Simone Wiechern

Fliegende Teppiche


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legte ihm, mit einem Grinsen, das mich an die Katze aus »Alice im Wunderland« erinnerte, eine Decke über und fuhr fort, uns zu unterhalten.

      Mein Freund und ich erwachten in unserer Hütte. Ich hatte nur noch eine schemenhafte Erinnerung, wie wir inmitten der Nacht zurückgeschlendert waren. Noch am Morgen fühlte ich mich wie in Watte gepackt und nach der ersten Zigarette hatte ich das Gefühl, erneut vollkommen benebelt zu sein. Ich musste dringend ins Wasser. Wir wollten den Tag mit der Literatur unserer Semesterarbeiten am Strand verbringen und schnorcheln gehen. Das Equipment dafür gab es günstig bei dem Sudanesen im Restaurant zu leihen.

      Man musste beachtlich weit hinaus laufen, um in tiefes Wasser zu gelangen, aber es war den langen Weg mehr als wert. Kaum hatte ich die Taucherbrille aufgezogen und war über die Riffkante abgetaucht, wurde ich regelrecht erschlagen von der Fülle der Meeresbewohner und schimmernden Farbvielfalt unter Wasser: Korallen in allen Größen und Formen, Schwämme und Muscheln, die sich sofort schlossen, sobald ich ihnen zu nah kam und Unmengen verschiedener Fische, wohin ich auch blickte. Das Wasser war tiefblau und glasklar. Ich hatte schon gehört, dass das Rote Meer ein Tauchparadies sein sollte, doch so schön hatte ich es mir im Traum nicht vorstellen können.

      Die überwältigende Unterwasserwelt zog mich völlig in ihren Bann und ich merkte erst an meinen brennenden Schultern, dass ich schon viel zu lang schwamm und staunte. Das Gefühl, eine ganz neue Welt zu entdecken, stieg in mir empor. Dazu kam die himmlische Ruhe unter Wasser.

      ›I want to be - under the sea‹, sang mein Gemüt fröhlich.

      Am Abend trafen wir wieder den Meister des Jointdrehens, der uns erneut in seine Wellblechhütte einlud. Doch wir waren uns einig, dass wir nicht noch einmal solch einen Abend überleben würden, und lehnten dankend ab. Wir trafen am blauen Bus andere Beduinen und einige Touristen, die sich um ein Feuer versammelt hatten. Der Beduine, dem dieser Platz gehörte, hatte sich eine Küche in einen alten Bus gebaut, ihn blau angemalt und bewirtete davor auf den typischen Sitzgelegenheiten am Boden seine Touristen. Die Beduinen erzählten einiges über ihr Leben und die Touristen über Erlebnisse von hier und aus fernen Ländern, die sie bereist hatten.

      Wir saßen nun unsere restlichen verbleibenden Tage am Abend dort.

      ›Hier erfährst du weit mehr über die zeitgenössische Welt dort draußen als in deiner gesamten Schulzeit‹, stellte die Erkenntnis fest.

      Das Frühstück war beendet und ich entschied, nach Nuweiba aufzubrechen. Sahi war etwas traurig, aber ich wollte mehr über die Beduinen erfahren und das ging in Nuweiba besser.

      Dort war es noch genau so, wie ich es in Erinnerung hatte. Ich bezog eine kleine Hütte am Strand und stürzte mich ins Meer, das mich immer stärker in seinen Bann zog. Stundenlang schwamm ich an dem Riff entlang und entdeckte immer wieder neue Fische und Korallen. Ein kleines Paradies unter der Oberfläche. Am Strand konnte man sich frei bewegen, ohne unangenehm angesprochen oder beobachtet zu werden. Sowohl die Einheimischen als auch die Touristen waren erfrischend freundlich zueinander. Man lächelte sich an und sprach mit jedem, den man traf, ein paar Worte. Abends saß ich mit den Beduinen und den anderen Urlaubern am Feuer und trank mehr Tee als in Berlin über das ganze Jahr verteilt. Wenn ich müde wurde, nahm ich meinen Schlafsack und legte mich zum Schlafen an den Strand. Einige Beduinen taten das auch und hatten mir versichert, hier absolut sicher zu sein, sie würden schon auf mich acht geben. Wo konnte man dies noch als alleinreisende Frau?

