Ruth Broucq

Leichte Beute


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verlassen hatte, konnte ich mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass meine Lieblingstante, mit gerade 45 Jahren, hatte sterben müssen. Es war das erste Mal, dass mir der Tod so nahe gekommen war. Immer wieder kamen mir die Tränen, lange konnte ich mich nicht beruhigen.

      Noch vor dem Einschlafen holte mich die reale Überlegung an mein eigenes Problem ein, dass ich mich wohl an Ämter und Wohlfahrtsverbände würde wenden müssen, um mit meinem Kind eine Unterkunft zu finden. Es war ein qualvoller Abend, bis ich endlich einschlief.

      Nach sieben Tagen durfte ich das Krankenhaus verlassen. Robert hatte sich seines Vaters Auto geliehen, um mich abzuholen.

      „Schön dass du endlich raus bist, Ruthchen. Nur Scheiße dass es noch hell ist. Ich bin so geil, es wird echt Zeit mal wieder zu ficken. Hoffentlich ist es bald dunkel genug, dass..“

      „Spinnst du?“ unterbrach ich ihn barsch. „Ich blute noch wie Sau, schließlich ist die Geburt erst eine Woche her. Ich darf noch nicht poppen, erst in sieben Wochen. Acht Wochen hat eine Frau nach einer Niederkunft Schonzeit. Spinner, denkst nur ans poppen.“, sagte ich verächtlich.

      „So ein Mist. Und was mach ich jetzt? In ein paar Tagen muss ich zum Bund. Dann bin ich erst einmal mindestens sechs Wochen weg. In der Grundausbildung gibt es keinen Heimaturlaub. Soll ich ständig wichsen? Wofür hab ich dich denn?“, brummte er sauer.

      „Das ist mir genau so egal, wie es dir egal ist, wo wir bleiben“, gab ich ihm Kontra. „Oder hast du dir mal die Mühe gemacht, dich für uns umzusehen? Schließlich ist Ramona auch dein Kind.“

      „Was kann ich dafür, dass du so Scheiß Eltern hast. Meine Alten würden mich nicht rauswerfen“, maulte er beleidigt.

      Ich lachte frustriert, als ich erklärte: „Kein Wunder, ein Kerl macht die Kinder auch nur, aber er bringt sie nicht mit nach Hause. Möchte nicht wissen, wie besonders deine Mutter reagierte, wenn du ihr dein Kind dalassen wolltest. Ohne Verantwortung, oder ne Beteiligung an der Arbeit, ist es leicht großspurig zu reden.“

      Mit der Ausrede, er müsse das Auto zurück geben, setzte Robert mich lediglich vor unserem Haus ab, und fuhr los ohne Angabe, wann ich ihn wiedersähe.

      Ich war froh nach Hause zu kommen, was ein seltsames, neues Gefühl für mich war, weil ich noch nie länger, als eine Nacht, woanders verbracht hatte.

      Aber es konnte auch an der friedvollen Stimmung, und der Nettigkeit meiner Familie liegen, die sich inzwischen so positiv gedreht hatte. Meine Mutter war plötzlich auf lockere, fröhliche Art redselig, der Alte machte ein freundliches Gesicht, und sogar meine Schwester erkundigte sich nach Ramonas Gewicht, und fragte mich über den Verlauf der Geburt aus. Nur meine Oma war normal wie immer. Ansonsten schienen alle um mein und Ramonas Wohl besorgt zu sein. Fast glaubte ich zu träumen, oder in der falschen Wohnung gelandet zu sein.

      Robert sah ich nur ganz kurz, er kam lediglich um sich zu verabschieden, bevor er den Zug nach Idar-Oberstein nehmen musste. Irgendwie berührte mich der Abschied gar nicht, es war mir egal. Zu sehr hatte er mich enttäuscht, weil er mir seinen Egoismus bewiesen hatte, mir klar geworden war, dass ich von ihm sowieso keine Hilfe zu erwarten hatte.

      Außer der täglichen Fahrt, zu der Klinik in die Nachbarstadt, um mein Abpumpergebnis abzuliefern, wurde nichts von mir verlangt. Ich konnte mich eine Woche lang erholen. Es gab keinerlei Anstrengungen, was mich zur Faulheit, und Vernachlässigung der wichtigen Wohnungssuche, verleitete.

      Dann wurde ich mit einer wundersamen Überraschung konfrontiert.

      „Wie ist es denn mit der Kleinen? Wann kannst du sie denn abholen?“, fragte meine Mutter eines Abends unvermittelt.

      „Wie abholen? Warum? Ich bin froh dass sie noch dableiben kann. Schließlich weiß ich noch nicht wohin“, reagierte ich erstaunt.

      „Unsinn, natürlich hier hin. Der Vati hat auch schon gefragt, wann die Kleine endlich nach Hause darf. Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, dass wir euch im Stich lassen? Blödsinn!“, sagte sie fest.

