über Sinn und Unsinn, über Risiken und Gesetzesgrundlagen aufklären. Wenn du dann noch immer sicher bist, kannst du unterzeichnen und das Ding ist erledigt.« Er sah mich über den Rand seiner Lesebrille an.
»Einverstanden.« Ich räusperte mich, da ich plötzlich einen Kloß im Hals hatte.
Abigail
Noch ein wenig verschlafen schlurfte ich in die Küche. Es war schon zehn Uhr. Dieses Leben ohne geregelte Zeiten war eigentlich untypisch für mich, dennoch genoss ich es auf gewisse Weise nachts zu lesen und zu arbeiten. Mir gefiel es erstaunlicherweise. Aber diese Art zu leben würde auf Dauer nicht gesund sein. Um meine Batterien aufzutanken und meinen Körper nicht mit unnötigen Kohlehydraten zu belasten, machte ich mir erst einmal einen Smoothie.
Den Tag über verbrachte ich mit weiterer Recherche und einige Sätze hatte ich auch schon zu Papier gebracht oder besser gesagt in den Laptop getippt. Doch richtig zufrieden war ich noch nicht.
Der erste Teil brauchte definitiv noch ein wenig Tiefe, aber der zweite Teil würde hoffentlich durch das Interview der Hammer werden. Ich nahm mir vor, zumindest den ersten Artikel bis heute Nachmittag fertig zu bekommen. Das müsste machbar sein und ich würde mich dann vollkommen auf das Interview konzentrieren können.
Als ich ein paar Stunden später in meinem besten Businesskostüm in das Taxi stieg, das mich zu Clodette Poirot bringen sollte, hatte ich in meinem Notizbuch jede Menge Fragen notiert, die ich der guten Frau stellen wollte. Ich war schon sehr gespannt, welcher Mensch mich dort erwarten würde.
»Chelseastreet 18, da wären wir.« Der Taxifahrer hielt vor einem großen schmiedeeisernen Tor, an dem etliche Kameras auf uns hinabblickten. Dahinter erstreckte sich eine parkähnliche Anlage und am Ende des kiesbedeckten Weges erblickte ich ein weißes Herrenhaus, das einem kleinen französischen Chateau glich, das ich einmal besucht hatte. Es sah in der nachmittäglichen Sonne einfach bezaubernd aus.
Mir fiel die Kinnlade herunter. Konnte man mit dem Schreiben von Liebesromanen derart gut verdienen, dass man sich ein solches Anwesen leisten konnte? Vielleicht sollte ich meine Berufswahl noch einmal überdenken, fuhr es mir unwillkürlich durch den Kopf.
»Miss, soll ich Sie anmelden?«, wollte der Fahrer wissen, der die Sechzig schon lange überschritten und ganz bestimmt bereits öfter junge, unwissende Journalistinnen bei steinreichen Chateaubesitzern angemeldet hatte.
»Ja.« Oder? Davon stand in dem Schreiben nichts. Ich verglich rasch die Adresse. Sie stimmte.
Der Mann beobachtete mich durch den Rückspiegel mit hochgezogenen Augenbrauen, bis ich endlich kapierte, was er wollte.
»Abigail Jones. Bitte melden Sie mich als Abigail Jones, Journalistin des Cosmostar an.« Ich erntete ein Lächeln.
Kurze Zeit später glitt das Tor geräuschlos auf und wir fuhren im Schritttempo durch den Park. Am Ende der Auffahrt lag das imposante Gebäude und dahinter endete das Grundstück an einem See. Es war malerisch und ich konnte mir vorstellen, dass einer Autorin in einer solchen Atmosphäre jede Menge wundervolle Geschichten einfallen mussten. An der offenstehenden Haustür erwartete mich, nachdem ich meine Schuld beim Taxifahrer beglichen hatte, eine Hausangestellte, die in einer dunklen Uniform mit Schürze steckte. Mit einem professionellen Lächeln, das allerdings nicht ihre Augen erreichte, bat sie mich ins Haus und führte mich in einen Salon, der im Jugendstil eingerichtet war und in mir leichte Beklemmungen hervorrief.
»Mrs Poirot wird gleich für Sie da sein.«
Steif setzte ich mich auf die Kante einer Sitzbank und wartete geduldig, nachdem ich allein gelassen worden war. Wussten die Angestellten in diesem Haus genauso wenig wie ich den richtigen Namen? Vermutlich war das ausgemachter Blödsinn, denn wenn ich mich im Vorfeld über diese Adresse ausgiebig informiert hätte, wäre mir der Realname der Autorin auch geläufig. Insgeheim ärgerte ich mich, dass ich mich nicht richtig vorbereitet hatte. Neugierig blickte ich mich um. Nirgends war etwas Persönliches zu finden - keine Urkunden, Familienbilder oder Ähnliches.
