Gabriella Gruber

ChessPlanet - Edahcor's Geheimnis


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so neugierig. So schön.

      Ich wende mich ab.

      Oder soll die Erfindung eine Art Dietrich sein, mit dem sich die Schlösser der versiegelten Türen hier öffnen lassen?

      Ich lasse meine Hand behutsam über die goldenen Verzierungen auf dem Rahmen der großen braunen Tür streifen, die ich selten offen gesehen habe. Es ist die Portaltür, durch die mein Onkel uns manchmal besuchen kommt. Vielleicht ist bei ihm eine bessere Welt, ohne einen besitzergreifenden Vater?

      Doch ein Frösteln bei dem Gedanken an den Ort hinter dem Portal lässt diese Idee zerplatzen.

      Ich sehe mir die zwei goldenen Rauten, die jeweils eine der Türhälften verziert, genauer an. Sie reflektieren das Sonnenlicht, das durch eines der Fenster direkt in den Raum dringt. Mein Spiegelbild, das mich durch die glänzenden Rauten verschwommen anblickt, sorgt für eine Gänsehaut, die sich wie zarte Nadelstiche auf meinem Körper ausbreitet.

      Nadelstiche. Spitze. Das ist es!

      Schnell stopfe ich mir die Chips, die ich gerade aus der Tüte gefischt hatte, in den Mund und renne die Treppe nach oben in mein Zimmer.

      Dort angekommen, zeichne ich Striche auf ein Blatt meines Zeichenblocks. Endlich habe ich sie: Die Sache, auf die ich schon so lange gewartet habe!

      Voller Aufregung trenne ich das Blatt ab, angle mir noch eine Hand voll Chips, gehe aus meinem Zimmer und schließe die Tür hinter mir.

       EMILIAN

      Endlich sind wir im oberen Stockwerk angekommen. Mir kam die Zeit, in der wir die vielen Stufen erklommen haben, wie eine Ewigkeit vor, aber wahrscheinlich waren es nur ein paar Minuten. Mein Kopf übertreibt gern.

      »Setzt euch doch«, fordert uns Herr Kerkov auf.

      Das lasse ich mir nach dem langen Treppensteigen nicht zweimal sagen und sitze auch schon auf dem Sofa, das im Kreis um einen kleinen Glastisch mit Holzfuß steht.

      Meine Mutter setzt sich neben mich und schaut sich anerkennend im Raum um. »Schön ist es hier, Herr Kerkov.«

      »Ja, nicht wahr?«

      »Obwohl ich schon so lange für Sie arbeite, hatte ich nie die Ehre, einmal einen Besuch in Ihrem Zuhause machen zu dürfen«, fügt meine Mutter hinzu.

      Ich schaue mir unseren Direktor genauer an. Dass wir ihn ausschließlich mit seinem Nachnamen ansprechen, liegt einzig daran, dass er der Direktor ist. Er selbst redet uns mit unseren Vornamen an und duzt uns, was mich ein wenig stört. Es wirkt, als wären wir befreundet, dabei kommen wir nie über ein kurzes Gespräch hinaus.

      Die Regierung, bestehend aus ihm und dem Rat, haben wir vor ein paar Jahren gewählt. Meine Mutter ist ebenfalls ein Ratsmitglied. Einer der Gründe, warum wir jetzt hier sitzen.

      Herr Kerkov lächelt meine Mutter an. »Natürlich warst du noch nie hier. Ich habe bis jetzt auch noch nie jemanden privat zu mir eingeladen.«

      Ich schlucke. Warum bringt er uns in sein privates Zimmer? Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, Herr Kerkov könnte Gefallen an meiner Mutter finden, aber ich verwerfe ihn gleich wieder. Dann würde er sie doch bestimmt alleine zu sich einladen und nicht extra nach mir verlangen, oder?

      »Oh«, sagt meine Mutter überrascht. »Und was verschafft uns nun diese Ehre?«

      »Aktuell sind Umbauarbeiten im Regierungsgebäude. Nur für einen Tag, aber unser Gespräch hier kann ich nicht nochmal um einen Tag verschieben. Es ist schließlich wichtig.« Er unterbricht sich und hustet plötzlich heftig.

      Meine Mutter ist schon im Begriff aufzuspringen, doch Herr Kerkov beschwichtigt sie mit einer Geste. »Alles gut«, presst er hervor. Er räuspert sich und setzt kurz darauf wieder sein markantes Grinsen auf, als wäre gar nichts gewesen.

