Gabriella Gruber

ChessPlanet - Edahcor's Geheimnis


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Kein Zweifel, ich erkenne Julius, den Supermacho, sogar von hinten. Und er ist bei ihr. Ich meine, richtig bei ihr! Nicht drei Meter entfernt, sondern so nah, dass er sie küssen könnte.

      Ich gehe direkt auf die zwei zu, als würde ich sie bei etwas Verbotenem enttarnen wollen.

      Die Handlung des Buches kommt mir in den Sinn und gibt mir ein wenig Kraft. Selbst wenn es nur eine ausgedachte Geschichte ist. Aber wer weiß, vielleicht beruht sie auch auf wahren Begebenheiten?

      »Hey, Anyta, ich glaube, ich habe das richtige Buch für dich gefunden. Lass uns los gehen. Wir haben noch andere Punkte auf unserem Einkaufszettel, die wir abklappern müssen. Außerdem habe ich Hunger.« Ohne Luft zu holen, werfe ich einfach alle Argumente in den Raum, die ich gerade auf Lager habe.

      Ohne auf eine Reaktion zu warten, nehme ich Anytas Arm und ziehe sie mit mir mit. Julius ignoriere ich krampfhaft.

      Anyta wehrt sich nicht und verabschiedet sich von Julius nur mit einem leisen Tschüss.

       5

      

       EMILIAN

      

      

      Die Fassade des Direktorenhauses leuchtet mir genauso farbenfroh entgegen wie vor ein paar Tagen am See, bei der Begegnung mit dem rothaarigen Mädchen. Die Vision, die ich noch am gleichen Abend wieder hatte, bebt noch in mir nach. Ich will meinen Eltern nichts davon erzählen, das fühlt sich falsch an. Mit meinen Freunden konnte ich bisher auch noch nicht darüber reden. Es hat sich einfach nicht ergeben.

      Ich bin mit meiner Mutter und Herrn Kerkov zu unserem organisatorischen Plausch über das Sommerfest verabredet. Genau das Treffen, dessen Antwortschreiben wir an diesem Dienstag in den Briefkasten des Regierungsgebäudes geworfen haben.

      Kaum stehen meine Mutter und ich vor dem Direktorenhaus, öffnet sich die Tür auch schon und ein großer Mann im dunkelbraunen Anzug steht vor uns. Der Anblick seiner vollen roten Locken versetzt mich direkt wieder zurück an den See. Wer ist sie bloß? Hat Herr Kerkov etwas mit ihr zu tun?

      »Hallo! Schön, dass ihr gekommen seid!«, reißt mich der Direktor Edahcors aus meinen Gedanken. Nachdem er meine Mutter begrüßt hat, lächelt er auch mich an, schüttelt mir die Hand und bittet uns herein.

      Dicke Teppiche in roten und blauen Tönen dämpfen unsere Schritte und geben am Rande der großen dunklen Eingangshalle den Blick auf die darunter liegenden schwarzen und weißen Fliesen frei.

       Schwarz und weiß?

      Wieder muss ich an das Schachspiel unter meinem Schrank denken. Haltsuchend konzentriere ich mich auf die übergroßen Vasen mit den opulenten Blumengestecken, um ja nicht wieder dieses Schwindelgefühl zu bekommen.

      In einem großen goldverzierten Spiegel, der direkt hinter einer der Vasen hängt, staune ich über meinen eigenen, etwas verwirrten Gesichtsausdruck und streiche meine Frisur zurecht, die gerade ziemlich durcheinander ist. Wie kann das sein? Ich bin doch in gar keinen Sturm geraten?

      Bei einem genaueren Blick in den Spiegel bemerke ich, dass das Durchwühlen meiner Haare mit der Hand gar keine Auswirkung auf sie hat. Sie sehen noch genauso merkwürdig aus.

      Ich trete näher heran und blicke mir selbst direkt in die Augen. Sie sind nicht mehr braun, sondern blau, und umrandet von schwarzem Kajal.

      Wer ist das da im Spiegel? Derjenige sieht doch so aus wie ich? Aber wenn ich das nicht bin, wer ist es dann?

      Ich schüttle meinen Kopf und reibe mir die Augen.

      Als ich sie wieder öffne, sieht mich wieder mein gewohntes Spiegelbild genauso verdutzt an, wie ich mich fühle. Liegt es an dem Schachbrettmuster? Oder werde ich tatsächlich mit jedem Tag verrückter?