Als die Tür leise geöffnet wurde, schnellte mein Kopf herum. Eine winzige Frau mit silbernem Haar, das sie zu einem akkuraten Dutt hochgesteckt hatte, kam in das Zimmer. Mit Augen, die von Lebenserfahrung sprachen und dennoch zu lächeln schienen, blickte sie mich aufgeschlossen an. »Willkommen, Miss Jones.«
Hastig sprang ich auf, um ihr entgegenzugehen und ihr die Hand zu reichen. Machte man das in dieser Gesellschaftsschicht überhaupt? Jemandem ganz profan die Hand schütteln? Innerlich zuckte ich mit den Schultern. Man musste sich ja nicht allem und jedem anpassen. Ich würde mich einfach so verhalten, wie ich es für richtig hielt, sollte das nicht gut genug sein, dann war dem eben so.
»Vielen Dank, dass Sie zugestimmt haben, mit mir ein Interview zu führen.« Lächelnd ergriff die betagte Autorin meine Hand.
»Wie ich herausgefunden habe, sind Sie eine junge aufstrebende Journalistin, die einen ausgezeichneten Ruf vorzuweisen hat.« Sie hatte sich über mich informiert? Die Frau gefiel mir immer besser.
»Ich hoffe, ich kann dem gerecht werden, denn auch ich habe natürlich meine Hausaufgaben gemacht und festgestellt, dass Sie sehr zurückgezogen leben und in den letzten Jahren darauf verzichtet haben, Interviews zu geben. Ich fühle mich geehrt, dass Sie meiner Anfrage zugestimmt haben.«
Offenherzig fing Clodette an zu lachen und sagte schließlich: »Sie sind so direkt, das finde ich sehr erfrischend. Kommen Sie, wir gehen in die Bibliothek. Diesen Raum hier mag ich nicht sonderlich.« Das konnte ich gut nachvollziehen, ungemütlicher ging es kaum.
Schmunzelnd folgte ich ihr über glänzende Marmorböden und an etlichen Türen vorbei, bis wir den Raum meiner unerfüllten Träume erreichten.
Die Bibliothek war der absolute Wahnsinn. Die Decke reichte mindestens zehn Meter weit über mir nach oben und Bücherregale bedeckten sämtliche Wände und waren auch dementsprechend gefüllt. In der Mitte des Raums stand eine gemütliche Ledercouchgarnitur, etliche Lesesessel und passende Tischchen. An der hinteren Seite waren zwei Schreibtische aufgestellt, die in jedem anderen Zimmer erschlagend gewirkt hätten, doch hier passten die Möbelstücke hervorragend hin.
»Das ist das Herzstück unseres Hauses und mein Lieblingsraum, in dem ich mich zum größten Teil aufhalte.« Lächelnd beobachtete sie mich und freute sich über meine offensichtliche Begeisterung.
»Wow! Das ist wunderschön. Ich kann Sie da sehr gut verstehen. Wahrscheinlich würde ich mir hier sogar ein Bett hineinstellen«, scherzte ich und bekam ein Kichern von Mrs Poirot zur Antwort.
»Setzen Sie sich doch. Madeleine kommt gleich mit Tee und Gebäck. Ich hoffe, Sie mögen Tee?«
»Ja, sehr sogar.«
»Fein, dann habe ich doch die richtige Wahl getroffen.« Ob sie damit das Getränk meinte oder mich als Journalistin, konnte ich in diesem Augenblick nicht sagen. »Vorstellen müssen wir uns ja nicht mehr. Also beginnen Sie ruhig mit Ihren Fragen.«
Mit einem Räuspern schlug ich das Notizbuch auf, ehe ich mit meinem Interview begann. »Miss Poirot, ich würde Ihnen gern zuerst die üblichen Fragen stellen, da es Ihr erstes offizielles Interview seit Langem sein wird und Ihre Leser bestimmt daran großes Interesse zeigen werden.«
»Ganz wie Sie meinen, Schätzchen.«
»Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?« Vermutlich konnten die meisten Autoren die Frage nicht mehr hören.
»Ich denke, wie viele andere dieser Zunft ebenfalls – ich habe schon immer gelesen und irgendwann hatte ich das Bedürfnis, selbst eine Geschichte zu schreiben. Et voilà, mein erster Roman entstand.« Die kleine Frau wirkte gelassen, während ich mich unter ihrem Blick ein wenig wand.
Ich hatte das Gefühl, dass sie mir bis auf die Seele sah und sich etwas von mir für ihr nächstes Buch stahl. Das war natürlich Blödsinn, doch so ganz konnte ich dieses Gefühl nicht abschütteln. Beflissen notierte ich mir die Antwort, doch irgendwie beschlich mich die Vermutung, dass noch mehr hinter ihrer Geschichte stecken könnte.