Meine ständige Flucht vor Roberts häufigen Prügel-Attacken führte bald zur Trennung. Die Scheidung war das Ergebnis nach 2 jähriger Ehe.
Aber schon nach einem Jahr kehrte ich erneut zu ihm zurück. Weil ich unser zweites Kind erwartete, heirateten wir erneut. Durch die Geburt unseres Sohnes Rene vergrößerte sich unsere Familie, aber damit auch gleichzeitig meine Probleme.
ungeschickt
Wenn ich geglaubt hatte, Robert sei mein erster Besucher, so hatte ich mich gründlich geirrt. Am Tage der Entbindung ließ er sich nicht blicken. Allerdings war ich auch zu erschöpft, um mir darüber ernsthafte Gedanken zu machen. Im Grunde war ich froh, mich erholen und ausschlafen zu können, ohne belästigt zu werden.
Doch auch das war ein Irrtum.
In dem Krankenzimmer ging es rein und raus wie in einem Taubenschlag. Weder viel zu schlafen noch wirklich von den Strapazen zu erholen, war in dem 4-Bett-Zimmer möglich.
Babygeschrei, laute Gespräche, Geklapper und Gepolter, waren unglaublich störend. Durch Türen klappen, rein und raus, entstand zusätzlicher Rummel, es ging zu wie in einem Taubenschlag.
Entweder eine meiner Bettnachbarinnen bekam ihr Baby zum Stillen gebracht, oder Besucher der anderen Wöchnerinnen strömten ins Zimmer und störten die Erholung durch lachen und reden. Aber auch die Schwestern, die Medikamente brachten oder den Blutdruck und die Temperatur messen mussten, brachten Unruhe mit sich. So liebevoll und rücksichtsvoll die Ordenschwestern auch waren, ihr Gewurschtel und Geraschel störte mich. Von erholsamer Ruhe war nichts zu merken.
Hinzu kam noch, dass mein Baby wegen zu geringem Gewicht im Wärmebettchen bleiben musste, und ich deshalb nicht Stillen durfte. Allerdings zeigte mir eine Krankenschwester die Handhabung einer Milchpumpe, denn meine Milchproduktion funktionierte sehr gut. Der Milchfluss lief so heftig, dass ich oft abpumpen musste, weil die Kleine die Muttermilch auf jeden Fall bekommen sollte. Damit hatte ich eine langwierige, nervende Dauerbeschäftigung.
Als es am späten Abend endlich ruhig wurde, und die Nachtschwester ihre Medikamenten- und Kontrollrunde beendet hatte, schlief ich sehr schnell, total erschöpft ein.
Selbst die Frühstückszeit verschlief ich, und wurde erst sanft zum Betten machen, gegen zehn Uhr geweckt. Das Tablett mit dem Frühstück stand noch auf meinem Nachttisch, und ich fiel hungrig darüber her. Aber leider war kein Kaffee dabei, sondern Tee und der war auch noch kalt. Kalter Hagebuttentee, igitt. Ich griff zu der Flasche Wasser. Das tat gut. Zum ersten Mal fand ich Geschmack an Mineralwasser.
Als erste erschien meine Mutter, pünktlich zu Beginn der sonntäglichen Besuchszeit um 15 Uhr.
„Der Vati ist draußen, er kommt gleich mal kurz rein. Du weißt ja, dass er die Krankenhaus-Luft nicht verträgt“, entschuldigte sie ihr alleiniges Erscheinen.
„Wieso, ist die Luft hier dünner als draußen?“, konnte ich mir nicht verkneifen meinen Unmut zu zeigen.
„Ach, Kind, sei doch nicht so negativ. Hab doch mal ein bisschen Verständnis für ihn. Es ist doch schon mal ein Zeichen guten Willens, dass er überhaupt mitgekommen ist. Also sei du jetzt nicht stur“, kritisierte sie mich.
Im Stillen musste ich ihr recht geben. Eigentlich hatte ich gar nicht mit dem Besuch meines Stiefvaters gerechnet. Dass er nun trotzdem mitkam, war für sein ungehobeltes Wesen, und sein sonst so unhöfliches Verhalten, schon mehr als verwunderlich. Andrerseits war ich kotzsauer auf ihn, denn durch ihn drohte mir und meinem Baby, zukünftig ohne Dach über dem Kopf zu sein. Wie konnte meine Mutter da ausgerechnet von mir Verständnis und Nachsicht erwarten?
Ich verzichtete auf weitere Diskussionen über ein unerquickliches Thema, und berichtete den Ablauf der Geburt.
„So schnell ging das? Was hast du ein Glück gehabt! Zu dem Zeitpunkt war ich ja nicht mal bei den Woods, da war das Kind schon da? Donnerwetter“, staunte sie.
