach Chemie stank. Textor hoffte nur, dass dieser Name nicht überregional weiterkommen würde, denn so ein Name war marketingmäßig nicht gut zu gebrauchen. Einen Allerweltsnamen wie Horst