hinter nahezu allen Erscheinungen ausmacht, relativ leicht unterscheiden. In der Praxis ist dies hingegen weitaus schwieriger.
Der Mord an US-Präsident Kennedy (Foto) führte zu einer der meistdiskutierten Verschwörungstheorien der jüngeren Geschichte.
Zwar finden Theorien wie etwa David Ickes Behauptung einer Unterwanderung der Menschheit durch reptilartige Außerirdische in der öffentlichen Meinung kaum Rückhalt. Analoge Stoffe sind durch zahlreiche Romane und Drehbücher – bis hin zum Krieg der Welten, einem legendären Hörspiel von Orson Welles(Buch: H. G. Wells) – verbreitet; doch das Publikum zieht solche Fiktionen meist nicht zur Wirklichkeitserklärung heran. Häufig sind aber die Grenzen zwischen einer realistischen Befürch-tung und einem wahnhaften Verschwörungsmythos fließend. Rationale und ideologische Realitätsdeutung gehen vor allem dort ineinander über, wo eine Zentralsteuerungshypothese sich nicht überprüfen lässt. Denn tatsächliche Verschwörungen sind immer durch strikte Geheimhaltung gekennzeichnet und daher schwerlich nachweisbar. So halten viele Zeitbeobachter z. B. den Verdacht für diskutabel, dass am Attentat auf John F. Kennedy mehr Menschen beteiligt waren als nur Lee Harvey Oswald. Unaufgeklärte Ursachen für einzelne Geschichtsereignisse können also den Glauben an weitere, bisher noch nicht entdeckte Verschwörungen stützen. Dies kann einer Verschwörungsideologie den Anschein einer Faktenbasis und legitimen Geschichtsdeutung verleihen, so dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung scheinbar eine seriöse Diskussion verdient. Umgekehrt können seriöse Vermutungen aber auch als irrationale Verfolgungshysterie dargestellt und Aufklärungsbemühungen damit abgeblockt werden.
Bei folgenden Beispielen ist fraglich, ob sie einer Zentralsteuerungshypothese oder einer Verschwörungsideologie zuzuordnen sind:
• Präsident Roosevelt habe Informationen über den bevorstehenden Angriff der Japaner auf Pearl Harbor absichtlich zurückgehalten, um so den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg in der Öffentlichkeit durchsetzen zu können. Diese Denkfigur entspricht einer „passiven Verschwörungstheorie“.
• Papst Johannes Paul I. sei nach nur 33 Tagen auf dem Stuhl Petri ermordet worden, weil er die Betrügereien des Banco Ambrosiano habe aufdecken wollen.
• Die Lampenindustrie betreibe die technisch längst mögliche Produktion von Ewigkeitsglühbirnen absichtlich nicht, weil sie an rasch durchbrennenden Glühlampenmehr verdiene.
• Die Automobilindustrie verzichte auf den Einsatz von rostfreiem Stahl bei Auspuffanlagen nur deshalb, weil das die Umsätze mit deren regelmäßigem Austausch ge-fährden würde.
• Die Außenpolitik der USA beruhe ganz überwiegend auf dem – maßgeblich von einigen Ölbaronen gesteuerten –Versuch, Ölreserven in aller Welt in amerikanische Hände zu bringen.
Solche Thesen sind bis auf weiteres nicht beweisbar oder widerlegbar, da die Faktenbasis dafür nicht ausreicht und die Deutung der zugänglichen Fakten Werturteilen unterliegt, die nicht objektiv überprüfbar sind. Zwischen Wahrheit und Täuschung kann hier also nicht absolut entschieden werden. Allenfalls können sich Gruppen von Interessierten durch kommunikatives Handeln auf eine Sichtweise einigen, die aber keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann.
Als Kriterien zur Unterscheidung diskutabler Hypothesen von unseriösen Verschwörungsideologien können zwei Aspekte gelten:
• der Grad der Abschottung von oder der Offenheit für alternative Erklärungsmodelle,
• ihre Funktion im politischen Diskurs.
Dient eine Verschwörungstheorie einem offenkundig politischen Zweck und wird aus ihr ein Machtanspruch oder gar die Forderung nach gewaltsamem Handeln abgeleitet, dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine Verschwörungsideologiehandelt. Ihre Aufgabe ist dann offenkundig nicht, Transparenz zu schaffen, sondern Mehrheiten zu organisieren oder – mithilfe des Faktors „Angst“ – zu erpressen.
Korrekturfähigkeit durcheine rationale Diskussion besteht damit kaum oder gar nichtmehr.
