leuchtet das Sternenzelt, in der Wildnis von Periyar ist der Nachthimmel noch frei vom Lichtschmutz der Städte. „...tausend Sterne schaun uns zu, führen uns ins Reich der Träume...“ Die Inder haben sie auch um ein Lied gebeten, erzählt Kerstin mir später. Da sei ihr der Mann im Mond eingefallen. Die Fünf seien sehr andächtig gewesen, fast gerührt.
Um fünf Uhr morgens rücken die Elefanten nahe ans Lager. Sie wollen ihres Weges ziehen. Das Feuer hält sie auf ein paar Dutzend Meter Abstand. Wir frühstücken Fladenbrot mit Schwarztee. Zum nächsten Camp sind es nur ein paar Kilometer. Diesmal ist es elefantensicher. Gräben, vermutlich noch von den Briten gezogen, stecken den Platz ab. Wir deponieren das Gepäck und wandern einen Berg hinauf. Unser Blick streift über dichten Laubwald, trockene Graslandschaft. In der Ferne auf einer Anhöhe liegt ein kleiner Hindu-Tempel. An einem einzigen Tag im Jahr, zum Tempelfest, ist er geöffnet. Für uns riecht es nach katholischem Hochamt: Einer der Träger entdeckt im Wald Weihrauch und zündet ihn an. Unsere Dschungelpiraten geben uns Nachhilfe in Gewürzkunde: Wilden Pfeffer, Zimt, auch Wildbananen gibt es, alles erntefrisch, alles kostenlos, greifen Sie zu, meine Dame.
Es ist drückend heiß, die Baumwolle klebt am Körper. Die Schweißbäche auf meinem Körper riechen vermutlich noch die Tiger in Bengalens Sundarban-Sümpfen. Es geht durch mannshohes, dichtes Elefantengras. Die Sicht ist gleich null. Wohl ist mir nicht in meiner Haut. Ein Gefühl von Kontrollverlust. In einem schlechten Abenteuerroman würde uns jetzt ein Tiger oder Panther wie aus dem Nichts anspringen. Noushad oder Tanghan laufen immer vorneweg. Sie machen keinen nervösen Eindruck. Sie sind in anderen Situationen unruhig: wenn Elefanten in der Nähe sind oder wenn wir nachts in der Dunkelheit austreten müssen und uns mehr als fünf Meter von Zelt und Feuer entfernen. Was, wenn der deutsche Sahib versehentlich einer Kobra auf den Kopf pinkelt?
Der Rückweg führt uns durch offenes Grasland. Aus dem Wald kommt eine Horde Wildschweine auf uns zu. Die Tiere bemerken uns und machen kehrt. Die Wildschweine tauchen immer in Rotten von zwanzig bis vierzig Tieren auf. Mit ihren scharfen Hauern nehmen sie es im Notfall mit Tigern, Leoparden und Rothunden auf. Am Seeufer machen wir in sicherem Abstand eine Herde Dschungelrinder aus. Im Unterholz dann der Schreck: ein mächtiges Vieh in zwanzig Meter Entfernung - ein einzelner Gaur. Zum Glück flüchtet das überraschte Tier. Anders als die afrikanischen Wasserbüffel sind die indian bisons nicht aggressiv, sondern scheu.
Wir marschieren in Gänseformation in Nähe des Sees. Noushad hat jetzt das Gewehr und geht vorneweg. Es ist Spätnachmittag. Tanghan ist wieder nervös, weil wir uns am Seeufer wie auf dem Präsentierteller bewegen. Wir schweigen lieber. Hinter einer Behelfsbrücke mache ich ein Tier aus. Rotbraunes Fell, vielleicht 1,20 Meter Schulterhöhe. Im ersten Moment denke ich an einen Tiger. Typische Touristenhalluzination. Es ist eine Sambar-Hirschkuh, ein Pferdehirsch. Sambar-Hirsche mischen sich gerne unter Gaure, um sich vor Tigern und Asiatischen Wildhunden zu verstecken. Die Dschungelrinder sind auch nicht weit entfernt. Am Seeufer weidet eine Herde. Die Tiere haben uns längst bemerkt. Fünf Minuten lang visieren sie uns friedlich an, dann hauen sie ab.
In der dritten Nacht ist es kalt, es hat geregnet, Nebel kriecht über den Boden, Frösche quaken. Gegen sechs Uhr früh reißt uns ein tiefes, durchdringendes, schauderhaftes Gebrüll aus dem Schlaf. Auuuuun! Zuerst glaube ich schlecht geträumt zu haben, aber das Gebrüll überdauert das Aufwachen. Es ist markerschütternd. So etwas habe ich noch nie gehört. Der Tiger ist da. Aber wo? Den Dezibel nach zu urteilen, könnte er vor dem Zelteingang stehen. Er ist freilich noch ein sicheres Stück entfernt. Wir machen uns auf. Kerstin wird später sagen, so schnell sei ich noch nie aufgestanden. Tanghan kommt aufgeregt ins Camp gelaufen. Er hat den Tiger gesehen. Vom Waschplatz aus. Im Schlafanzug. Einen Steinwurf von unserem Lager entfernt liegt ein kleiner See mit Steg. Tanghan hörte dort wie wir den Tiger. Und er sah ihn. Aus vielleicht 200 Metern Entfernung. Dann rannte unser Gewehrträger weg, zurück ins Lager, denn ausgerechnet zur Morgenwäsche hatte er sein Gewehr nicht mitgenommen.