      Es verschlug mir die Sprache. Am liebsten hätte ich sie umarmt und gedrückt, aber ich ließ es, weil ich ihre Abneigung gegen derartige Gefühlsausbrüche zur Genüge kannte.

      Am nächsten Tag ging meine Mutter mit mir einkaufen. Sie kaufte die komplette Baby-Ausstattung, Kleidung, Windeln, sogar ein Babybettchen und den Kinderwagen. Auch Fläschchen und Nahrung, weil mein Milchfluss langsam versiegte. Ich war total sprachlos. Das war allerdings auch Rettung in letzter Sekunde, denn bereits am nächsten Tag offerierte man mir im Krankenhaus, dass Ramona abholbereit sei, ich möge am nächsten Tag Babykleidung mitbringen.

      „Morgen ist es endlich soweit? Dann nehme ich mir frei und komme mit“, freute sich meine Mutter, und strahlte übers ganze Gesicht.

      Ich konnte ihre Veränderung kaum glauben, denn sehr lange hatte ich sie nicht mehr lachen gesehen. Immer nur mit ernster Miene, die Zornesfalte zwischen den Augenbrauen zusammen gezogen, und kaum ansprechbar, hatte sie meist nur ablehnende, knappe Antworten gegeben, und nun diese offene, überschwängliche Freude? Unglaublich.

      Ich nahm es mit stiller Freude, aber auch mit Skepsis hin, hoffte, dass die fröhliche Stimmung im Hause lange anhalten werde.

      Sie rüttelte mich früh wach, warf mich fast aus dem Bett, dass mir die erwartungsvolle Vorfreude meiner Mutter, nun wirklich schon zu viel war, aber ich zwang mich zu guter Miene.

      Viel zu früh kamen wir in der Klinik an, sodass wir noch warten mussten. In das Säuglingszimmer durften wir nicht hinein, deshalb nahm die Schwester die Tasche mit der Babykleidung entgegen, und bat uns um Geduld. Nach fast einer Stunde kam sie zurück, und erging sich in langen Erklärungen bezüglich der Ernährung, und den Zeitabständen zwischen den Fütterungen.

      Endlich brachte eine andere Ordensschwester meine Tochter, legte sie sorgfältig in den mitgebrachten Kinderwagen, und wünschte uns zum Abschied alles Gute.

      Die lange Heimfahrt verschlief die kleine Ramona selig, bis wir nach fünfundvierzig Minuten endlich zu Hause ankamen. Dort wurden wir schon sehnsüchtig von meiner Oma erwartet, die ihre Urenkelin nun zum ersten Mal sah.

      Während ich mit dem Säugling umging, als mache ich das nicht zum ersten Mal, tat meine Mutter sich doch etwas schwer mit dem zierlichen Wesen.

      „Kann man denn so etwas verlernen, Mutti? Du hast uns doch auch gefüttert und gewickelt, das müsstest du doch eigentlich können“, flachste ich, und übernahm ganz selbstverständlich das Wickeln, weil meine Mutter sich etwas ungeschickt anstellte.

      Durch meine Furchtlosigkeit wuchs mein Selbstvertrauen.

      ungeduldig

      Die ersten drei Wochen nach Ramonas Einzug, in unsere Gemeinschaft, war ich voll mit der Gewöhnungsphase beschäftigt, wobei mir aber alle Familienmitglieder halfen. Jeder, selbst mein Stiefvater, kümmerte sich liebevoll um die Süße, deren Gesicht von Tag zu Tag glatter und dadurch hübscher wurde.

      Die Eifrigste jedoch war meine Oma, die nun jeden Tag aufkreuzte. Obwohl ich ihr für ihre tatkräftige Hilfe dankbar war, fand ich es dennoch übertrieben, dass sie die Kleine ständig auf dem Arm wiegte, mit ihr am Fenster stand, und einem Säugling erzählte, was sich da draußen bewegte. „Guck mal da, die Tante hat aber einen großen Hut auf dem Kopf, und der Onkel ist viel kleiner als die Tante, sonst würde er sich an dem riesigen Hut stoßen.“

      „Oma, das Kind kann doch noch gar nicht richtig sehen. Leg es bitte wieder hin“, mahnte ich sie, doch ergebnislos. Oma hatte nach langer Zeit des Alleinseins, endlich ein Opfer für ihre liebevolle Fürsorge gefunden. Und da ließ sie sich nicht von abbringen.

      Zwar war unser Mädchenzimmer etwas enger geworden, weil wir einen Sessel und unser kleines Tischchen in den Keller entsorgt, und somit Platz für das Kinderbettchen geschaffen hatten, aber dadurch war die Kleine nachts in meiner Nähe. Allerdings hatte meine Schwester das Vergnügen, sich um Ramona zu kümmern, wenn die nachts wach wurde und schrie. Denn ich schlief so tief und fest, dass mich