Christian Röder

Das Kim-Protokoll


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erfuhr, dass ihr Bruder mich gerettet hatte, nannte sie ihn ironisch „Held“ und es sah aus, als spräche sie zu einer imaginären Figur und nicht zu einem echten Menschen. Trotz ihrer Entrücktheit stellte sie mir viele Fragen, die ich gewissenhaft beantwortete, sah jedoch durch mich hindurch, während meine Worte zwischen uns zu verpuffen schienen. Jasper ergänzte, dass ich mich nicht für Kunst interessierte. Kathi lachte, das gehe ihr genauso. Aber sie sei hübsch anzusehen. Wer, fragte ich. Die Kunst, sagte Kathi. Was sie denn beruflich mache, fragte ich und nahm einen Schluck Bier. Sie sei Kellnerin in einem Wirtshaus, das gefalle ihr sehr gut, sie sei es gern. Jasper warf ein, sie habe eine exzellente Stimme, ein ungewöhnliches Timbre, sie könne mühelos Sängerin werden, wenn sie nur wollte, aber sie wolle eben nicht. Dafür nutze sie ihre Stimme, um alten Menschen oder kranken Kindern etwas vorzulesen. Das könne sie ebenfalls phänomenal gut, meinte Jasper. Sie schaffe es, dass man alles vor sich sehe und ihre Stimme beinahe vergesse. Ja, sagte Kathi, das mache sie gerne. Sie möge es, wenn sie Menschen mit anderen Welten verbinden könne. Sie fühle sich dabei wie jemand, der ein Fenster öffne. Kurz gesagt, sei sie also alles, was sie sein wolle. Ob ich denn schon alles sei, was ich sein wolle, fragte Kathi mich. Nein, sagte ich. Ich sei nicht sicher, relativierte ich schnell. Ich sei vermutlich dabei, das zu werden, was ich sein wolle, aber ich sei nicht sicher, ob ich wirklich wisse, was das sei, das ich sein wolle, oder ob ich es mir vielleicht nur einbildete. Eigentlich sei ich mir aber sicher, auf dem richtigen Weg dahin zu sein, was immer es auch sei. Kathi lachte und meinte, das gefalle ihr. Was genau ihr gefalle, fragte ich. Genau das, erwiderte Kathi. Ich gab mich mit der Antwort zufrieden und versuchte, das Thema zu wechseln. Ob sie beide auch Narren seien. Heute schon, meinte Jasper. Kathi nickte nur bestätigend und sah in den Himmel. Er war grau. Schnee lag noch auf den Dächern. Sie seien beide mit der Tradition durchaus verbunden, erklärte Jasper. Ich nahm einen großen Schluck Bier, einen großen Schluck Heimat, einen großen Schluck Ehrfurcht. Kathi sagte, sie seien beide Mitglieder in einer Karnevalszunft, sie seien ordnungsgemäß getauft worden. Inwiefern getauft, wollte ich wissen. Die Mitternachtstaufe, meinte Kathi, das sei ein Ritual, durch das man aufgenommen werde in die Zunft. Man sei dann ein ordentliches Mitglied. Sie seien beide jedoch recht passiv, ergänzte Jasper. Sie würden die Zunft eher ideell unterstützen, als aktiv mitzuwirken. Was aber zähle, sei die grundsätzliche Verbundenheit. Worte, die mich an solide Eichenschränke, Fachwerk und von jahrelanger Arbeit gegerbte Hände denken ließen. Ich genoss das alles sehr. Wie es mit mir aussehe, wollte Jasper wissen. Was genau er meine, fragte ich. Ob ich auch ein Narr sei, in welcher Form auch immer, erläuterte Jasper seine Frage. Ich zögerte mit der Antwort. Nein, meinte ich dann, ich hätte wohl nichts Närrisches an mir. Also sei ich ein durch und durch ernsthafter Mensch, konstatierte Jasper in einem Ton, mit dem er mir ein Hintertürchen offenließ. Ich zögerte erneut, meinte dann aber, ja, im Zweifelsfall sei ich wohl eher ernsthaft als närrisch. Ich hätte aber vieles erlebt, was närrischer gewesen sei als der närrischste Narr es hier jemals verkörpern könne. Ach, sagte Jasper, interessant. Ja, meinte ich, zuletzt sei ich in Hongkong gewesen, davor in Johannesburg, San Francisco und Boston. Und überall seien die Menschen künstlich gewesen und hätten sich zumeist lächerlich verhalten. Sie seien immer nur auf kleingeistige Dinge aus, wie Karriere, Besitz, Bedeutung. Das habe mich gestört, deshalb sei ich jetzt hierhergezogen. Jasper lachte. Karriere, Besitz, Bedeutung würden hier aber auch geschätzt, meinte er. Ja, erwiderte ich, das sei aber nicht zu vergleichen. Hier sei alles natürlich gewachsen. Draußen aber mische sich zu vieles und jeder bekämpfe jeden. Das könne er, meinte Jasper, nicht so genau beurteilen. Er habe zwar auch Freunde in Berlin, Paris und New York, die er öfter mal besuche, aber sonst wisse er über das Leben in Großstädten nicht all zu viel. Er habe mal eine Zeitlang in Berlin gelebt. Furchtbare Stadt, warf ich ein, voller Wichtigtuer. Aber, fuhr Jasper fort, er habe dort sehen müssen, dass er hier zu Hause sei. Er habe nichts gegen Berlin, es sei eine ganz lustige Zeit gewesen. Das, sagte ich, sei zu bewundern. Was, fragte Jasper. Zu wissen, wo man zu Hause sei, meinte ich. Zu Hause, meinte Kathi überraschend, sei man, wo alles wie für einen geschaffen sei. Wir schwiegen eine Weile.

