zwei oder drei Jahren gegen eine andre Dame ausgefochten habe. Es habe sich dabei um Vergebung einer Stelle in einem Stift an zwei rivalisierende Kandidaten gehandelt. Es sei außerordentlich viel gedruckt, geredet, bevollmächtigt und abgestimmt worden und habe große Lebhaftigkeit da und dort gesetzt, wenn auch die Folge war, daß keiner der beiden Kandidaten die Stelle erhielt.
Ich sehe es sehr gerne, wenn sich Kinder mir anvertrauen, und habe in dieser Hinsicht viel Glück, aber damals mußte ich viel darunter leiden. Kaum waren wir nämlich aus der Haustür draußen, forderte Egbert mit der Miene eines kleinen Straßenräubers einen Schilling von mir, weil ihm sein Taschengeld »von ihr« abgeschwindelt worden sei. Als ich ihn auf die Unangemessenheit dieses Wortes namentlich in Verbindung mit seiner Mutter aufmerksam machte, kniff er mich in den Arm und sagte: »O ja freilich! Würde es Ihnen vielleicht gefallen? Warum tut sie, als gäbe sie mir Geld, und nimmt es mir dann wieder weg? Warum heißt es mein Taschengeld, und ich darf es nicht ausgeben?« Diese aufregenden Fragen stiegen ihm und Oswald und Francis so zu Kopf, daß sie alle gleichzeitig an mir herumzwickten, und zwar auf so erschrecklich kunstfertige Weise, indem sie winzige Hautstücke auf meinen Armen zwischen die Nägel nahmen, daß ich mich kaum überwinden konnte, nicht laut aufzuschreien.
Überdies trat mir noch Felix auf die Zehen. Und das kleine Mitglied vom Orden der »Freude«, das sein gesamtes Einkommen schon im voraus unterzeichnet hatte und sich nicht nur des Tabaks, sondern auch des Kuchens enthalten mußte, raste so vor Schmerz und Wut, als wir bei einem Konditor vorbeigingen, daß es ganz feuerrot im Gesicht wurde und mich ordentlich in Schrecken versetzte.
– Ich habe noch nie auf einem Spaziergang mit Kindern an Leib und Seele so viel zu erdulden gehabt wie von diesen an Jugendfreude unterbundenen Jungen, die mir jetzt die Ehre erwiesen, natürlich zu sein. –
Ich war froh, als wir des Ziegelstreichers Wohnung erreichten, obgleich sie in einer Gruppe jämmerlicher Hütten vor einer Lehmgrube stand, mit einem Schweinestall dicht vor den zerbrochenen Fenstern und einem elenden kleinen Gärtchen neben der Tür, in dem nichts als lauter Pfützen gediehen. Hie und da war bei den Hütten ein altes Faß hingestellt, um das vom Dache abfließende Regenwasser aufzufangen. Die an den Türen und Fenstern lungernden Männer und Frauen beachteten uns nicht weiter, nur, daß sie manchmal einander anlachten oder bei unserm Vorbeigehen Worte über »vornehme Leute« fallenließen, die sich um ihre Sachen kümmern und sich mit den Angelegenheiten andrer nicht den Kopf zerbrechen sollten. Mrs. Pardiggle ging voran, trug sittliche Entschiedenheit zur Schau, ließ sich sehr wortreich über die unreinlichen Gewohnheiten der Leute aus – als ob irgend jemand an einem solchen Orte hätte reinlich sein können – und führte uns schließlich in eine Hütte am äußersten Ende, deren Stube wir fast ausfüllten.
Außer uns befanden sich in dem feuchten dumpfigen Zimmer eine Frau mit einem blaugeschlagenen Auge, die ein kleines ächzendes Kind am Feuer wiegte, ein Mann, ganz bedeckt von Lehm und Schlamm und von sehr liederlichem Aussehen, der lang hingerekelt auf dem Boden lag und eine Pfeife rauchte, ein athletischer junger Bursche, der einem Hunde ein Halsband umlegte, und ein frech aussehendes Mädchen, das in sehr schmutzigem Wasser irgend etwas wusch. Sie blickten alle auf, als wir hereintraten, und die Frau schien ihr Gesicht nach dem Feuer zu kehren, wie um ihr verletztes Auge nicht sehen zu lassen. Niemand hieß uns willkommen.
»Nun, meine Freunde«, begann Mrs. Pardiggle, aber ihre Stimme klang durchaus nicht freundschaftlich und viel zu geschäftsmäßig und systematisch, »wie geht es euch allen? Hier bin ich wieder. Ich habe euch schon gesagt, ich bin nicht müde zu machen. Ich liebe Anstrengung und halte Wort.«
»Kommen leicht noch mehr herein?« brummte der Mann auf dem Boden, den Kopf auf die Hand gestützt und uns anstierend.
»Nein, mein Freund«, sagte Mrs. Pardiggle, setzte sich auf einen Stuhl und fegte den andern um. »Wir sind alle hier.«
»Ich hab schon gmeint, es langt sonst net«, sagte der Mann mit der Pfeife im Mund und musterte uns.
Der junge Bursche und das Mädchen lachten. Zwei Bekannte von ihnen, die unser Kommen angelockt hatte, standen, die Hände in den Taschen, draußen vor der Tür und lachten laut mit.
