Albert Helber

EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?


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Kopf und große Hand sitzen auf einem schmächtigen Körper und kleinen Beinen und Füßen.

      Bald nach Penfields Ergebnissen wird auch der sensorische Gyrus präcentralis untersucht und ergibt wiederum einen sensorischen Homunculus, in welchem jene Regionen unseres Körpers hervortreten, die sensorisch von besonderer Wichtigkeit sind. Zuerst offenbart sich das kosmologische Gesetz von Reiz und Reaktion in unserem Gehirn als anatomisches Gegenüber: Sinnliche Wahrnehmungen werden in dem der Sehrinde des Occipitalhirns zugewandten sensorischen Gyrus präcentralis bearbeitet. Sie werden im motorischen- und dem Frontalhirn zugewandten Gyrus postcentralis beantwortet. Reiz und Reaktion, Sinnliche Wahrnehmungen und motorische Antworten sind in unserem Gehirn anatomisch hintereinander geschaltet. Noch deutlicher offenbart der sensorische- und motorische Homunculus welche Funktionen in der Entwicklung zum Menschen auftauchten und wichtig wurden: Aus den Vorderbeinen der nichtmenschlichen Primaten wird in der sensorischen- und motorischen Repräsentation im Gehirn des Menschen eine große Hand mit langen Fingern und noch größerem Daumen. Die Feinmotorik des Greifens, des späteren Malens und Schreibens braucht eine umfangreiche Organisation des Gehirns. Allein beim Schreiben werden ca. 58 Muskeln benutzt. V.a. aber ist der Homunculus ein „Kopfmensch“, er ist ein den Kopf betonender Homunculus, weil Sehen, Mimik und Laut- oder Sprachfunktion beim Menschen zu wichtigen Funktionen werden und sowohl in der sensorischen- und der motorischen Rinde umfangreich vertreten sind. Die zum Lautapparat des Menschen gehörende Zunge besteht allein aus 9 unterschiedlichen Muskeln. Die menschliche Mimik beteiligt Stirn, Augen, Nase und Mund und wird von ca. 25 Muskeln und deren Zusammenspiel organisiert. Beim Lachen, so lese ich, werden im Gesicht 20 Muskeln und im restlichen Körper nochmals 80 Muskeln aktiviert. Ob wir glücklich oder traurig sind, ob wir lachen oder weinen, immer sind es eine riesige Zahl von Muskeln, deren Zusammenspiel in unserem Gehirn organisiert werden muss.

      In der Zwischenzeit sind ähnliche Homunculi auch von unterschiedlichen Tieren erstellt worden. Sie zeigen, dass bei nichtmenschlichen Primaten bereits das Gesicht und die Mimik eine wichtige Rolle spielen. Beim Menschen kommt der Lautapparat und die Sprache dazu, demonstriert durch die Zunge auch in der menschlichen Linie. und nochmals die Greiffunktion und die Feinbeweglichkeit der Finger, demonstriert durch den übergroßen Greifarm mit den Fingern. Was wichtig werden sollte für den Menschen demonstrieren die Homunculi, indem herausgestellt wird, welche körperlichen Regionen des Menschen die umfangreichste neuronale Versorgung genießen.

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      Das Gehirn reflektiert nicht nur das biologische Gesetz von „Irritation und Reaktion“ als sensorisches Zentrum im Gyrus postzentralis und als motorisches Zentrum im Gyrus präzentralis. Es offenbart auch im cerebralen „Homunculus“ jene Organe, die für die menschliche Entwicklung wichtig werden sollten. Vor allem aber ist das Gehirn eine Lernmaschine, für die der Hirnforscher Calvin den Namen „Darwin-Maschine“27 schuf. Die von Charles Darwin beschriebene Evolution folgt einem Prinzip der Selektion: Darwins Evolution ist ein dialektischer Prozess zwischen Veränderung durch Mutation und Anpassung oder Ablehnung in einem gegebenen Umfeld. Selektiert werden jene Veränderungen, die sich in ein gegebenes Umfeld einfügen können. Tatsächlich arbeitet unser Gehirn nach einem ähnlichen Prinzip, indem es in Millisekunden jene Aufforderung selektiert, die unter vielen Möglichkeiten, am besten auf sinnliche Wahrnehmungen reagiert und einem biologischen Akteur Nutzen bringt. Schon wenige Jahre nach Darwins „On the origin of species“ stellt sich der amerikanische Psychologe William James diese Fragezit.n.27. Heute vertreten zahlreiche Neurobiologen diese Theorie der Selektion auch für das menschliche Gehirn und William H. Calvin prägt den Begriff „Darwin-Maschine Gehirn“. Voraussetzung eines selektiv arbeitenden Systems ist eine Vielzahl an Angeboten, aus welchen eines unter Berücksichtigung vieler ganz unterschiedlicher Angebote selektiert wird. Das menschliche Gehirn beschäftigt sich mit vielen Einflüssen. Sie machen eine Selektion nicht nur möglich, sondern notwendig.