Wir machen uns sofort auf. Mit Gewehr und Fernglas. Der Fährtenleser sagt, der Tiger jage einen Sambar-Hirsch. Wir laufen zügig durch flaches, feuchtes Grasland in Richtung des Waldrandes, wo Tanghan das Tier zuletzt gesehen hat. Noushad macht die erste Spur aus. Tiefe Tatzenabdrücke. Eine Tigerin, sagt der Fährtenleser. Das Tigerweibchen habe Junge. Wie in Gottes Namen weiß er das alles? Wir halten Ausschau, finden neue Spuren, hören aber kein Gebrüll mehr. Wir stehen ratlos am Waldrand. Die Tigerin ist im Wald verschwunden. Der Dschungel hat sie verschluckt. Hinterherlaufen oder nicht?
Noushad und Tanghan beraten sich. „Wir gehen nicht weiter“, sagt Tanghan entschlossen. Unser Tigerpfad endet hier. Im Wald ist es zu unübersichtlich. Wenn wir der Tigermutter folgen, könnte sie uns angreifen, weil sie ihre Jungen in Gefahr sieht. Wir drehen ab, packen unsere Sachen. Tanghan hat seinen fünften Tiger gesehen. Uns hat Shir Khan nur geweckt.
Blut, Schweiß und Hyänen
Unter Löwentötern. Leben in einem Massai-Dorf
Niemand bläst zum Halali, keiner hat sich Jagdschale geschmissen, keine Hundemeute wird die Witterung des Wildes aufnehmen. Die merkwürdigste Jagdgesellschaft unter Afrikas Sonne schleicht geräuschlos durch den Kral in Richtung Savanne: drei junge Hausfrauen in Sommerkleidern à la „Woolworth“-Wühltisch, nur mit leeren Getreidesäcken bewaffnet, ein kaum zehnjähriger Bub in Shorts und zerrissenem T-Shirt, der Fährtenleser, an die fünfzig, mit seinem ulkigen Zylinder und abgetragenem dunklen Flickenjacket, Daniel, der siebzehnjährige Oberschüler, im Sonntagsgarn, voran der alte Jäger mit seinem Gewehr, auf dem Kopf eine beige Safari-Kappe.
Die drei Frauen sollen auf dem Rückweg das Fleisch tragen. Fragt sich nur, von welchem Tier. Mich interessiert: „Daniel, can I come with you?“ Niemand hat etwas dagegen. Sieben Schwarze und ein Weißer ziehen in die Savanne Ostafrikas, sieben wegen der Dürre und der schlechten Maisernte im Norden Tansanias, einer aus Neugier. Die Savanne beginnt direkt vor den Lehmhütten und Steinhäusern der dreitausend Massai von Longido und wird nur von der Nationalstraße A 104 zerschnitten, die von Arusha durch das Massailand immer nach Norden führt, bis nach Nairobi.
Wir überqueren die Straße, lassen die Polizeistation und den Gemischtwarenladen an der A 104 hinter uns liegen. Vor uns die Trockensavanne: hüfthohes Buschgras, Schirmakazien, Dorngestrüpp. Achtzig Kilometer westwärts sind es bis zum Natronsee, weitere achtzig bis zum Ostrand der Serengeti, der „unendlichen Ebene“, wie es in der Sprache der Massai heißt, dem „Weltnaturerbe der Menschheit“, das im Westen den Viktoriasee berührt und im Norden bis zur kenianischen Grenze reicht, Weidegrund von 1,3 Millionen Gnus, 500.000 Thomson-Gazellen, 200.000 Zebras, ungezählte Giraffen, Elefanten, Spitzmaulnashörnern und Kaffernbüffeln, Jagdgrund von 2.000 Löwen, 700 Geparden, einem nimmersatten Heer von Leoparden, Hyänen, Wildhunden, Schakalen und anderen Bekannten aus Brehms Tierleben.
Die Serengeti, so groß wie Schleswig-Holstein, ist „der letzte Fleck in Afrika, wo es noch Riesenherden gibt, die über die Steppen stampfen wie einst das Meer der Bisons über die Graswellen der Prärien Nordamerikas“, schrieb Bernhard Grzimek 1959 in seinem Klassiker „Serengeti darf nicht sterben“.
Nur wenige Runddörfer viehtreibender Massai zeugen heute von menschlichem Dasein in der Wildnis zwischen dem Serengeti-Nationalpark und der A 104. Die Nachmittagssonne treibt den Schweiß. Die Furcht, im Buschgras einer aggressiven Schwarzen Mamba über den Weg zu laufen, ist ein treuer Begleiter. Schon nach zehn Minuten Fußmarsch macht der Fährtenleser eine Schar Thomson-Gazellen aus. Aber zweihundert Meter sind eine weite Schußdistanz. Der Jäger pirscht sich allein an die scheuen Tiere heran.
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Szenenwechsel. Mittwoch in Longido. Es ist Viehmarkt. Massai aus der ganzen Region, etliche aus Kenia, treiben ihre Rinder in den von Steinmauern umfriedeten Auktionspferch. Manche kaufen dazu, andere verkleinern ihre Herden. Vor allem aber ist der wöchentliche Markt Neuigkeitenbörse - für Nachrichten von Geburt und Tod, Heirat und Beschneidungsfesten, für Spekulationen über Regen und das Ende der Dürre. Rinder sind Statussymbol, der Stolz der traditionellen Massai, die sich für Gottes auswerwähltes Volk halten. Gott, so glauben sie, hat das Vieh allein für sie bestimmt. Fremden Vieh zu stehlen, halten sie daher für legitim. Ackerbau und staatliche Autorität aber lehnen sie ab.