»Ihr könnt mich nicht ermüden, liebe Leute«, sagte Mrs. Pardiggle zur Türe hinaus. »Ich habe Freude an angestrengter Arbeit, und je schwerer ihr sie mir macht, desto besser gefällt sie mir.«
»Dann machen wir sie ihr leicht«, brummte der Mann auf dem Boden, »damits schon ein End hat. Ich laß mir die Frechheiten in meinem Haus nicht mehr lang gefallen. Ich laß mich nicht länger verhören wie einen Spitzbuben. Jetzt wollen Sie wie gewöhnlich herumschnüffeln und herumspitzeln; ich weiß schon, woraufs hinausgeht. Schon gut, ich werd Ihnen keine Gelegenheiten geben, anzufangen. Ich will euch die Müh ersparen. Wascht meine Tochter? Ja, sie wascht. Schauen Sies Wasser an. Stinkts? Das trinken wir. Wie gfallts Ihnen und was halten Sie von Schnaps? Is meine Wohnung schmutzig? Ja, sie is schmutzig, sie ist von Natur schmutzig und ungsund, und wir haben fünf schmutzige und ungsunde Kinder ghabt; schon tot alle, und das ist für sie das beste und für uns auch. Ob ich Ihner kleines Buch glesen hab? Nein, ich hab Ihner kleines Buch nicht glesen. Hier kann keiner lesen, und dann paßts für ein Wickelkind, und ich bin kein Wickelkind. Und wie ich mich aufgführt hab? Drei Tag bsoffen gwesen! Und ich hätt mich vier Tag lang bsoffen, wenns Geld glangt hätt. Ob ich niemals dran denk in die Kirch zu gehen? Fallt mir net ein. Sie warten dort net auf mich. Der Kirchendiener ist zu vornehm für mich. Und woher hat meine Frau das blaue Äug? Hm. Von mir. Und wenn sie sagt nein, so lügts.«
Er hatte die Pfeife aus dem Mund genommen, während er sprach, legte sich jetzt auf die andre Seite und fing wieder an zu rauchen.
Mrs. Pardiggle, die ihn durch ihre Brille mit einer erkünstelten Fassung, die meiner Ansicht nach nur dazu angetan war, seine Widerspenstigkeit zu vermehren, angesehen hatte, zog jetzt ein Buch heraus wie einen Konstablerstab und nahm die ganze Gesellschaft in Haft. In geistige Haft natürlich. Aber sie tat es mit der Miene eines unerbittlichen Polizeimanns.
Ada und mir wurde es sehr unbehaglich zumute. Wir fühlten uns als Eindringlinge, und es kam uns beiden vor, als ob Mrs. Pardiggle viel mehr erreicht haben würde, wenn sie nicht so mechanisch zu Werke gegangen wäre. Die Kinder sahen mürrisch drein und starrten alles mit großen Augen an; die Familie nahm von uns nicht die geringste Notiz, außer, wenn der junge Bursche den Hund bellen ließ, was er meistens tat, wenn Mrs. Pardiggle mit besonderer Emphase sprach. Wir empfanden beide aufs schmerzlichste, daß zwischen uns und diesen Leuten eine eiserne unüberbrückbare Schranke bestand.
Durch wen oder wie sie beseitigt werden könnte, wußten wir nicht, aber durch Mrs. Pardiggle nicht, das sahen wir ein. Selbst was sie vorlas und sagte, schien uns für solche Zuhörer schlecht gewählt zu sein, selbst wenn man es ihnen noch so rücksichtsvoll und mit noch so viel Takt beigebracht hätte. Was das kleine Buch, von dem der Mann auf dem Boden gesprochen hatte, betraf, so bekamen wir es später zu Gesicht, und Mr. Jarndyce sagte, er zweifle, ob Robinson Crusoe es gelesen haben würde, auch wenn er kein andres auf seiner wüsten Insel gehabt hätte.
Unter diesen Umständen bedeutete es eine große, allgemeine Erleichterung, als Mrs. Pardiggle aufhörte. Der Mann auf dem Boden drehte wieder den Kopf und sagte mürrisch:
»Also sind S jetzt fertig?«
»Für heute ja, mein Freund. Aber ich werde nie müde. Ich werde regelmäßig wiederkommen«, antwortete Mrs. Pardiggle mit zur Schau getragener Leutseligkeit.
»Wenn S nur jetzt schon gehen«, sagte er, verschränkte mit einem Fluch die Arme und schloß die Augen, »können S von mir aus tun, was S mögen.«
Mrs. Pardiggle stand auf und erzeugte in dem engen Raum einen Wirbel, dem selbst die Pfeife des Mannes nur mit knapper Not entging. Sodann nahm sie zwei ihrer Jungen an der Hand, hieß die andern ihr auf dem Fuße folgen, sprach die Hoffnung aus, daß der Ziegelstreicher und sein ganzes Haus bei ihrem nächsten Besuche sich gebessert haben würden, und begab sich nach einer andern Hütte.
Sie glaubte wahrscheinlich, wir folgten ihr, aber als sie draußen war, gingen wir zu der am Feuer sitzenden Frau hin, um sie zu fragen, ob das Kleine krank sei.
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