„Hab ich dir doch schon vor Monaten gesagt, solche Kleinigkeiten mach ich im Handumdrehen“, prahlte ich voller Stolz.
Robert erschien in Begleitung seiner Eltern, was mich echt erstaunte.
Familie Woods gute Herkunft zeugte von Anstand und gutem Benehmen, das musste ich anerkennend zur Kenntnis nehmen.
Als Robert mich mit einem Kuss begrüßte, ertrank ich in seiner ekelhaften Alkohol- Fahne, die einen Elefanten hätte umwerfen können.
„Puh, bist du noch von gestern besoffen, oder hast du noch gar nicht aufgehört zu saufen? Ist ja widerlich!“, zuckte ich zurück, und schüttelte mich.
„Das stimmt, es ist wirklich unmöglich, er riecht wie ein Schnapsfass. Furchtbar. Deshalb ist es gut, dass er bald zum Bund geht. Da wird man ihm mal zeigen, wo er seine Grenzen zu ziehen hat. Guten Tag Ruth“, stimmte Roberts Mutter mir zu. Ein Wunder, die Vornehme stellte sich auf meine Seite.
Sein Vater nickte nur, äußerte sich nicht dazu, reichte mir die Hand, und sagte lachend: „Guten Tag und meinen herzlichen Glückwunsch. Ein Mädchen also, das ist schön. Wir hatten bisher nur Jungs in der Familie. Können wir denn die Kleine gleich mal sehen? Wie heißt sie denn überhaupt?“
Herr Woods war der Erste der nach dem Namen fragte.
„Ramona“, gab ich erfreut Auskunft.
„Wie bitte? Ramona? Das gefällt mir aber gar nicht. Ich finde Bärbel oder Barbara viel schöner. Ich hätte immer gerne eine Bärbel gehabt“, kritisierte Frau Woods meine Entscheidung mit missbilligender Miene.
„Aber ich nicht!“, widersprach ich mit Nachdruck. „Wir wollen dass unser Kind einen Namen mit dem gleichen Anfangsbuchstaben hat wie wir auch. Und Bärbel fängt bekanntlich nicht mit R an“, verteidigte ich energisch mein Recht auf die Namensgebung.
„Ramona ist doch ein schöner Name“, wagte meine Mutter einzuwenden, was ihr einen bösen Blick der Kritikerin einbrachte.
Beleidigtes Schweigen von der Gnädigen, und die energische, kämpferische Haltung meiner Mutter, war das Ergebnis des kurzen Disputs.
Der Einwand meiner Mutter, und dazu der deutlich sichtbare soziale Unterschied dieser beiden Frauen, würde kaum zu einer Freundschaft führen können, das erahnte ich in diesem Moment schon.
So unterschiedlich die Herkunft unserer Mütter war, so grundverschieden waren die beiden Frauen auch äußerlich. Von der Körpergröße fast gleich, unterschieden sie sich sehr krass in ihrer Erscheinung.
Meine Mutter war klein, mit der groben, stabilen Figur einer einfachen Arbeiterin. Ihre Hände waren derb und fleischig, und von der körnigen Arbeiter-Handwaschpaste rau mit brüchigen, spröden Fingernägeln. In den Hautporen blieb immer restlicher dunkler Schmier zurück, der sich von dem öligen, schmutzigen Schleiferschmiere in der rissigen Haut festsetzte. Die dunkle, braun-gelbe Färbung auf der Innenseite des rechten Zeige-und Mittelfingers, verrieten die starke Raucherin filterloser Zigaretten.
Auch ihre gelblich-graue Haut mit der strengen Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen, zeugte von ständigem Aufenthalt in sauerstoffarmer, stickiger Fabrikluft. Ihr brünettes, glanzloses, stumpfes Haar hatte weder Form noch Schnitt, und der Rest einer alten Dauerwelle, ließ auf seltene fachliche Pflege schließen.
Die billige, geschmacklose Kleidung rundete das Bild der einfachen Lebensweise ab.
Frau Woods wirkte dagegen wie eine feine Porzellan-Puppe. Mit ihrer vornehmen Kaffeehaus-Blässe in dem von teueren Cremes gepflegtem Gesicht, sah ihre helle Haut glatt und geschmeidig aus. Obwohl über dem unproportional kleinen Mund, ihre große Hakennase das Gesicht dominierte, war die vornehme Dame zwar keine Schönheit, aber eine attraktive Erscheinung. Ihr kühler Blick aus den grau-grünen Augen war immer distanziert und wirkte hochnäsig und herablassend. Der gepflegten Blondine sah man deutlich die regelmäßige, fachgerechte Behandlung ihrer Kurzhaarfrisur an. Auch die zarten Hände mit den schönen langen, rosa lackierten Nägeln, ließen auf keinerlei Anstrengung sondern lediglich leichte Büroarbeit