Simone Wiechern

Fliegende Teppiche


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meinem Rücken.

      Es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer mit der Anmache am Strand. Die wenigen Beduinen, die man sah, hatten hingegen eine sehr angenehme, zurückhaltende Art.

      Sahi hatte leider keine Lust mit mir noch einmal ins Dorf zu gehen. Ich hätte gern noch einen Nachmittag dort verbracht, war aber zu unsicher, um allein zu gehen.

      Ich sehnte mich nach der Wüste und weniger Trubel am Strand.

      Am nächsten Morgen beim Frühstück dachte ich an einige Szenen aus meinem ersten Urlaub in Ägypten, als ich mit Klaus, Helge und Sabine in dieses wunderschöne Land gereist war.

      Wir saßen gerade in Marsa Matruh in einem Restaurant und aßen frischen Fisch, als uns ein Mann in perfektem Englisch ansprach. Wir baten ihn, sich doch zu uns zu setzen und er erzählte uns, er käme ursprünglich aus dem Irak und wäre Vertreter für Wasseranlagen. Durch seinen Beruf bedingt musste er viel in Ägypten umherfahren und langweilte sich meist auf den Fahrten, was bei ihm schnell zu Anfällen von starker Müdigkeit führte.

      ›Das wundert mich bei dieser extremen Hitze nicht‹, sprach mein Körperempfinden.

      Es stellte sich heraus, dass wir für den nächsten Tag das gleiche Reiseziel hatten und so bot uns der freundliche Iraker kurzerhand an, uns nach Siwa mitzunehmen.

      Dort angekommen lud er uns zum Essen ein und sagte, er würde in drei Tagen zurück nach Alexandria und dann nach Kairo fahren. Gerne würde er uns wieder mitnehmen. Da die Fahrt mit ihm sehr unterhaltsam war und noch dazu kostenlos, waren wir dankbar und verstauten drei Tage später unsere Taschen wieder in seinem alten Mercedes. Siwa hatte uns mit seinen alten zerfallenen Lehmhäusern und dem grünen Teppich aus tausenden von Dattelpalmen sehr gut gefallen.

      Yahya kannte Ägypten sehr gut und hatte immer viel zu berichten, auch über sein Land, den Irak, der zu dieser Zeit im zweiten Golfkrieg steckte. Dort hatte er sich dem Wehrdienst verweigert und musste nun mit einer langen Gefängnisstrafe rechnen, sollte er je in sein Land zurückkehren. Er vermisste seine Familie dort sehr, denn er war sich bewusst, sie vielleicht für eine unvorstellbar lange Zeit nicht wiederzusehen. Man merkte ihm an, wie sehr er darunter litt. Wenn er erzählte, konnte man die Sehnsucht fast greifen, so stark stand sie im Raum. Wie schon auf der ersten Strecke hatte Yahya einiges an Proviant dabei. Von allem sollten wir probieren und wann immer es eine Möglichkeit an der Straße gab, etwas Neues zu besorgen, brachte er weitere Leckereien, kleine Kuchen, arabische Süßigkeiten und allerlei Obst und Getränke. Wenn wir irgendwo anhielten, zahlte er die gesamte Rechnung. Hin und wieder nahm er auch etwas von unserem Proviant an, lehnte es aber strikt ab, dass wir unterwegs in Restaurants die Rechnung beglichen.

      Kurz vor dem Suezkanal stoppten wir an einem kleinen Imbiss an der Straße und bestellten alle wohlriechende Fleischspieße, die gerade frisch gegrillt wurden. Da wir ihn endlich auch mal einladen wollten, sagte ich Klaus während des Essens, er solle doch schnell zahlen gehen, sonst käme uns Yahya sicher wieder zuvor. Das tat Klaus dann auch. Eine fatale Idee, denn nach dem Essen ging unser irakischer Freund wie gewohnt nach vorne, um zu zahlen. Wutentbrannt kam er eine Minute später zurück an unseren Tisch und verlangte lautstark, dass wir unsere Taschen aus seinem Auto nehmen sollten. So wie wir hätte noch niemand zuvor seine Gastfreundschaft beleidigt. Wir wussten gar nicht, wie uns geschah und versuchten den guten Mann zu beruhigen. Doch schon ging er mit schnellen, energischen Schritten zum Auto, öffnete verärgert den Kofferraum und warf unsere Taschen sehr unsanft auf den Boden. Dann setzte er sich ans Steuer und startete den Motor. Ich war schon seit je her sehr harmoniebedürftig, von daher recht diplomatisch und ging schnell an sein geöffnetes Fenster. Nach kurzer Diskussion gelang es mir tatsächlich, ihn zu beruhigen. Ich gab ihm zu verstehen, dass auch wir nur handelten, wie es uns beigebracht worden war und dass auch wir gewisse Traditionen hegten, zu denen es zählt, sich nicht ausschließlich aushalten zu lassen. Er wurde jedoch erst ruhiger, als ich ihm zu verstehen gab, von unseren Eltern so erzogen worden zu sein. Allerdings verlangte er eine Entschuldigung und das Versprechen, ihn nicht noch einmal so zu beleidigen. Fast augenblicklich war er wieder gut gelaunt wie zuvor und wir setzten unsere Reise mit ihm fort.