      Irgendwann schlug Jasper vor, in seine Galerie zu gehen. Sie war nicht weit entfernt. Ich plumpste in einen Sessel. Jasper war entsetzt und meinte, das sei ein teures Ausstellungsstück. Ich wollte sofort wieder aufstehen. Kleiner Scherz, meinte Jasper dann, der sei von Ikea. Kathi betrachtete Jasper und mich mit demselben Blick, mit dem sie sich die Bilder an den Wänden ansah. Für sie gab es anscheinend nur eine Welt. Und nichts in dieser Welt stach hervor. Ich erzählte ein bisschen von meinen Erlebnissen. Sie sah zwischen den Bildern und mir hin und her. Na ja, endete ich dann, es sei ja auch nichts Besonderes, viele Menschen hätten sicher ähnliches erlebt. Doch, doch, meinte Kathi, während sie statt zu mir auf eine schneebedeckte Landschaft sah, das sei es. Ich fragte mich, was sie dort sah.

      Jasper war in einem hinteren Raum verschwunden, anscheinend gab es dort eine Küche. Er kam mit einem Tablett und Sektgläsern zurück. Jasper trank ungezügelt. Ich nippte kontinuierlich. Kathi schien das Glas in ihrer Hand gar nicht zu bemerken. Wir unterhielten uns über die Bilder, ich verstand nicht besonders viel. Ich war allerdings auch der Ansicht, dass es bei den meisten nicht viel zu verstehen gebe und bemühte mich, dies diplomatisch auszudrücken. Natürlich wollte Jasper zu allem meine Meinung wissen, was ohne Grundlage ein bisschen anstrengend war. Kathi meinte plötzlich, er habe mir das Leben gerettet. Jasper machte eine relativierende Geste. Ich bestätigte Kathi jedoch, ja, es habe gefährlich gewirkt. Jasper meinte, so etwas könne zwar immer und überall mal passieren, sei hier aber nicht gerade üblich. Ich sagte, ich hätte mich gefühlt, als wollte mich der gesamte Ort ausstoßen. Aber nein, meinte Jasper, das sei doch Unsinn, man sei hier sehr aufgeschlossen gegenüber fremden Menschen und bemühe sich, sie aufzunehmen. Was denn genau passiert sei, wollte er dann wissen. Ich sei angegriffen und zu Boden gestoßen worden. Ob es keinen erkennbaren Grund gegeben habe, fragte Jasper. Nein, sagte ich. Das sei seltsam, meinte Jasper. Mag sein, antwortete ich. Sehr seltsam, bekräftigte er. Ich könne nicht mehr dazu sagen, wiederholte ich, ob ich das denn müsse, damit er mir glaube. Nein, erwiderte Jasper, um Himmels Willen, so habe er das nicht gemeint. „Der Himmel ist rot“, sprach Kathi, die hinter uns stand und wieder in den Anblick eines Bilds vertieft war. Ja, sagte Jasper. Das sei ein Ausdruck von Bedrohung, den der Künstler mit dem roten Himmel schaffen wollte. Ein nahendes oder mögliches Unheil, das über allem schwebe.

      Jasper referierte dann noch über dies und das. Unter anderem bezeichnete er einen Künstler als „unseren Schwarzwald-Hopper“. Ich verstand nicht. Er erläuterte, dass seine Bilder sehr stark an Edward Hopper erinnern würden. Ich tat ihm den Gefallen und gestand meine Unkenntnis.

      Bald darauf verabschiedete ich mich, wir tauschten Telefonnummern. Kathi umarmte mich. Ich war so überrascht, dass ich aus Versehen ihre Wange mit dem Mund berührte, was wie ein versuchter Kuss gewirkt haben konnte. Anscheinend hatte sie das jedoch nicht so wahrgenommen. Sie meinte, das Pfefferspray hätte sie irgendwann spontan gekauft, aber nie geglaubt, es mal gebrauchen zu können. Ich wies darauf hin, dass es immer gut sei, verteidigungsbereit zu sein. Kathi lachte. Jasper klopfte mir auf die Schulter: „Na dann, herzlich willkommen! Die Begrüßung hast du ja schon mal überlebt.“ Wir lachten. Ich sah in Kathis Augen. Ich fragte mich, wie ihr Bild von mir aussah.

      13.09.2014

      „Ich will Ihnen etwas zeigen, Kim.“

      „Park, mein Name ist Park. Bitte nennen Sie mich Herr Park!“

      „Natürlich, Kim. Ich respektiere, dass Sie nicht zu sich stehen. Im Grunde ist das ja eine Phase, die jeder mal hat, oder? Wie auch immer. Hinter meinem Rücken verbirgt sich Wahrheit. Und Sie wissen mittlerweile, oder Sie können es sich zumindest denken, wie kritisch ich gegenüber den Medien bin. Denn wenn die Medien grundsätzlich auf Täuschung aus sind, dann muss das meiste von dem, was sie berichten, falsch sein. Logisch, nicht wahr?“

      Kim sah mich ausdruckslos an. Klar, dachte ich. Gerade ihm als Diktator erzähle ich damit ja wirklich nichts Neues. Es war sinnlos und gar nicht notwendig, so geheimniskrämerisch zu sein. Irgendwie hatte ich aber gerade Spaß daran.

      „Nun, das wissen Sie ja besser als ich. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich altklug erscheine. Jedenfalls befindet sich hinter meinem Rücken eine der wenigen Ausnahmen. Aber sehen