Julia Born

Ruhm und Cola


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versinken, statt wie eine Ampel meine Emotionen nach außen zu spiegeln? Ohne dass ich seine Bewegung wahrgenommen hatte, umschloss Alex plötzlich meine Hand mit seinen langen, kalten Fingern. Das Zittern stoppte und meine Tür sprang auf.

       Mein Herz klopfte bis zum Hals und gleichzeitig fraß sich ein wütender Feuerball durch meinen Magen. Übergriffiger Scheißtyp. Ich hatte ihn nicht um Hilfe gebeten. Fairerweise musste man sagen: Er mich allerdings auch nicht. Erneut nahm ich am heutigen Tage all meinen Mut zusammen und drehte mich zu ihm um. Durch die Aktion mit dem Schlüssel stand er so nah hinter mir, dass ich fast gegen seine Brust prallte. Konnte es noch unangenehmer werden? »Das ist jetzt der Augenblick in Kitschromanen, in denen sie sich immer verlieben«, vernahm ich plötzlich meine eigene Stimme. Hatte ich das gerade wirklich laut gesagt? Ja. Hatte ich. Ich selbst wusste natürlich, dass diese speziellen Anmerkungen meinerseits stets als Scherz gemeint waren und dem Umstand geschuldet, dass ich meine Umwelt gerne mit literarischen Fakten nervte. Bei Fremden, wie Alex einer war, kam diese Marotte jedoch meistens eher semi-gut an. Richtig getippt. Als hätte ich ihm einen Schlag versetzt, wich er einen Schritt zurück und legte die Stirn in irritierte Falten. »… ich arbeite in einer Buchhandlung.« Ergänzte ich, als wäre das eine plausible Erklärung. Wow. Das war noch eloquenter als der Satz davor. Was war denn los mit mir. Mein neuer alter Nachbar stand immer noch leicht fassungslos zwei Schritte von mir entfernt, schob nervös die Ärmel seines schwarzen Longsleeves nach oben, als würde er sich für einen Kampf wappnen und schien mit der Situation ebenso überfordert wie ich. Eine Lösung musste her, sonst würden wir sicher noch übermorgen hier stehen und uns anglotzen. »Okay. Nochmal von vorne«, drückte ich die verbale Reset-Taste. Mein Tonfall war entschlossen. Ich konnte das hier nicht so stehen lassen und schlimmer konnte es kaum werden. Ich wollte nicht den Rest meines Lebens die seltsame Alte von gegenüber sein, an der man seine Freunde grußlos und tuschelnd vorbeischob.

       Alex hob erwartungsvoll eine Augenbraue, aber der Rest seines Gesichts war immer noch angespannt, sein Kiefer mahlte und die Hände hatte er mittlerweile vor der Brust verschränkt, als hätte er Angst davor, ich würde danach greifen und ihm im Anschluss in einem Stück auffressen oder noch schlimmer: direkt einen Ring an den Finger stecken. Ich verdrängte den spontanen Impuls, ihn zur Klärung in meine Wohnung zu bitten, denn in Anbetracht meiner Konversations-Entgleisung wenige Sekunden zuvor, schien mir der Hausflur deutlich unverfänglicher. »Eigentlich nennen mich alle Lizzy. Das nur zur Info. Ich bin wirklich kein völliger Creep, ich kann nur manchmal meine Klappe nicht halten. Ich bin ein Nerd, wenn es um Bücher geht und würde Nudeln immer Kartoffeln vorziehen.« Meine Mundwinkel verzogen sich zu etwas, was ein entschuldigendes Lächeln darstellen sollte, während ich darauf wartete, dass er mich endlich kommentarlos stehen ließ. Doch das tat er nicht. »Also … ähm … Ich mag keine Tomaten. Viel zu glibberig«, kam es zögerlich über seine Lippen. Das alles hier war so skurril, dass mir nichts anderes übrigblieb als laut aufzulachen. Das Eis zwischen uns war gebrochen. Alex fuhr sich verlegen mit der Hand durch die blonden Haare und strich sich dabei eine eigensinnige Strähne hinters Ohr. »Was denn? Wer hat denn angefangen?« Nun konnte er sich auch nicht mehr zurückhalten und ein verschmitztes Grinsen legte sich auf seine Lippen. Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Oh Mann, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich heute nochmal lache.« Nicht ohne ein bisschen beeindruckt von mir selbst zu sein, wandte ich mich zum Gehen: »Gern geschehen, Herr Nachbar.«

      Gegenwart

      Je weiter der Abend voran Schritt, desto offensiver schaltete Sophie in den Flirt-Modus und selbst wenn das zwischen ihr und Felix immer noch Geplänkel war, wusste ich, dass sie es sehr genoss. Mir juckte es in den Fingern, sie damit aufzuziehen, aber gleichermaßen widerstrebte es mir, ihr dazwischen zu funken. Wie bei Alex auch, war es schön, sie gelöst und glücklich zu sehen. Während also rechts und links von mir ausgiebig die Hormone wallten, lehnte ich mit dem Rücken an den Tresen und stocherte mit meinem Strohhalm im angetauten Eis meines Drinks. Außer meinen beiden Freunden befanden sich jede Menge Kumpels von Alex in der Bar, die ich schon tausend Mal gesehen und mit denen ich nach Konzerten mindestens ebenso viele Getränke konsumiert hatte. Dennoch fiel es mir, auch nach all den Jahren, schwer, mich einfach irgendwo dazu zu gesellen. Wenn ich eins gelernt hatte, seit Alex das erste Mal im Treppenhaus aufgetaucht war, dann, dass das Musik-Business eine eingeschworene Gemeinschaft war, die sich zwar offen und freundlich gab, im Stillen aber deutlich klassifizierte und in Schubladen verteilte.

