Aufgabe hatte er allerdings nicht lange inne, meldete er sich nach Ausbruch des Weltkrieges doch für die Militärseelsorge. Der Einsatz an der Ostfront hatte nachhaltige Wirkung auf ihn. Nicht nur das Erleben der ostkirchlichen Liturgien prägte ihn, sondern auch die Erfahrungen in der Seelsorge der Soldaten. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs kam Parsch wieder zurück in das Stift, wo er in verschiedenen Feldern der Pastoral zum Einsatz kam.
Für sein weiteres Wirken von Bedeutung war dabei die liturgische Gemeinde in der Klosterneuburger Kirche St. Gertrud. Am Hochfest Christi Himmelfahrt des Jahres 1922 feierte er dort die erste „Gemeinschaftsmesse“, bei der ein Vorbeter eine Mitfeier in der Muttersprache ermöglichen sollte – „der Anfang von Parschs pastoralliturgischem Wirken“3 kann hier angesetzt werden. Sein pastorales Wirken „volksliturgischer“ Prägung, wie er es selbst bezeichnete, ging weit über St. Gertrud hinaus, sein Denken speiste sich aber vor allem aus der konkreten Feier der Liturgie dort. Parsch gründete für seine vielfältigen Publikationen, zu denen nicht nur die Klassiker wie die Volksliturgie (11940/21952) oder die Messerklärung (11930/31950) zählten, einen eigenen Verlag, später folgte eine Druckerei. Aber auch die Zeitschrift Bibel und Liturgie, die ab 1926 erschien, geht auf Parsch zurück. Schon ihr Titel zeigt an, welche Schwerpunkte Parsch in seinem Denken, Schreiben und Tun setzte. Regelmäßige Bibelstunden, Einführungen in die Liturgie der Kirche im kleinen Rahmen einerseits sowie sogenannte Volksliturgische Tagungen, die Dutzende interessierte Kleriker und Laien aus dem gesamten deutschen Sprachraum nach Klosterneuburg brachten, auf der anderen Seite zeigten Wirkung und verhalfen Parschs Apostolat zu großer Beliebtheit und Verbreitung gleichermaßen. Als Durchbruch wird die im Rahmen des Katholikentags in Wien im Jahr 1933 gefeierte „Betsingmesse“ gesehen.
Der Zweite Weltkrieg führte zur Unterbrechung seines Wirkens: Die Nationalsozialisten hoben 1938 das volksliturgische Zentrum auf, 1941 ereilte das Stift dasselbe Schicksal. Parsch wechselte in die Pfarre Floridsdorf am heute nach ihm benannten Platz in Wien XXI. Nach dem Krieg nahm Parsch seine Arbeiten wieder auf und lehrte erneut an der hauseigenen Hochschule – nun allerdings nicht mehr Pastoraltheologie, sondern Neues Testament. Die Hinwendung zur Heiligen Schrift zeigte sich auch in der Gründung des „Klosterneuburger Bibelapostolats“, das ab 1950 das „Volksliturgische Apostolat“ ergänzen sollte. Das Ende seines Wirkens leitete ein Schlaganfall im Sommer 1952 ein, wenige Wochen nachdem ihm die Ehre zuteilwurde, am Internationalen Eucharistischen Kongress in Barcelona einen Hauptvortrag zu halten. Zwei Jahre später, am 11. März 1954, verstarb Pius Parsch im Alter von 69 Jahren. Seine letzte Ruhestätte fand er in der „Wiege der Volksliturgischen Bewegung“, der Kirche St. Gertrud.
Volksliturgie
Das Leben und Wirken Parschs war geprägt von der Grundhaltung, mit sanfter Zähigkeit vorzugehen. Das lässt sich an folgenden Beispielen ablesen. Was für uns heute nahezu selbstverständlich erscheint, war zu Lebzeiten von Parsch ein Wunschtraum: Der Gottesdienst wird von der gesamten Gemeinschaft gefeiert. Der Zustand, den Parsch vorfand, als er selbst als Seelsorger zu wirken begann, war ein anderer: Der Klerus zelebrierte die Messe in einer dem/der gewöhnlichen Gläubigen kaum mehr zugänglichen Form und Sprache und das Volk wohnte dem heiligen Spiel im besten Fall fromm bei. Das konnte Parsch – und mit ihm viele andere Vertreter der Liturgischen Bewegung – nicht hinnehmen, sodass er es sich zum Ziel machte, dem Volk seine Liturgie zurückzugeben, sie wieder zum Volks-Werk zu machen. Im Bewusstsein, dass es sich dabei um eine Tautologie handelt, überschrieb er sein zentrales Anliegen mit dem Begriff „Volksliturgie“. Der Weg zu diesem Ziel führte nach Parsch über mehrere Etappen. Es galt, dem Volk zu ermöglichen, am eucharistischen Gottesdienst wieder teilzuhaben. Konkret bedeutete dies, das Wort Gottes zu hören und in der Kommunion Christus zu empfangen. Das Lateinische und Fehlentwicklungen in der Kommunionpraxis hatten dies bisher erschwert. Zunächst seien die Menschen zum Verstehen der Liturgie hinzuführen, bevor sie im nächsten Schritt dann aktiv teilnehmen könnten. Rückenwind aus Rom für sein Anliegen wollte der Klosterneuburger Chorherr nicht nur im Schreiben von Pius X. Tra le sollecitudini (1903) erkennen, in dem uns zum ersten Mal die Wendung participatio actuosa begegnet. Auch ein weiterer Pius, nämlich Pius XII., widmete nun der Liturgie im Gesamten eine Enzyklika, Mediator Dei (1947). Bei aller kritischen Würdigung des Schreibens, das auch vor Auswüchsen der liturgischen Bewegung warnt, sieht sich Parsch in seinem Vorhaben grundsätzlich gestärkt. Für ihn gelte weiterhin, den Weg zu bahnen von Privatmessen des Priesters hin zur gemeinschaftlichen Feier der gesamten christlichen Gemeinde. Dabei, so Parsch in Volksliturgie, „wollen wir uns gewiß vor Übereifer bewahren und mit den Gegebenheiten abfinden, aber mit sanfter Zähigkeit wollen wir auch dieses Ziel unserer Bewegung verfolgen. Wir glauben nicht, daß dies dem Geist und Sinn des Papstschreibens widerspricht.“4 Mit sanfter Zähigkeit sei nicht nur deswegen vorzugehen, um mit der kirchlichen Hierarchie nicht in Konfrontation zu treten, sondern auch, weil sich Parsch bewusst war, dass das Volk erst langsam wieder hingeführt werden muss zu seiner ureigentlichen Aufgabe, Verantwortung im Gottesdienst zu übernehmen. Das darf nicht überstürzt geschehen, sondern muss beharrlich verfolgt werden, eben mit sanfter Zähigkeit.