      Am Suezkanal angelangt bestaunten wir die skurrile Aussicht auf Schiffe, die durch die Wüste zu schweben schienen. Der Kanal war tiefer gelegt und aus einiger Entfernung sah man nichts als Sandhügel, durch die sich riesige Frachter bewegten - wie die laufenden Hasen auf einem Schießstand im Vergnügungspark. Wir hatten uns geeinigt, nicht den Tunnel, sondern die Fähre zu benutzen, und ich war etwas enttäuscht, wie unspektakulär und klein der Kanal war. Den erwarteten Palmensaum wie an Flüssen gab es nicht. Das Wasser war überall an den Ufern befestigt und gab dem Wüstenboden nichts von seinem kostbaren Nass ab. Die Überfahrt dauerte nur einige Minuten, schon saßen wir wieder im Auto und setzten unsere Reise fort. Als wir Yahya zwischendurch mitteilten, dass wir doch nicht mehr so gern nach Kairo, sondern direkt in den Sinai wollten, änderte auch er uns zuliebe seine Reiseroute. Zwar hatte uns Dahab als nächstes Reiseziel vorgeschwebt, aber Yahya schlug uns einen seiner Meinung nach weitaus schöneren Ort vor und setzte uns 70 km nördlich, in Nuweiba ab. Ein letztes Mal lud er uns am späten Abend zu einem opulenten Essen ein und verabschiedete sich. Natürlich durfte er wieder die Rechnung begleichen.

      ›Von so viel Gastfreundschaft könnten sich deine Landsleute mal ein Scheibchen abschneiden‹, flüsterte mir der Verstand zu.

      Ich sah Yahya leider nie wieder.

      Doch der Exiliraker hatte nicht zu viel versprochen. Nuweiba war ein bezaubernder, verschlafener Küstenort, der laut Reiseführer, 1971 von den Israelis als Moschaw Neviot gegründet worden war. Im Hintergrund die leuchtend rot schimmernden Berge, vor uns das türkisblaue Meer, Sand, Palmen und wenig Betrieb - endlich genau der Urlaub, wie ich ihn mir gewünscht hatte. Wir bezogen eine Bambushütte und duschten erst einmal, in dem wir uns mehrere Male mit einer alten Dose Wasser aus einem großen Tank über den Kopf gossen. Strom und fließendes Wasser gab es nicht. Es war sehr einfach, aber zutiefst idyllisch.

      ›Lieber Ruhe als Luxus‹, empfand die Sensibilität, die von der Atmosphäre, die der Ort ausstrahlte, sofort angetan war.

      Alles schien sehr ursprünglich und auf das Wesentliche beschränkt zu sein. In der Hütte lagen zwei dünne Schaumstoffmatratzen auf der Erde, die mit sauberen Laken bezogen waren. Am Kopfende ein Kissen und am Fußende eine ordentlich zusammengefaltete Wolldecke. Zwischen den Matratzen stand ein kleiner runder Tisch, auf dem sich ein Windlicht befand, das aus einer abgeschnittenen Plastikflasche gefertigt war und eine halb verbrannte Kerze enthielt; darum waren viele schöne Muscheln drapiert. Statt eines Schrankes gab es nur eine Leine, die sich an einer Wand entlang zog. An der anderen Seite befand sich eine Leiste mit Nägeln. Unter einem Vordach standen zwei einfache Stühle aus Holz. Von dort hatten wir freien Blick zum Meer, das nur einen Steinwurf entfernt zum Baden einlud. Am Strand war niemand.

      ›Entspannung pur‹, freute sich mein Gemüt.

      Am nächsten Morgen war ich extra früh aufgestanden, um den Sonnenaufgang zu sehen. Es hatte sich gelohnt. Die prächtige Veränderung der Farben und das sehr schnelle Emporklettern der Sonne über die Berge, waren Momente, die sich tief in meine Seele brannten. Kein Mensch außer mir war am Strand und ich hatte das Gefühl, die Sonne würde einzig für mich allein dieses Schauspiel aufführen.

      Nach dem Frühstück sonderte ich mich von den anderen ab, um mir ein wenig die Gegend anzusehen. In einiger Entfernung erblickte ich eine Gruppe kleinerer Kinder, die Kamele, mehrere Ziegen, Schafe und einen sehr störrischen Esel an einem großen Wasserbassin tränkten. Erst beobachtete ich das mir dargebotene Schauspiel ein wenig, ging dann näher und holte eine Tüte Bonbons aus meiner Tasche. Sofort von den Kindern umringt, prasselten massenhaft Fragen auf mich ein, die ich damals leider nicht verstand. Die Bonbontüte sprach jedoch für sich und war im Nu leer. Ein kleines Mädchen nahm mich an die Hand und zog mich einfach mit sich.

      »Mama tea, Mama tea«, rief sie bittend und zeigte auf das nahe gelegene Dorf. Neugierig wie ich war, ließ ich mich gerne von ihr entführen. Die gesamte Kinderschar folgte uns. Ziegen, Schafe und Kamele ebenfalls. Immer wieder fragten mich die Kinder etwas, worauf ich nur verhalten lächelnd die Schultern zucken konnte. Das Einzige, das ich verstand, war die Bitte um Stifte.