      Morgens erwachte ich von dem Geräusch der Wellen und der aufgehenden Sonne. Das Schlafen im Sand war zwar hart, aber wie Balsam für meinen immer wieder schmerzenden Rücken. Gleich am zweiten Tag traf ich vor meiner Hütte die Kleine wieder, die mich damals mit ins Dorf genommen hatte und ließ mich gerne wieder von ihr an die Hand nehmen und zu ihrer Familie führen - nicht ohne eine eigens für diesen Ausflug mitgebrachte Tasche mitzunehmen. Die Familie freute sich sehr, mich wiederzusehen, und ich verteilte ein paar Geschenke. Für die Frauen hatte ich Parfum und Cremes, für die Kinder Zahnbürsten, Stifte und Süßigkeiten. Meiner kleinen Freundin Chadidscha schenkte ich eine Puppe. Ihre großen staunenden Augen, als sie das Babyimitat das erste Mal schwenkte und dieses ein lautes »Mama« von sich gab, waren unvergesslich. Sofort wollten alle anderen, selbst die Erwachsenen, die Puppe einmal ausprobieren und das Lachen nahm kein Ende mehr. Ausnahmslos alle Anwesenden wurden plötzlich zu fröhlich verspielten Kindern. Dass mein Geschenk so viel Heiterkeit auslösen würde, hatte ich nicht vermutet und war daher sehr angenehm überrascht. Die Mutter bat mich, am nächsten Tag zum Mittagessen zu kommen. Ich erschien dort nachdem der Muezzin zum Al Suhar, dem Mittagsgebet, gerufen hatte. Der Hausherr hatte extra für mich eine Ziege geschlachtet. Ich wurde aufgefordert, mit Selma, der ältesten Tochter, getrennt von der Familie zu essen. Wir bekamen eine riesige Platte Reis vorgesetzt, auf deren Mitte ein Berg Fleisch lag, der rundherum sehr dekorativ mit Gurken- und Tomatensalat verziert war. Dazu gab es das köstlich schmeckende, frische, noch warme Fladenbrot und eine Schüssel mit Suppe. Das unerwartet äußerst zarte Ziegenfleisch schmeckte fantastisch. Mir wurde zwar ein Löffel angeboten, aber ich versuchte, wie Selma mit der Hand zu essen. Das stellte sich als gar nicht so einfach heraus, denn man durfte nur die rechte Hand benutzen. Die linke Hand galt bei den Moslems als unrein. Ich nahm wahr, dass sich mittlerweile sehr viele Leute eingefunden hatten. Über den ganzen Hof waren Gruppen mit Menschen verteilt, die sich über das Festessen sichtlich freuten. Der Hof leerte sich recht schnell wieder, nachdem das Essen beendet war. Ein paar Frauen und eine ganze Schar junger Mädchen halfen der Hausherrin aufzuräumen und abzuwaschen. Als ich ein paar Gläser zusammenstellen wollte, wurde ich sehr energisch daran gehindert, mich nützlich zu machen. Ein Mädchen brachte mir schnell ein Kissen, dazu ein Glas Tee und unterstrich damit den Wunsch der Gastgeber, ich solle es mir gemütlich machen und das süße Nichtstun genießen. Nachdem alle Arbeiten erledigt waren, setzte sich Selma zu mir. Sie hatte bis vor Kurzem noch bunte Bänder, selbst genähte Hosen und anderes Beduinenhandwerk an Touristen verkauft und sprach recht gut Englisch. Auch Hebräisch konnte sie, wie sie mir stolz erzählte. Als wir kurz allein waren, vertraute sie mir an, dass sie nächste Woche heiraten würde und wie glücklich sie wäre, einen so tollen Mann wie Ateiek gefunden zu haben.

      »Durftest du dir deinen Mann selber aussuchen«, fragte ich neugierig.

      »Ja, Allah sei Dank, ich kenne ihn schon, seit ich denken kann. Er wohnt direkt nebenan, und so kann ich immer nah bei meiner Familie bleiben. Er hat mir ein sehr schönes Haus gebaut - mit drei Zimmern!«, ergänzte sie hocherfreut.

      »Wäre es schwer für dich, in eine andere Gegend zu ziehen?«, bohrte ich weiter.

      »Misch mumkin - nicht möglich!«, schoss es aus ihr heraus, und sie nahm schnell die Hand vor den Mund, damit die deutschen Kekse, die sie genussvoll knabberte, nicht folgen konnten. Mit vollem Mund zu sprechen war hier anscheinend nicht tabu.

      »Hier sind alle meine Freundinnen, und wenn mir mein Mann später einmal Ärger machen sollte, sind meine Brüder und meine Familie gleich zu Stelle.«

      »Wie alt bist du?«, wollte ich noch wissen. Sie wirkte auf mich wie ein unbedarfter Teenager.

      »16, im Frühling werde ich 17«.

      »Oh, das ist aber sehr jung«, gab ich zu Bedenken, »bist du dir wirklich schon sicher, dass er der Mann deines Lebens ist?«

      »Das war ich schon, als ich noch klein war«, entgegnete sie vollkommen überzeugt. »Außerdem will ich mein eigenes Haus haben. Hier bin ich die Älteste und muss für die ganze Familie von Hand waschen, aufräumen, Essen kochen…eben alles machen, das im Haus anfällt. Du hast gesehen, wie groß unsere Familie ist. Erst einmal nur für einen da zu sein und zu sorgen, wird wunderbar werden.«

      »Wer waren denn die anderen Leute, die eben beim Essen da gewesen sind?«

      »Wenn bei uns oder den anderen Familien eine Ziege geschlachtet wird, spricht es sich oft durch die Kinder schnell herum und die ganze Nachbarschaft kommt vorbei«, klärte sie mich auf. »Jeder ist überall willkommen! Es ist nicht vorstellbar, einem Gast das Essen zu verweigern.«

      »Und wenn das Essen nicht ausreicht?«, fragte ich weiter.

      »Es reicht immer. Wenn nicht viel da ist, essen eben alle weniger.«