Teilnahme am Gottesdienst
Das zentrale Anliegen sah der Klosterneuburger Chorherr darin, die aktive Teilnahme an der Liturgie zu fördern. Dabei steht eine aktive Teilnahme nicht im Gegensatz zur geistigen Teilnahme, sondern ergänzt diese. Und auch hier fordert Parsch wieder ein, mit der für ihn typischen sanften Zähigkeit vorzugehen. Auch wenn zu Lebzeiten Parschs noch viele Hindernisse im Weg standen, hat er sein Ziel nicht aus den Augen verloren:
„Die römische Liturgie setzt nicht bloß die Anwesenheit des Volkes voraus, sondern dessen aktive Teilnahme, und diese soll neu gepflegt werden. Das ist unser Ziel, das wir hundertprozentig im Auge behalten. Wir haben freilich schon angedeutet, daß die Verwirklichung dieses Zieles langsame Schritte [sic!] machen muß. Das Volk muß erst für die Aktivität erzogen werden. Deshalb müssen wir es allmählich dazu führen. Außerdem hat die aktive Teilnahme in der kirchlichen Gesetzgebung und Gewohnheit eine geringe Stütze; wir müssen daher tastend vorfühlen und die Möglichkeiten der aktiven Teilnahme experimentell erproben. Da gilt es oft, jahrhundertelange Gebräuche und Gewohnheiten zu überwinden, was oft auf Widerstände bei Volk und Klerus, bei der kirchlichen Obrigkeit stößt. Doch wir wollen das unbestreitbare Prinzip der aktiven Teilnahme hochhalten und mit sanfter Zähigkeit in die Tat umsetzen.“5
Parsch ist sich bewusst, dass seine Mission heikel ist, sie ist ihm aber so wichtig, dass er trotz aller Widerstände nicht davon ablassen will. Und er ermutigt seine Mitstreiter(innen), es ihm nachzutun. Er wusste, dass es nicht von heute auf morgen gelingen würde, alle Gläubigen wieder aktiv am Gottesdienst teilnehmen zu lassen, und rief zum Durchhalten auf – nicht nur die Leser(innen) der Volksliturgie, sondern wohl vor allem auch sich selbst.
Liturgische Gemeinde
Für die Verwirklichung der Anliegen des volksliturgischen Apostolats empfiehlt Parsch verschiedene Wege. So müssen z.B. Priester für das Anliegen begeistert werden, dann braucht es liturgische Pfarren oder Gemeinden, wie er es nennt. St. Gertrud, eine romanische Kirche in Klosterneuburg, bildet die „Übungsschule“ für Parsch selbst: eine liturgische Gemeinde, die eine homogene Gruppe von Gläubigen bildet und begeistert gemeinsam Gottesdienst feiert. Parsch unterscheidet diese kleinere Gruppe innerhalb einer Pfarre von der liturgischen Pfarre im Ganzen, die das Ideal darstellt:
„Da wird das Tempo der liturgischen Arbeit langsamer sein. Der Pfarrer muß eben Rücksicht nehmen auf die Nichtliturgischen, muß auch Ehrfurcht vor den überlieferten Formen haben. Es wäre für den Pfarrer verhängnisvoll, wenn er zu radikal vorginge. Da könnte er mehr verderben als nützen. Die Methode des volksliturgischen Aufbaues in der Pfarre muß also sein: langsam und allmählich steigern; kein Experimentieren, nichts Altes abschaffen, ehe man etwas Besseres an die Stelle gesetzt hat; anknüpfen an vorhandenes Gutes, Ehrfurcht vor der Tradition. Der Pfarrer muß das Ziel liturgischer Erneuerung fest im Auge behalten, in der Durchführung des Zieles aber mit Teillösungen rechnen. Er