Andererseits kann eine als wahr erwiesene Geschichtsdeutung– wie etwa im Fall der Tatsächlichkeit des Holocaust – kaum darauf verzichten, sich öffentlich gegenüber Deutungsmustern zu behaupten, die diese Tatsächlichkeit bestreiten. Sonst wäre einer verschwörungstheoretischen Holocaustleugnung – unter Umständen mit fatalen politischen Konsequenzen – Tür und Tor geöffnet.
Verschwörungstheorien in der Geschichte
Antike, Mittelalter und frühe Neuzeit Verschwörungstheorien hat es wahrscheinlich immer gegeben– der Historiker Dieter Groh spricht daher auch von einer „anthropologischen Konstante“. Auffällig ist aber, dass sie vor Beginn der Neuzeit nur vereinzelt Massenwirksamkeit erhielten.
Aus der Antike sind zwar mehrere große Verschwörungen überliefert (beispielsweise die catilinarische des Jahres 63 v. Chr. Oder die pisonische des Jahres 65 n. Chr). Dennoch gibt es nur wenige Beispiele für konspirationistisches Denken – es spielte aber vermutlich im Jahr 415 v. Chr. beim athenischen Hermenfrevel eine Rolle, wo es Alkibiades in die Desertiontrieb. Als hoch wirksame Verschwörungstheorie kann man die Brandstiftertheorie nennen, die die neronische Christenverfolgung auslöste.
Andererseits führte man im Mittelalter die Pest auf angebliche Brunnenvergiftungen durch die Juden zurück oder wähnte geheimes und illegales (nämlich den Lehren der Kirche widersprechendes) Glauben und Handeln bei so genannten Ketzern wie den Katharern, Waldensern oder den Templern. Die Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit funktionierten nach demselben Schema: Ein Unglück war geschehen, man identifizierte einen greifbaren Sündenbock, dem man dann den Prozess machte.
Allgemein aber waren Verschwörungstheorien im Mittelalter eher selten, da die meisten unerfreulichen Ereignisse nicht mit den Machenschaften menschlicher Verschwörer, sondern mit dem unerforschlichen Ratschluss Gottes erklärt wurden.
17. Jahrhundert: Anti-jesuitische Verschwörungstheorien
Das Vollbild einer Verschwörungstheorie als Geschichtsbildlässt sich das erste Mal im England des elisabethanischen Zeitalters nachweisen, als Jesuiten versuchten, auf illegalem Wege nach England zu kommen, um für die Rekatholisierung des Landes zu wirken. Unter der Folter gestanden diese Jesuiten dann ihre Verwicklung in verschiedene Mordanschläge auf die Königin oder den Sprengstoffanschlag auf das Parlament.
Dieses Musterbild der vom Ausland gesteuerten Jesuiten-Verschwörung fand ihren Höhepunkt 1678 in der „Papisten-Verschwörung“, dem so genannten „popish plot“: Angeblich hätten Katholiken geplant, den König umzubringen, um seinen Bruder, den späteren James II. auf den Thron zu setzen. Diese unbegründete Unterstellung nahm die Whig-Opposition zum Anlass, gegen Königstreue, Konservative und Katholiken Front zu machen, von denen insgesamt 35 wegen Hochverrats unschuldig hingerichtet wurden.
Nachdem der „popish plot“ als Schwindel aufgedeckt und sich nach der Glorious Revolution von 1688 die Gegner des neuen Königs Wilhelm von Oranien als „die loyale Opposition seiner Majestät“ bezeichnet hatten und damit verschwörerischer Um-triebe nicht mehr verdächtig waren, kam es zu einer Beruhigung der politischen Öffentlichkeit in England. Das Bild vom Jesuiten als konservativ-katholischem Konspirateur, der von Rom aus seine verderblichen Fäden zieht, fand aber Eingang in den Diskurs der französischen Aufklärung, zum Beispiel in die Encyclopé die Diderots und d’Alemberts.
Nicht zuletzt als Folge dieser Verschwörungstheorie wurde der Orden 1773 aufgelöst. Im 18. Jahrhundert hatten sich im Zusammenhang mit dem „Jesuiten-Staat von Paraguay“ und dessen Zerschlagung einige Jesuiten nämlich gegen die Herr-schaftsansprüche der spanischen und der portugiesischen Krone gewandt und schienen damit die antijesuitische Verschwörungstheorie zu bestätigen.
18. Jahrhundert: Französische Revolution
Einer Verschwörungsideologie entsprach in der Französischen Revolution auch die Verfolgung politischer Gegner mit Hilfe der Guillotine.