Simone Wiechern

Fliegende Teppiche


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lernte in diesen paar Tagen alles, was ich brauchte, um wüstenfest zu werden. Ich wusste, wie man sich schmackhaft ernährt, konnte endlich perfekt satteln und das Kamel mit einer Fußfessel versehen. Diese wurde auf sehr effiziente Weise um beide Vorderbeine gebunden. Das Kamel konnte damit langsam laufen und sich die Kräuter am Wegesrand schmecken lassen, aber sich nicht weit entfernen oder beim Einfangen wegrennen. Abjad und ich verstanden uns inzwischen ausgezeichnet und er befolgte ohne die anfänglichen Zickereien brav meine Befehle. Am wichtigsten war jedoch, dass ich gezeigt bekommen hatte, wie man Holz von den Bäumen holte, ohne sich dabei Arme und Beine zu zerkratzen. Denn ein Feuer brauchte man in der Wüste immer. Die dornigen Akazien waren der beste Lieferant dafür.

      Wieder zurück in Dahab war ich überzeugt, Kameltrips zu veranstalten sei genau das Richtige für mich. Meine erste Kundin war eine Deutsche, die glücklich war, mit einer Frau in die Berge reiten zu können. Sie liebte Kamele und hätte gern schon vorher einen Kameltrip gemacht, aber die aufdringliche Anmache der Männer am Strand hatte sie abgeschreckt, einen von ihnen zu fragen. Bisher hatte sie nur die Ägypter am Strand erlebt und dachte, alle männlichen Bewohner des Sinai wären so aufdringlich. Ich ließ Daniela auf meinem Kamel Platz nehmen und ging neben ihr her in das Wadi, das ich am besten kannte. Mein Ziel war eine große Akazie, unter der ich immer schon gern gesessen hatte. Feuer zu bereiten war mir mittlerweile ein leichtes. Wir tranken Tee, aßen mitgebrachten Kuchen und unterhielten uns. Da ich lange schon kein Deutsch mehr gesprochen hatte realisierte ich, wie schön es war, so ganz ohne zu überlegen losplappern zu können. Daniela stellte mir viele Fragen über den Sinai und dessen Bevölkerung und diesmal war ich diejenige, die berichten konnte. Denn mit ähnlichen Fragen hatte auch ich mich zuvor wissbegierig an die Beduinen gewandt. So verging die Zeit mit ihr viel zu schnell. Es dämmerte schon, als sie wieder auf mein Kamel stieg und ich sie mit der untergehenden Sonne im Rücken wieder zum Strand zurück brachte. Sie bedankte sich herzlich für diesen tollen und informativen Tag, und ihr Gesicht und ihre Stimmung zeigten deutlich, wie sehr auch sie die Stunden weit weg vom Trubel genossen hatte. Ich ging ins Dorf und kaufte von meinem ersten selbstständig verdienten Geld sofort einen großen Sack Futter für Abjad. Mir selbst gönnte ich eine Pizza in einem der Strandcafés.

      Der nächste Kunde war ein Amerikaner, der schon eine Weile in unserem Camp war. Es war eindeutig, dass er ein Auge auf mich geworfen hatte. Ich hingegen fand ihn eher unangenehm, fast schon penetrant. Er hatte von den Campbetreibern erfahren, dass ich jetzt Kameltouren machte, und fragte mich, ob ich mit ihm eine Tour in die Wüste machen würde. In zwei Tagen sollte es losgehen und am darauffolgenden Tag zurück. Da ich dringend Geld brauchte, verabredete ich mit ihm, am übernächsten späten Nachmittag aufzubrechen. Mir war mulmig zumute. Eine ganze Nacht allein mit diesem Herren, der mich laufend beobachtete? Obwohl ich wusste, nicht die beste Lösung gefunden zu haben, bat ich Sahi mitzukommen.

      ›Auch nicht gerade besser, Sahi solch falsche Hoffnungen zu machen‹, meldete sich mein Gewissen eindringlich, nachdem er sich verabschiedet hatte.

      ›Was soll sie anderes tun. Allein mit diesem lüsternen Amerikaner gehen?‹, fragte die Vorsicht. ›Man kann Menschen nur vor den Kopf schauen. Das wäre zu gefährlich.‹

      Das Gewissen wollte Klarheit: ›Sahi muss einfach deutlich zu verstehen bekommen, dass du ihm nicht mehr geben kannst als eine gute Freundschaft.‹

      ›Genau, sag es ihm am besten gleich morgen, unverblümt und direkt!‹, unterstützte der Tatendrang.

      Ich nahm mir fest vor, endlich ein offenes und ernsthaftes Gespräch mit Sahi zu führen. Ich musste ihm wirklich nochmals sagen, dass er mein bester Freund und Vertrauter war, aber eben nicht mehr.