      3. Vom Unterscheiden zum Lernen.

      „Evolutionäre Intelligenz“ entwickelt Gesetze, die eine biologische Evolution lenken, Unterschiedlichkeit und Vielfalt aufkommen lassen und beim Menschen schließlich eine mentale Intelligenz schaffen, die menschliches Verhalten variiert. Mit „Irritation und Reaktion“, mit Anregung und Handlung sichern sich biologische Geschöpfe ihre Existenz. Mit der Spezifität ihrer Sinne oder einer neuronal-hormonalen Bearbeitung sinnlicher Wahrnehmungen entwickeln biologische Geschöpfe die Fähigkeit zu unterscheiden, was ihnen nützt und was ihnen schadet. Wer überleben will muss über die dafür nötige Energie verfügen: Für Pflanzen erfindet die biologische Evolution den Gebrauch der Sonnenenergie und für Tier und Mensch den Sauerstoff: Weil die Sonne sie mit Energie versorgt streben Pflanzen zur Sonne, während Tier und Mensch an jenen Ort sich hinbewegen, wo sie Nahrung finden. In beiden Fällen reagieren sie „topisch“ der Sonne oder der Nahrung entgegen. Sie können aber auch „phobisch“ reagieren: Pflanzen welken, wenn sich die Sonne verdunkelt. Tiere und Menschen wenden sich ab, so die Nahrung giftig ist oder Gefahren drohen.

      „Sensorische Intelligenz“ ist zunächst eine Intelligenz der Sinnesorgane für Sehen, für Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen. Die Spezifität, mit welcher Sinnesorgane physikalisch-chemische Signale in Sinneseindrücke, in Wahrnehmungen verwandeln und abschätzen können, was nützt oder schadet, wird zu einem Klassifizierungsmerkmal von Tier und Mensch. Eine Artenvielfalt oder Diversität ist in der Evolution durch spezialisierte Sinnesorgane entstanden, die wir täglich bewundern. Bei Säugetieren und Primaten wird eine sensorische Intelligenz der Sinnesorgane durch eine neuronale- oder hormonale Bearbeitung von Wahrnehmungen im Nervensystem erweitert. Sinneseindrücke werden nicht mehr nur wahrgenommen. Sie werden über ein neuronales Netzwerk geleitet, bearbeitet und dann erst in eine der Situation angepasste Reaktion oder Aktion verwandelt. Aus der Bearbeitung des Gesehenen, des Gehörten, Gerochenen, Geschmeckten und Erfühlten mit Erinnerungen und Erfahrungen entstehen bei Säugetieren und Primaten Algorithmen für gezielte Handlungen, dann Emotionen und schließlich beim Menschen auch bewusst werdende Gefühle. Die neuronale Verarbeitung sinnlicher Wahrnehmungen, deren Unterscheidung in akzeptierte- oder nützliche- und abgelehnte- oder schädigende Wahrnehmungen und deren Verwandlung in eine angepasste Handlung bedeutet eine permanente Belastung für ein neuronales Netzwerk. Eine immer breiter werdende neuronale Bearbeitung sinnlicher Wahrnehmungen vom Säugetier über nichtmenschliche Primaten zum Menschen wird erlernt und erklärt das Wachstum des Gehirns in den letzten 2 - 3 Millionen Jahren. Aus einem Unterscheidungsinstrument sinnlicher Wahrnehmungen wird das Gehirn zu einem Lerninstrument und wächst.

      Aktivitäten oder neu erworbene Funktionen von biologischen Akteuren lenken die biologische Evolution. Jedes biologische Wesen unterscheidet das Nutzen Bringende und das potentiell Schadende. Unterscheiden können ist ein erstes Lernziel. Das biologische Gesetz des Unterscheidens führt dann bei Säugetieren und Primaten zu einer zweiten wichtigen Funktion des „Lernens“, mit dem wiederum erlernt wird, was nützt und was schadet, aber das Reagieren variabel macht. Wir beobachten und ahmen nach was Natur oder Andere schon können. Mit Nachahmung beginnt das Lernen. Nachahmung wird die wichtigste Funktion des Lernens bleiben. Schließlich muss, was gelernt wird auch geübt werden, damit Gelerntes für uns erhalten bleibt. Unterscheiden, Nachahmen und Üben sind die wichtigsten Bedingungen eines impliziten- und schließlich auch eines bewussten Lernens. Dieses Lernen wird in den kommenden zwei Millionen Jahren die Entwicklung der menschlichen Linie begleiten. Die biologischen Grundlagen dafür entstehen im Primatengehirn und werden bis zum Homo sapiens erweitert. Ein biologisches Wesen entsteht, das zu Beginn noch auf physiologische- oder vom Umfeld kommende Irritationen reagiert, am Ende aber von mentalen Erwägungen oder Emotionen gelenkt wird. Wie dieser markante Wandel von einem physiologisch gesteuerten- zu einem von mentaler Intelligenz geleiteten Wesen durch ein von evolutionärer Intelligenz entworfenes „Lernen“ gelingt, soll uns nun beschäftigen.

      4. Wie Lernen funktioniert.

      Schon eine Selektion auslösende Sinneseindrücke sind unterschiedlich. Wir sehen nicht nur, wir hören auch,