      Ich atme einmal tief durch und fahre vorsichtig mit dem Erkunden fort, während ich zu meiner Mutter und Herrn Kerkov aufschließe.

      Die Wände sind mit prunkvollen Bildern bestückt, auf denen wunderschöne Landschaften abgebildet sind. Wer hat diese Bilder gemalt? Wo gibt es solche Orte? Es muss eine Landschaft sein, die nur in der eigenen Vorstellungskraft existiert. Aber wie stellen wir zum Beispiel die Gegenstände her? Diese Fragen schießen mir oft durch den Kopf. Die Antworten darauf bekommen wir teilweise in der Schule, wir befragen unsere Fernsprecher, hören und sehen es in der Holovision oder meine Freunde und ich basteln uns unsere eigenen Erklärungen.

      »Wollt ihr etwas trinken?«, holt mich Herr Kerkov aus meinen Gedanken und deutet auf eine Vitrine neben ihm.

      »Nein, vielen Dank«, sage ich und auch meine Mutter lehnt dankend ab.

      Unser Direktor führt uns zu einer langen dunkelbraunen Wendeltreppe. Er marschiert voran, wir folgen ihm.

      

       LAYLA

      Ich starre auf meinen Notizblock. Heute habe ich zwar Lust, wieder etwas zu zeichnen, aber mir fällt überhaupt kein passendes Motiv ein.

      Ich lasse mich auf mein Bett fallen und betrachte die hölzerne Decke und ihre prunkvollen Verzierungen, doch selbst diese schenken mir keine ausreichende Inspiration, die ich auf Papier festhalten kann.

      Da im Moment wohl nicht meine kreativste Stunde ist, gebe ich das Überlegen auf, setze mich an die Bettkante und hole meine Gitarre raus. Ich singe ein Lied von einem Mädchen, das drei Wünsche einfordern darf, es aber nicht tut, weil sie bereits glücklich ist. Es klingt ein wenig melancholisch, ein solches Lied aus meinem Mund.

      Wäre ich dieses Mädchen und hätte diese Wünsche frei, wäre mein erster Wunsch, dass ich nach draußen gehen und mit den anderen reden könnte. Mein zweiter Wunsch wäre, dass meine Mutter hier wäre. Meinen dritten Wunsch würde ich mir für schwere Zeiten aufheben.

      Meine Gedanken schweifen zurück zu meiner Mutter. Angeblich ist sie ein paar Jahre nach meiner Geburt gestorben. Ich weiß nur, dass sie ein wundervoller Mensch war, der mich mehr als jeden anderen geliebt hat. Das hat mir mein Vater oft gesagt, wenn er nicht wieder so angsteinflößend und fremd zu mir war.

      Ich habe überhaupt keine Ahnung, was in meiner Vergangenheit passiert ist. Den lieben langen Tag sitze ich immer nur in diesem Zimmer rum, lese, zeichne, spiele Gitarre oder starre Löcher in die Luft. Okay, ab und zu gehe ich in die Küche, um mir etwas zu essen zu holen, oder beschäftige mich mit Wanderungen durch das Haus, das ich inzwischen in- und auswendig kenne. So geht das schon, seit ich überhaupt denken kann.

      Das Einzige, was mich immer wieder antreibt, ist die Hoffnung, dass sich das alles irgendwann einmal ändern könnte. Mit einer Erfindung, die mir erst noch einfallen muss.

      Vor ein paar Tagen konnte ich wenigstens mal kurz raus gehen. Auch nur dank der großzügigen Phasen, die mein Vater so selten hat.

      Ich erinnere mich noch an die braunen Augen, die mich hinter dem Busch entdeckt haben. Ob er sich auch an mich erinnert? Ob er noch an mich denkt?

      Mein Magen knurrt. Ich stehe auf, lege mein Instrument auf mein Bett und gehe die Treppe hinunter zur Küche. In einem Regal ist noch eine angebrochene Tüte mit Chips. Ohne zu zögern, greife ich danach und schleiche wieder aus der Küche.

      Vielleicht sollte meine Erfindung etwas sein, mit dem ich diese Fensterscheiben einschlagen kann? Immerhin hält mich ein Zauber davon ab, durch die Haustür zu fliehen. Vielleicht ist ja Springen die Lösung?

      Ich gehe an einem großen Fenster vorbei, das mir die Sicht zu unserem See frei gibt, der weit in der Ferne still auf jemanden wartet, der ihn besucht.

      Wieder