Verlag Echter

Geist & Leben 2/2022


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sein, es ist auch kein Mantra oder – wie Bourgeault es ausdrückt – „Minenräumgerät zur Vertreibung anderer Gedanken“23. Es ist ein Symbol oder Platzhalter für die eigene Intention, die Zeit Gott zu schenken und sich seiner Führung zu überlassen.

      Die non-possessiveness als Übersetzung der kenosis in eine (kontemplative) Haltung wird also im Kontext des Centering Prayer radikal ernst genommen und eingeübt, um tatsächlich alle Formen des Verhaftetseins zu lösen. Die mentalen und manchmal sogar physisch wahrnehmbaren Schmerzen, welche dabei entstehen können, gilt es (auch sie sind „Gedanke“) loszulassen. Keating unterscheidet freilich klar zwischen einem Leiden auf dem Hocker und einem Leiden außerhalb der Gebetszeiten. Zu leicht könnte die Praxis des Centering Prayer als in den Masochismus abgleitende Form der Meditation missgedeutet werden.

      Kenosis und Alltag: hingebungsvoll die Welt gestalten

      Aus der Fülle Gottes heil werden

      So führt uns das Verständnis von kenosis im Kontext des Centering Prayer weit weg von sich geißelnden Mönchen. Im Gegenteil: Es wird ein Weg aufgezeigt, der den Menschen von der (Selbst-)Verletzung hin zur Heilung und einem Leben in Fülle gelangen lässt.

      1Für eine kleine Einführung vgl. K. Kieslinger, Wie die Stille in das Leben überschwappt. In memoriam Thomas Keating OCSO (1923–2018), in: GuL 92