      Die Nacht war sehr unruhig, mich von einer Seite auf die andere legend fand ich kaum Schlaf und stand früh auf. Bei Sonnenaufgang ritt ich in das Wadi, um Futter für mein Kamel zu besorgen. Geld, um welches zu kaufen, hatte ich nicht mehr. Ein letzter Rest mit 20 Kilo Mais stand noch in meinem Zimmer, aber davon bekam er erst abends seine üblichen drei Kilo. Jetzt brauchte er ein leichtes Frühstück aus Heu, das man von umherfahrenden Händlern aus dem ägyptischen Delta erstehen konnte, oder aus frischen Bergkräutern, die es mit etwas Arbeitsaufwand umsonst im Wadi gab. Es war ein frischer, klarer Morgen. Der Ort wirkte noch wie ausgestorben, als ich den Weg in die Berge einschlug. Mich fröstelte ein wenig und ich vergrub einen meiner nackten Füße in die sehr behaarte Stelle oberhalb von Abjads Vorderläufen. Dort war er besonders flauschig und schön warm. Auf dem Kamel war ich immer barfuß und verstaute meine Sandalen in der Satteltasche. Auf halber Höhe im Wadi angelangt, band ich meinem Kamel die Fußfessel um, damit er mir nicht wegrannte. Noch kannten wir uns nicht so gut, dass ich sein Verhalten immer verstand. Mit der Fessel aber konnte ich ihn getrost sich selbst überlassen und an diesem schönen Tag die Wüste in einer mir ganz und gar neuen Phase erleben. Vor einer Woche hatte es einmal kräftig geregnet. Die Wüste erblühte. Die Bergsäume hatten ein in vielen Grüntönen gehaltenes Band an den Rändern, das sich mal schmaler, mal breiter das Wadi hochzog. Ich fragte mich, ob in den zahlreichen Wadis, wie die ausgetrockneten Flussläufe bezeichnet werden, jemals richtige Sturzfluten herunterkommen würden. Bisher hatte ich es erst einmal miterlebt, dass es regnete. Eine große Flut war nur zwischen Dahab und Sharm El Sheikh zu sehen gewesen.

      An den Hängen wuchsen vielerlei Kräuter, die ich mitlerweile kannte, wie der wilde Lavendel (lavandula coronopifolia), junger Rimth (haloxylon salicornica) oder frische Sille (zilla spinosa), die mein Kamel besonders liebte. Abjad würde satt werden. Nach einem Spaziergang setzte ich mich auf einen Hügel am Berghang, holte mein Schreibbuch hervor und begann das Märchen über eine grimmige Muräne zu Ende zu schreiben. Der Tag war gut, die Sätze formten sich wie von selbst in meinem Kopf und schon nach kurzer Zeit konnte ich den letzten Punkt setzen. Ich beobachtete Abjad eine Weile, der sich unterhalb meines Sitzplatzes die frischen Pflanzen schmecken ließ. Nach wie vor liebte ich sein genüssliches Schmatzen, es erinnerte ein bisschen an äußerst coole Teenager, wenn sie übertrieben lässig Kaugummi kauten. Ich wandte meinen Blick das Wadi hinunter und konnte Dahab sehen. Es lag in weiter Ferne, klein wie eine Spielzeugstadt. Das Meer dahinter war unruhig. Unzählige, weiße Schaumkämme bezeugten, dass der Wind über dem Wasser zugenommen hatte. In dem kleinen Wadi fegten nur hin und wieder kleine Böen durch die Landschaft und wirbelten trockene Sträucher auf. An die raue Felswand gelehnt, sinnierte ich über meine Zukunft.

      ›Ich finde es umwerfend hier‹, schwärmte die Faszination und fiel tatsächlich um. Mitten auf die Trägheit, die sich müde die Augen rieb und gähnend ergänzte:

      ›Ja, von mir aus können wir bleiben. So entspannt und ruhig war ihr Leben noch nie. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen. Hier bleiben, hört sich definitiv gut an!‹ und döste wieder weg.

      ›Nee nee, von dir Trägheit lassen wir uns nicht einlullen. Hier ist endlich mal Zeit für mich‹, sprach die Kreativität, ›hier kann ich mein volles Potenzial entwickeln und werde nicht immer nur kurz dazwischengeschoben.‹

      ›Was mich richtig schön satt macht‹, ergänzte die Zufriedenheit.

      ›Also, mir fehlt dann aber etwas‹, sagte die Sehnsucht mit einem langen Seufzer.

      ›Au ja!‹, frohlockte die Begierde und brachte damit die Augen zum Klimpern. ›Einen großen, starken, gut aussehenden, sinnlichen, ver ...‹

      ›Krieg dich mal wieder ein! Sie zerbeißt gleich den Stift in ihrer Hand‹, fiel ihr die Vernunft lachend ins Wort.

      ›Ach, Sehnsucht‹, fragte die Intelligenz, ›weißt du eigentlich, warum du so heißt? Ich sag‘s dir: Weil du süchtig bist! Wir sind doch erst vor drei Monaten in diesem herrlichen Land angekommen und damit deinem Verlangen nachgekommen. Aber noch nicht richtig niedergelassen willst du schon wieder etwas Neues. Ob du wohl jemals zufrieden bist? Ich denke, da müssen wir wohl alle noch ein wenig warten. Geduld, Geduld!‹

      ›Ja, ach so … ja, genau, ich bin nämlich eine der wertvollsten Tugenden‹, antwortete die Geduld, die schon ewig darauf gewartet hatte, dass sie auch mal etwas sagen durfte. ›Was lange währt, wird endlich gut. Gut Ding will Weil haben. Abwarten und ...‹

      ›Genug, genug‹, unterbrach die Vernunft den Wortschwall der Geduld, die