      Ganz hoch im Kurs standen Band und Crew. Gleich danach liefen Partner, alte Freunde und Familie. Und irgendwo abgeschlagen kamen neue Freunde, Bekannte und Fans. Eine Medaille mit zwei Seiten, denn ich war ehrlich gesagt sehr froh darüber, dass Alex mich bei gravierenden personellen Engpässen während einer Tour noch nie gebeten hatte, auszuhelfen, da sich immer jemand anderes aus der Szene fand, der einsprang. Für mich war es immer wieder ein wunderschönes Privileg, Konzerte einfach aus der Menge oder von der Seite aus zu sehen, ohne dabei irgendeine Verantwortung oder Kiste tragen zu müssen. Auf der anderen Seite dümpelte ich bei seinen Musikerkollegen mit diesem passiven Verhalten auch nach vier Jahren noch irgendwo zwischen »Wer ist das nochmal« und »Fan«. Labels, die ich mir selbst vielleicht nicht unbedingt ausgesucht hätte, mit denen ich aber wunderbar klarkam. Ich mochte die Musik, die Alex’ Band machte und auch die Bands, die er als Tontechniker begleitete sah ich mir immer wieder gerne an, wenn sie in Berlin spielten. Alles in allem kein großes Problem, wären da nicht Abende wie dieser, an denen ich mich plötzlich und unvermittelt allein unter Menschen fühlte. Und auch wenn ich sonst immer cool und abgeklärt tat, förderten diese Momente Komplexe bei mir zutage, die ich nur zu gern versteckte und die ich spätestens seit meinem Ausstieg aus dem Agentur-Alltag und dem gescheiterten Versuch in die schnelle, trendige Berliner Medienwelt zu passen, abgelegt zu glauben hatte. Leider schien ich von der einen Bubble in die nächste zu stolpern. Nur dass der Musikzirkus deutlich weniger unangenehm war und manchmal eben doch Ausnahmen machte. Als ich Alex kennengelernt hatte, war er definitiv so eine Ausnahme gewesen. Völlig unbeeindruckt von Strukturen und irgendwelchen ungeschriebenen Regeln. Frei von den typischen Klischees, die man mit einem allgemeingültigen Musiker verbinden würde. Mittlerweile jedoch kamen mir langsam Zweifel, wie sehr er sich von seinem Umfeld wirklich beeindrucken ließ und wie viel aus seinem tiefsten Inneren kam. Ich bildete mir ein, die Seite von ihm zu kennen, die er hier nicht zeigte. Die weiche, verletzliche Seite weit weg von Coolness und dem siebenunddreißigsten Monolog über irgendeine total krasse Band, die man nur wirklich kennen konnte, wenn man ein Insider war. Ich seufzte tief. Hoffentlich würde Alex sich nicht komplett in dieser Welt verlieren. Und wenn ich ganz ehrlich zu mir war, meinte ich damit: Hoffentlich würde ich ihn nicht verlieren. Ich gehörte nicht in dieses Business. Es war okay, dass man mich nur duldete. Aber was, wenn selbst diese Duldung irgendwann verloren ging?

      Noch einmal sah ich mich um und konnte immer noch keine Gruppe ausmachen, in deren Gesellschaft ich mich wohl gefühlt hätte. Also schnappte ich mir meine Jacke und trat kurzentschlossen den Heimweg an. Mit einer schnellen Textnachricht informierte ich Sophie über meinen Verbleib, falls sie sich nach dem Erwachen aus ihrem Flirt-Koma Sorgen machte. Alex sagte ich nicht Bescheid. Mir war klar, dass er mich an diesem Abend, völlig zurecht, nicht mehr vermissen würde.

      Als die Kneipentür hinter mir ins Schloss fiel, blinkte eine Nachricht auf meinem Telefon auf. Mit vor Aufregung kribbelnden Fingern wischte ich hoch. Die automatische Vorsorge-Erinnerung meines Zahnarztes blinkte auf und rundete diesen fantastischen Tag perfekt ab.

      Vier Jahre zuvor

       Die Luft flimmerte trotz des bereits frühen Abends immer noch warm und trieb alle überzeugten Großstädter auf die Grünflächen der Parks. Die Masse an Menschen, das Gemisch aus lauten Stimmen und einem langen Tag ließen meinen Kopf schwer werden – das gerade geöffnete Bier tat sein Übriges. »Wie sieht er denn aus? Hast du ihn mal gegoogelt?«, löcherte mich Ellen mit einer weiteren Frage während Marie, ebenfalls eine ehemalige Kollegin, auf der Decke neben uns lag und bedeutungsschwanger in den Himmel starrte.