      »Also, unser erstes und wichtigstes Thema ist das Sommerfest. Der Rat ist aktuell mit anderen wichtigen Dingen beschäftigt, daher habe ich vorgeschlagen, mit euch alles Weitere zu regeln. Ich fände es gut, wenn ein paar Beauftragte ein Kuchenbuffet verwalten würden. Meinst du, Emilian, dass du eine Liste von deiner Schule machen kannst, wer Kuchen bereitstellen würde?«

      »Natürlich«, sage ich voller Freude.

      »Perfekt.«

      Und das war es auch schon wieder mit seiner Aufmerksamkeit mir gegenüber. Ab da unterhält er sich nur mit meiner Mutter über Organisatorisches, das mit der Zeit richtig langweilig wird. Mich wundert es insgeheim, dass er das Gespräch nur mit uns führt und nicht mit dem vollständigen dreizehnköpfigen Rat, der eigentlich die Entscheidungen für das Sommerfest trifft. Mit welchen anderen Themen ist der Rat denn derzeit beschäftigt, wenn die Priorität des Sommerfests in den Hintergrund rutscht? Doch ich traue mich nicht, ihn das zu fragen. Ich sehe es zwar als Privileg, bei diesem Gespräch dabei sein zu dürfen, aber wenn er mich wie Luft behandelt, warum lädt er mich dann überhaupt ein? Hätte er das Kuchenbuffet nicht mit unserem Schuldirektor besprechen können?

      Kein Zweifel, es muss noch einen anderen Grund für meine Anwesenheit geben. Nur welchen?

      Meine Mutter versucht immer wieder, mich einzubeziehen, doch Kerkov kommt meinen Antworten jedes Mal zuvor.

      Ich beschließe, es auf mich zukommen zu lassen. Mir jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen, kostet mich nur Energie. Mit meiner Mutter kann ich nachher immer noch darüber diskutieren. Oder wir erfahren vorher, was der Grund meiner Anwesenheit ist.

      Während die beiden sich noch über ein weiteres Detail des Festes unterhalten, schweift mein Blick erneut durch das Zimmer. Anders als in der Eingangshalle gibt es hier kein schwarz-weißes Muster. Vielleicht sollte ich unseren Direktor mal danach fragen? Immerhin hat er dieses Muster als Bodenfliesen in seinem Haus. Aber ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend hält mich davon ab.

      Und dieser Spiegel ... Wen ich da gesehen habe, geht mir nach wie vor nicht aus dem Kopf. War ich das? Oder doch jemand anderes? Aber wer, wenn doch ich in den Spiegel gesehen habe?

      Unvermittelt steht Herr Kerkov auf, begibt sich zu einem Schrank, öffnet eine Schublade, holt etwas heraus und kommt zurück.

      Voller Vorfreude hält er uns zwei schwarze Augenbinden entgegen. »Jetzt möchte ich euch etwas zeigen.«

      Seine Reaktion hat mich genauso überrascht wie das, was er eben gesagt hat. Was um alles in der Welt könnte er uns zeigen wollen? Mir ist gar nicht wohl dabei.

      »Gern«, willigt meine Mutter ein und auch ich nicke. Was bleibt mir anderes übrig? Schreiend aus dem dritten Stock des Direktorenhauses zu springen, ist jedenfalls keine Option.

      »Keine Sorge, das ist nur eine Sicherheitsmaßnahme.«

      Die Augenbinden sind aus einem leichten Stoff und liegen angenehm weich auf der Haut. Dennoch wird mir unwohl, als ich sie aufsetze. Rein theoretisch könnte er jetzt alles Mögliche mit uns anstellen, aber obwohl ich vor Unsicherheit schreien möchte, vertraue ich ihm.

      Wohin er uns nun an den Händen führt, hört und fühlt sich an wie ein Aufzug. Ein leises Piepen in unterschiedlichen Tonhöhen signalisiert, dass er auf irgendwelche Tasten drückt.

      Dann gibt der Boden unter meinen Füßen nach und ich drücke die Hand meiner Mutter fester.

      Mir wird schwindelig.

      Bin ich jetzt erneut in einer Vision, wie bei dem Schachspiel? Ich glaube, mir wird übel. Ich fühle mich, als würde ich in der Luft schweben. Kann ich etwa fliegen? Ich fühle mich so schwerelos wie unter Wasser.

      Nach ein paar Sekunden bleibt der Fahrstuhl abrupt stehen und ich komme mir vor wie ein schwerer Stein, der auf den Boden geworfen wird. Wie weit unten sind wir jetzt? Was geht hier vor?

      »Und weiter geht’s«, schneidet die Stimme des Direktors durch meine Fragen und er greift erneut nach meiner Hand.

      Mein Magen rebelliert laut,